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Mit umfassenden diplomatischen Initiativen
und der Entsendung eines Sonderbeauftragten interveniert die Bundesregierung im bewaffneten Konflikt zwischen Georgien und Russland. Man sehe
sich dort „in besonderer Verantwortung”, erklärt das Auswärtige Amt.
Die drei südkaukasischen Staaten, darunter Georgien, gehören zu
den besonderen Interessengebieten der Berliner Außenpolitik: Sie bilden einen prowestlichen Staatengürtel südlich von Russland
und eröffnen dem Westen den direkten Zugang zu den Energieressourcen des Kaspischen Beckens.
Die aktuellen Kriegshandlungen bedrohen nicht nur die deutsche Stellung in dem
Gebiet; sie lassen außerdem die Spannungen zwischen Russland und den USA eskalieren und gefährden damit das Bemühen
Berlins, durch gleichzeitige Zusammenarbeit mit Washington und Moskau die eigene Position zu stärken — nach Art traditioneller
Schaukelpolitik. Die Bundesregierung ist in Versuche zur Eindämmung der Abspaltungskonflikte schon seit den 90er Jahren involviert.
Den Interventionen des deutschen Außenministers in den bewaffneten
Konflikt zwischen Georgien und Russland hat sich am Wochenende auch Bundeskanzlerin Merkel angeschlossen. Nach einer
„bedingungslosen Waffenruhe” seien sämtliche militärischen Kräfte „auf ihre Stellungen vor Ausbruch der
Kampfhandlungen” zurückzuziehen, forderte die Kanzlerin, die die Aktivitäten der französischen EU-
Ratspräsidentschaft im Südkaukasus mit den Berliner Konzepten abstimmte.
Berlin hat starke Interessen im Südkaukasus, die durch die
Kriegshandlungen zwischen Georgien und Russland ernsthaft bedroht werden. Sie kreisen um die Eigenstaatlichkeit Georgiens, die Deutschland nach
der Sezession Tbilissis aus der Sowjetunion als erster Staat weltweit anerkannte. Seitdem bildet das Land gemeinsam mit Armenien und
Aserbaidschan einen Staatengürtel südlich von Russland, der dem unmittelbaren Zugriff Moskaus entzogen und für westlichen
Einfluss offen ist, wenn auch in unterschiedlichem Maße. Mit dem Amtsantritt des gegenwärtigen georgischen Staatspräsidenten
Michail Saakaschwili nach dem von Berlin unterstützten Umsturz Ende 2003 orientierte vor allem Tbilissi bedingungslos auf die EU und die
USA. Dies hat nicht nur geostrategische, sondern auch hohe ökonomische Bedeutung, weil die südkaukasischen Staaten einen schmalen
Landkorridor zwischen Russland und dem Iran bilden; über ihn können die äußerst umfangreichen Energieressourcen des
Kaspischen Beckens nach Westen abgeführt werden, ohne dass Moskau oder Teheran die Kontrolle darüber bekämen. Die aktuelle
Forderung Berlins, Russland solle seine Truppen von georgischem Territorium zurückziehen, hat ihren Ursprung auch in der Sorge um den
Fortbestand des prowestlichen Staatengürtels im Südkaukasus.
Dennoch stößt die georgische Militäroffensive der
vergangenen Woche, die den Einfluss Russlands auf die Teilrepublik Südossetien entscheidend schwächen sollte, in Berlin auf deutliche
Kritik. Hintergrund sind innerwestliche Streitigkeiten um die Kaukasuspolitik. Washington plädiert für ein offensives Vorgehen in
Osteuropa und Zentralasien und verlangt die Aufnahme Georgiens in die NATO; damit soll die Einbindung Tbilissis in die westlichen
Bündnissysteme unumkehrbar werden.
Die Bundesregierung verweigert sich diesem Ansinnen bislang. Zuletzt hat die
Bundeskanzlerin beim NATO-Gipfel Anfang April gegen US-amerikanisches Drängen eine weitere Annäherung Georgiens an das
Kriegsbündnis verhindert. Ursache ist nicht nur die Befürchtung, die deutsch-russische Zusammenarbeit könne ernsten Schaden
nehmen, wenn die NATO sich noch weiter nach Osten ausdehnt. Die USA zielten darauf, „weitere proamerikanisch orientierte Länder
in das Bündnis zu bringen”, um dort die eigene Dominanz auszudehnen, warnte die Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) schon Ende
2006.
Die jetzt von Russland zurückgeschlagene georgische
Militärintervention entspricht dem offensiven Kurs Washingtons, das mehr als 100 Militärberater in Georgien stationiert hat. Sie wird
daher von Berlin, das den eigenen Einfluss wahren will, nicht unterstützt. Bei einer Eskalation der Spannungen zwischen Moskau und
Washington geriete Deutschland in Schwierigkeiten, seine westlichen Beistandspflichten mit der deutsch-russischen Zusammenarbeit in Einklang zu
bringen. Daher besteht die Bundesregierung neben dem Rückzug der russischen Truppen auch auf dem Abzug des georgischen Militärs
aus Südossetien und damit auf der Herstellung des bisherigen Status quo. Gelingt es, dies durchzusetzen, kann sich Berlin Hoffnungen auf
größeren Einfluss bei den Verhandlungen um die Zukunft der Sezessionsgebiete Südossetien und Abchasien machen.
Die deutschen Aktivitäten in den umstrittenen Regionen reichen bis in die
erste Hälfte der 90er Jahre zurück. Seit 1994 sind Soldaten der Bundeswehr im Rahmen der UN-Beobachtermission UNOMIG in
Georgien im Einsatz. UNOMIG wurde mehrere Jahre lang von einem Berliner Diplomaten geleitet, der auch Vorschläge zur
Eindämmung der Sezessionskonflikte unterbreitete. Auch eine OSZE-Mission in Südossetien stand zeitweise unter deutscher
Führung. Ihre Aufwertung ist jetzt erneut im Gespräch.
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