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Global Europe — das machtpolitische Strategiepapier der EU, sieht für Europa eine zunehmend aggressive und
militärische Rolle in der Welt vor.
Jahrzehnte hindurch wurde Europas Sicherheitspolitik faktisch von Washington kontrolliert
(vielleicht mit Ausnahme von Frankreich, das in den 60er Jahren aus dem NATO-Verteidigungsrat ausgestiegen war).
Die Entscheidung des Europäischen Rats im Jahr 1999, eine autonome
europäische Militärkapazität zu schaffen, kann deshalb nicht überbewertet werden. Der Beschluss betraf den Aufbau einer Schnellen
Eingreiftruppe von 60000 Mann, die in der Lage ist, überall in der Welt militärisch einzugreifen. Die Personalrotation eingerechnet kommt dieser
Kern einer künftigen europäischen Armee auf 180000 Mann.
Das Schlüsselwort war „autonom"; dies bedeutete, dass die Schnelle
Eingreiftruppe unabhängig von der NATO, und somit von den USA, mobilisiert werden kann. Zum ersten Mal formulierte Europa damit den Ehrgeiz,
sich nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch von den USA zu emanzipieren. Anfänglich sollte die Truppe, die innerhalb von 60 Tagen
einsatzbereit sein soll, in einem Umkreis von 4000 Kilometern rund um Brüssel operieren.
Ab dem Jahr 2000 wurden die militärischen Gremien gebildet, die Interventionen
planen können: ein Militärstab, ein Militärrat, ein Politisches und ein Verteidigungskomitee. Die ersten Missionen der Europäischen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) fanden 2003 statt: Concordia in Mazedonien, Artemis im Kongo.
Die Mission im Kongo ist besonders interessant, denn erstens liegt der Kongo mehr als
4000 Kilometer von Brüssel entfernt; sie beweist, dass das wirklich Ziel der EU ist, als globale Militärmacht zu handeln. Zweitens war dies der
erste Kampfeinsatz, der vollständig unabhängig von der NATO durchgeführt wurde.
Die nächste Mission begann im Dezember 2004 in Bosnien-Herzegovina, als die EU
von der NATO den SFOR-Einsatz übernahm. Seither schickt die EU ihre Truppen immer häufiger rund um die Welt: Bis heute haben 20 solcher
Einsätze stattgefunden, zuletzt wieder im Tschad, in Guinea-Bissau, im Kosovo.
Zusätzlich zur Schnellen Eingreiftruppe wurden 2004 sog. Schlachtgruppen
geschaffen, hoch flexible Einheiten von je 1500 Soldaten, die innerhalb von 5 bis 15 Tagen einsatzbereit sind — auch ohne Mandat des UN-
Sicherheitsrats.
Im Jahr 2003 taten Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg ihre Absicht kund,
ein eigenes Europäisches Hauptquartier aufzubauen. Da dies bedeutete, sich noch weiter vom US-Schutz zu entfernen, intervenierten die USA gegen
diesen Plan. Dennoch wurde 2007 eine sog. „Zivil-miliärische Zelle” — der Kern eines vollständigen autonomen
Europäischen Hauptquartiers — als handlungsfähig erklärt; bis dahin oblag die operationelle Kontrolle der NATO oder einem
nationalen Hauptquartier.
Wer sind die treibenden Kräfte hinter der Militarisierung? Welche Interessen werden damit verfolgt?
Das erste Interesse ist der militärische Schutz der neoliberalen Wirtschaftsordnung
weltweit. Die EU hat die USA als internationaler Handelspartner Nr.1 inzwischen überholt, sie ist heute die Kraft, die am stärksten auf die
Einhaltung der neoliberalen Ordnung pocht. Zweitens beabsichtigt die EU, dies in der Zukunft noch weitaus aggressiver zu tun. Deshalb hat die EU-
Kommission im Jahr 2005 unter dem Titel „Global Europe” eine neue Strategie ausgearbeitet, die darauf zielt, auf der ganzen Welt aggressiv
neue Märkte zu erschließen. Das Ergebnis wurde den Europäischen Staats- und Regierungschefs im Oktober 2007 vorgelegt und von ihnen
abgenickt.
Frankreich griff die Vorschläge der EU-Kommission auf und integrierte sie in ein
Dokument namens „Euroworld 2015”, das im April 2008 veröffentlicht wurde.
Die EU akzeptiert heute immer offener, dass mehr und mehr Menschen auf der Welt
verarmen. Trotz allen Geredes über die ethnischen, religiösen und anderen Ursachen von Bürgerkriegen in der sog. Dritten Welt gibt heute
selbst die Weltbank in ihren Studien zu, dass Armut die weitaus wichtigste Ursache für die Konflikte auf der Welt ist.
Da Neoliberalismus also Armut hervorbringt und Armut zu Bürgerkriegen
führt, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder die neoliberale Politik wird gestoppt — das steht leider derzeit nicht auf der Tagesordnung.
Oder man begegnet den Konflikten in den sog. fehlgeschlagenen Staaten militärisch, um die Gesamtordnung stabil zu halten.
Robert Cooper ist der wichtigste politische Berater von Javier Solana und Hauptautor der
Europäischen Sicherheitsstrategie. Was er schreibt, ist entlarvend. Als Reaktion auf das, was er „Chaos in der Welt” nennt, schlägt
er vor, dass Europa eine Strategie des „liberalen Imperialismus” einschlägt: „Der postmoderne Imperialismus nimmt zwei Formen
an: Erstens die des freiwilligen Imperialismus der globalen Ökonomie. Er wird normalerweise von einem internationalen Konsortium durch internationale
Finanzinstitutionen wie IWF und der Weltbank ausgeübt."
Die zweite Komponente ist gewalttätiger. Ihr Ziel ist, das Chaos und die Konflikte,
die das neoliberale System ständig produziert, militärisch zu bewältigen und jene zu bestrafen, die den Enthusiasmus über den
„freiwilligen Imperialismus der globalen Ökonomie” nicht teilen: „Unter uns arbeiten wir auf der Basis von Gesetzen und einer
offenen, kooperationsorientierten Sicherheit. Aber wenn wir es mit altmodischeren Staaten außerhalb des postmodernen Kontinents Europa zu tun haben,
müssen wir zu den raueren Methoden einer früheren Zeit zurückkehren: Gewalt, präventive Angriffe, Täuschung — alles
was notwendig ist im Umgang mit denen, die immer noch im 19.Jahrhundert leben, in dem jeder Staat für sich agierte. Unter uns befolgen wir das Gesetz,
aber wenn wir im Dschungel sind, handeln wir nach dem Gesetz des Dschungels."
Der Hauptbeweggrund für die Militarisierung Europas ist der, mit den
desaströsen Folgen des Neoliberalismus fertig zu werden, um die Stabilität des ökonomischen Gesamtsystems zu sichern.
Der zweite Beweggrund ist das Ziel, den freien Zustrom lebenswichtiger Ressourcen zu
garantieren, insbesondere Öl — und das notfalls mit Gewalt.
Dieses Ziel wird bereits ausdrücklich im Europäischen Verteidigungspapier
genannt. Es definiert die vitalen Interessen Europas, die notfalls mit Gewalt verteidigt werden müssen. Eines lautet „ökonomische
Überlebensfähigkeit"; der dazu notwendige militärische Einsatz wird beschrieben als „Stabilitätsexport zum Schutz von
Handelsrouten und dem Fluss von Rohstoffen”
Das Verteidigungspapier beschreibt konkrete Szenarien, wann europäische Truppen
eingesetzt werden sollten. Eines davon ähnelt sehr dem Golfkrieg 1991: „In einem Staat an der Küste des Indischen Ozeans haben
antiwestliche Elemente im Staate X die Macht ergriffen und benutzen das Öl als Waffe, weisen Westler außer Landes und greifen westliche
Interessen an.” Unter diesen Umständen lautet das Ziel: „zu helfen, das besetzte Territorium zu befreien und die Kontrolle über
einige Ölanlagen, Pipelines und Häfen des Landes X zu gewinnen."
Alle Punkte, die die Militarisierung betreffen, sind aus dem Verfassungsvertrag in den neuen Vertrag von Lissabon übernommen worden. Einige
davon würden die Militarisierung heftig ankurbeln, wenn die Eurokraten trotz des irischen Nein bei der Ratifizierung des Vertrags bleiben.
Der Vertrag von Lissabon weitet die Einsatzbereiche für europäische
Kampfmissionen erheblich aus — auf „gemeinsame Entwaffnungsoperationen”, auf „Aufgaben im Krisenmanagement”,
auf „Stabilisierung nach Konflikten”, auf „Unterstützung von Drittstaaten im Kampf gegen den Terror in ihren
Ländern”
Er verpflichtet alle Mitgliedstaaten zum Beistand „gegen terroristische Bedrohung
oder Angriffe” „mit allen Mitteln” Damit kann erstmals Militär auch innerhalb der EU eingesetzt werden.
Der Vertrag von Lissabon verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Aufrüstung; die
Europäische Rüstungsagentur soll dies überwachen.
Er schafft erstmals die Möglichkeit, ein europäisches Rüstungsbudget
aufzustellen — was der Vertrag von Nizza noch verboten hatte. Das Europäische Parlament (EP) hat darüber keine Kontrolle.
Nur die Staats- und Regierungschefs können über europäische
Kampfeinsätze entscheiden, das EP hat nur das Recht, informiert und gehört zu werden. Da der EuGH in diesem Bereich auch keinen Einfluss hat,
ist die Gewaltenteilung in der zentralen Frage von Krieg und Frieden faktisch aufgehoben.
Nur jene Mitgliedstaaten, die sich militärisch qualifiziert haben, indem sie an den
wichtigsten Waffenprogrammen teilgenommen und eine oder mehrere Schlachtgruppen auf die Beine gestellt haben, können eine „permanente
strukturierte Kooperation” eingehen, die das Konsensprinzip, das ansonsten im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik gilt, aushebelt. Sarkozy
hat vorgeschlagen sie zu nutzen, um im Bereich der Militärpolitik ein „Direktorat” aus Frankreich, Großbritannien, Deutschland,
Italien, Spanien und Polen zu schaffen. Kleinere Staaten würden in diesen Fragen an den Rand gedrückt.
Der Vertrag von Lissabon will die doppelte Mehrheitsentscheidung einführen;
Deutschlands Gewicht im Rat würde sich damit verdoppeln (von 8,4% auf 16,73%), andere Staaten wie Frankreich, Großbritannien und Italien
würden ihr Gewicht vergrößern, während alle anderen Staaten erheblich an Einfluss verlieren würden. Diese dramatische
Machtverschiebung soll ab 2014 eingeführt werden.
Ohne den Lissabon-Vertrag können zentrale Projekte für die Militarisierung
der EU nicht umgesetzt werden: kein europäischer Verteidigungshaushalt, kein Militäreinsatz innerhalb der EU, kein militärisches
Kerneuropa, keine Machtverlagerung zwischen den EU-Ländern. Deshalb soll der Vertrag von Lissabon um jeden Preis in Kraft gesetzt werden.
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