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Ernesto Che Guevara führte ein ganz und gar ungewöhnliches
Leben: vom Medizinstudenten in Buenos Aires zum Guerillakommandanten; vom Kämpfer in der Sierra Maestra
zum Präsidenten der kubanischen Nationalbank und schließlich vom Industrieminister zum gejagten
und in Bolivien von den Söldnern der CIA ermordeten Guerillero. Er ist oft und nicht zu Unrecht mit den
großen romantischen Revolutionären des 19.Jahrhunderts verglichen worden.
Es wäre aber falsch zu glauben, der Che
sei ein Mann der Vergangenheit, ein Überlebender aus einer anderen Epoche, ein Anachronismus im
Zeitalter der Computer. Ganz im Gegenteil ist er der Rache kündende Prophet der künftigen
Revolutionen, Revolutionen der „Verdammten dieser Erde”, der Hungernden, Unterdrückten,
Ausgebeuteten und Erniedrigten der drei vom Imperialismus beherrschten Kontinente. Er ist der Prophet, der
mit flammenden Lettern an die Mauern des neuen Babylon geschrieben hat: „Mene, Mene Tekel
Upharsin” deine Tage sind gezählt.
Für die rebellierende und
revolutionäre Jugend, die sich in den industriellen Metropolen Europas erhebt, ist er der Heros
geworden als Künder der Zukunft, des neuen Menschen, der kommunistischen Gesellschaft des
21.Jahrhunderts, die auf den Ruinen des dekadenten und „eindimensionalen” Kapitalismus errichtet
wird. Das Denken des Che, das zwar auf den kubanischen und lateinamerikanischen Erfahrungen beruht, hat
einen zutiefst universellen Charakter, was den Widerhall und den weltweiten Einfluss seiner Schriften
erklärt.
Für die unter imperialistischer
Herrschaft stehenden Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, für die Schwarzen in Nordamerika
ist der Che der bewaffnete Prophet des revolutionären Krieges gegen die Oligarchie, ihre Gorillas und
den Imperialismus. Seine Schriften über die Guerilla werden (zusammen mit denen von Mao, Giap und
Fanon) an den Gymnasien, an den Universitäten, in den Fabriken und auf dem Lande leidenschaftlich
studiert und diskutiert; sie inspirieren die Aktionen der revolutionären Kämpfer von den maquis in
Guatemala bis zu den schwarzen Ghettos von Detroit, von den Wäldern in Guinea-Bissau bis zu den
Vororten von Rio de Janeiro, von den Ölfeldern am Persischen Golf bis zu den Fabriken in Córdoba.
Der Guevarismus der Dritten Welt bedeutet
Verneinung fauler Kompromisse, opportunistischer Manöver, der „friedlichen Koexistenz” Er
bedeutet die Verneinung des zwielichtigen Neutralismus und der Unterordnung unter die Diplomatie der
mächtigen Rivalen des sozialistischen Lagers. Er bedeutet kompromisslosen bewaffneten Kampf, Volkskrieg
bis zur Niederwerfung der bürgerlichen Armeen, permanente Revolution bis zum Sozialismus. Er bedeutet
die historische Initiative der revolutionären Vorhut, die den Guerillakrieg auslöst und die
Volksmassen mobilisiert. Er bedeutet konkrete internationale Solidarität von Waffengefährten im
gemeinsamen Krieg gegen das imperialistische Joch.
Die Ausstrahlungskraft des Che ging jedoch
über die Grenzen der Dritten Welt hinaus. Sein Bild war bei den gewaltigen Demonstrationen der
Jugendlichen vor dem Pentagon, auf den Barrikaden des Mai in Paris, in den Universitäten von London und
auf den Straßen von Berlin zu sehen. Seine Losung „Ein, zwei, drei Vietnam” wurde in den
Straßen von Tokyo auf Japanisch gerufen und erschien auf Transparenten in Rom in italienischer Sprache.
Wie erklärt sich dieser auf den ersten Blick überraschende Guevarismus der neuen Jugendavantgarde
der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder?
Zunächst waren es sein beispielhaftes
Leben und sein Martyrium, die ihn als das reinste Symbol des Befreiungskampfs der Dritten Welt erscheinen
ließen. Der Che fiel zu einem Zeitpunkt, als der Vietnamkrieg in den kapitalistischen Metropolen zum
Katalysator des revolutionären Bewusstseins wurde, bei dem Versuch, dem vietnamesischen Volk zu Hilfe
zu kommen; damit wurde er für diese Jugend zum leuchtenden Symbol des Internationalismus, ihres neuen
Internationalismus, der sich nach einer langen Nacht absoluter Hegemonie des Chauvinismus wie ein
Phönix wieder aus der Asche erhob.
Das Denken und das Handeln des Che
repräsentieren für diese Jugend außerdem die unversöhnliche absolute radikale Ablehnung
des „Systems” und die revolutionäre Initiative der Vorhut, die dieses System verändern
will. In einer seiner brillantesten Schriften ("Die Widersprüche des Spätkapitalismus, die
antiautoritären Studenten und ihr Verhältnis zur Dritten Welt") zeigt Rudi Dutschke, wie die
methodologischen Prinzipien der Theorie des Guerilla-Kerns des Che die Aktionen des deutschen SDS
beeinflusst haben:
"Erstmalig wird versucht, die Focus-
Theorie von Che Guevara für die politische Praxis hier zu gewinnen. Die Frage lautete: Wie und unter
welchen Bedingungen kann sich der subjektive als objektiver Faktor in den geschichtlichen Prozess eintragen?
Guevaras Antwort für Lateinamerika war, dass die Revolutionäre nicht immer auf die objektiven
Bedingungen für die Revolution zu warten haben, sondern dass sie über den Focus, über die
bewaffnete Avantgarde des Volkes die objektiven Bedingungen für die Revolution durch subjektive
Tätigkeit schaffen können. Diese Frage stand in letzter Konsequenz auch hinter der Plakataktion,
steht heute noch hinter jeder Aktion. Haben wir bei allen unseren Aktionen von der permanenten Ohnmacht
unserer politischen Arbeit auszugehen, oder haben wir einen historischen Zeitpunkt erreicht, an dem die
subjektive schöpferische Tätigkeit der politisch kooperierenden Individuen über die
Wirklichkeit und ihre Veränderbarkeit entscheidet?"
Diese Prinzipien haben zweifellos auch
andere Organisationen der neuen Vorhut beeinflusst und ihnen geholfen, die Unbeweglichkeit, den
bürokratischen Konservatismus und die passive Anpassung an das bürgerliche „System”,
jene Alterskrankheiten der reformistischen alten Linken zu überwinden.
Der dritte Aspekt von Ches Denken, der die
revolutionäre Jugend der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder fasziniert hat, ist sein neues
Modell des Kommunismus. Für den bürgerlichen Philister war Che ein utopischer und romantischer
Anarchist, dessen Ideal der Zukunft nichts anderes war als „die kindliche Vision von einem Elysium
ohne Bürokratie und Militär die ewige Sehnsucht nach einer heilen Welt” (Der
Spiegel). Demgegenüber erkennt sich die Neue Linke von Europa und Amerika, die den bürgerlichen
wie den bürokratischen Autoritarismus ablehnt, im Denken des Che wieder, für den die
kommunistische Gesellschaft eine neue Menschheit sein sollte und nicht eine verstaatlichte Version der
amerikanischen Gesellschaft. Für Chruschtschow sollte der Kommunismus im Westen „attraktiv”
werden, wenn die Sowjetunion die USA auf dem Gebiet der Produktion und des Konsums eingeholt hat; für
den Che und die rote Jugend der industrialisierten Länder soll der Kommunismus viel mehr sein als eine
neue Methode der Verteilung von Gütern: ein Gegenmodell von Zivilisation, sozial, kulturell und
moralisch eine neue Welt. Es geht also nicht darum, mit dem Kapitalismus und der
„privatistischen” bürgerlichen Gesellschaft in Wettbewerb zu treten, indem man sein Spiel
mitspielt, sondern es geht darum, die Spielregeln grundsätzlich zu ändern. (1969)
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