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Man wollte im Hügelzug Asse zeigen, wie toll sich Atommüll versorgen lässt. Jetzt erleben
Deutschlands Endlagerbauer dort ihren größten Alptraum.
Dafür, dass Anette Parlitz und Heinz-Jörg Haury gerade lernen
müssen, wie es sich anfühlt, wenn man zu den Bösen zählt, sind sie entwaffnend nett. Sie haben weder jemanden
umgebracht noch Geld unterschlagen — sie repräsentieren lediglich Asse II, und das ist schlimm genug. Im alten Salzbergwerk Asse II
lagern Atommüllfässer, die bereits rinnen und das Wasser kontaminieren.
Heinz-Jörg Haury kennt die Stollen des Bergwerks schon mehr als
zwanzig Jahre — als höchster Pressesprecher des Helmholtz-Zentrums, der staatlichen Forschungsstelle, die ihren Sitz in München
hat und für die Asse zuständig ist. Die Asse ist eigentlich ein sanfter, grüner Hügelzug südlich von Braunschweig in
Niedersachsen, also weit ab von München, wo Haury lebt und arbeitet. Aber jetzt, wo die Journalisten emsig nach heißen Asse-
Geschichten graben und auch bürgerliche Politiker über den „Skandal Asse” schimpfen, hat man Haury nach
Niedersachsen beordert.
Heinz-Jörg Haury sei ein alter Hase, der viel wisse und es gut mit Journalisten könne, sagen die, die schon seit Jahren gegen die
Asse kämpfen und sich jetzt triumphierend zurücklehnen könnten, weil endlich eingetreten ist, wovor sie ewig warnten. Wenn man
Haury fragt, warum die „ganze Geschichte” gerade jetzt hochkoche, sagt er, er wisse es nicht.
Die „ganze Geschichte”, das sind einige üble Fakten, die
dazu führen dürften, dass eine lang gehegte, kostspielige Idee absäuft — die Idee, hochaktiven Atommüll sicher tief
unter der Erde in einem Salzstock zu vergraben.
In der Asse hat man ausprobiert, wie das einst im geplanten Endlager in Gorleben
im großen Stil vonstatten gehen könnte. Die Asse galt als Forschungsbergwerk, betrieben von der Gesellschaft für
Strahlenforschung (GSF), die heute Helmholtz-Zentrum heißt.
Was als kleiner Versuch begann, hat sich für die Endlagerbauer zur
größten vorstellbaren Katastrophe entwickelt: Wasser dringt in das Bergwerk ein und frisst den Salzstock weg. Zudem leckt das Lager
bereits, cäsiumverseuchtes Wasser tritt aus.
Vor über hundert Jahren trieben Bergleute einen ersten Schacht in die
Asse, um Salz abzubauen. Der erste Schacht soff, wie die Kumpels sagen, bald ab, weil Wasser ins Bergwerk kam. 1906 trieben die Bergleute an
anderer Stelle einen neuen Schacht in den Hügel, Asse II. Zuerst holten sie Kalisalz aus dem Boden, das sich als Dünger verkaufen
ließ, später gewannen sie Steinsalz. 1964 rentierte auch das nicht mehr, die Zeche wurde geschlossen.
Da kaufte die Gesellschaft für Strahlenschutz im Auftrag des Bundes das
Salzbergwerk mit allem Drum und Dran, mit dem Ziel, die sog. „Tiefenlagerung” auszuprobieren. 1967 kamen die ersten gelben
Fässer an — man nannte es „Versuchseinlagerung von schwachradioaktiven Abfällen” Offiziell war die Asse nie
ein Endlager, sondern immer nur ein Bergwerk. Und das ist sie bis heute geblieben, was zur kuriosen Situation führt, dass das Endlager, das
rechtlich keines ist, nicht dem Atomrecht, sondern dem Bergrecht untersteht.
Bis 1978 wurden 125000 Fässer mit schwachaktiven und 1300
Fässer mit mittelaktiven Abfällen in die unterirdischen Hallen gestellt. Platz gibt es genug im Salzstock, der einem Hochhaus im Berg
gleicht: 3,5 Millionen Kubikmeter Hohlraum auf zwanzig Etagen.
1976 trat in Deutschland das revidierte Atomgesetz in Kraft, das den Begriff
„Endlagerung” erstmals juristisch fasste. Damit war klar: Ein Endlager muss ein Bewilligungsverfahren durchlaufen — ein sog.
Planfeststellungsverfahren —, bei dem die Bevölkerung ein beschränktes Mitspracherecht genießt.
Die GSF hatte noch die Bewilligung, bis 1978 Atommüll in der Asse
einzulagern. Danach hätte auch die Asse das übliche Atomverfahren durchlaufen müssen. Die GSF verzichtete darauf und
beschloss, die Asse stillzulegen — unter Bergrecht, nicht unter Atomrecht.
Dreißig Jahre später herrscht immer noch Grabenkrieg. Das
Helmholtz-Zentrum möchte die Asse so schnell wie möglich verfüllen, fluten und vergessen. Die Gegner opponieren: Das
Salzlager fluten sei Wahnsinn — der Müll müsse raus!
Im Förderkorb geht es rasant 700 Meter in die Tiefe. Unter Tage sagt man „Glück auf!” statt „Guten
Tag!” Jeder trägt seine Grubenlampe, seinen Helm und hat einen Selbstretter dabei, eine behäbige Büchse, die einen
für eine Stunde mit Sauerstoff versorgen würde, falls etwas schief ginge.
Heinz-Jörg Haury sagt, er verstehe die Aufregung nicht. Und vor allem
versteht er nicht, warum sie, die Helmholtz-Leute nun an allem schuld sein sollten. „Wir sind besten Willens, versuchen die beste
Lösung zu finden. Geld spielt keine Rolle, hat nie eine Rolle gespielt. Die einzige Frage, die uns interessiert: Was ist die sicherste
Lösung?”, sagt er, und man weiß nicht, ob er nun ehrlich oder nur gewieft ist.
"Bis vor kurzem”, sagt Haury, „konnten wir
regelmäßig Pressekonferenzen organisieren, und es hat niemanden interessiert. Jetzt haben wir fast täglich Journalisten hier. Es
wird auch viel Unsinn geschrieben, über angeblich geheime Versuche, die wir hier unten durchgeführt hätten, die aber nie geheim
waren."
Annette Parlitz startet den weißen Jeep. Sie führt Besucher durch das
alte Salzbergwerk. Der Stollen sieht aus wie ein gewöhnlicher Tunnel, die Wände grau wie Beton. Salzbergwerke gälten unter
Bergleuten als Salonbergwerke, sagt Parlitz und lacht, kein Dreck, kein Staub wie in den Kohlegruben oder im Erz. Die Straße schimmert an
manchen Stellen fein geschmirgelt weiß. Das ist das Salz.
Die Fahrt geht durch den Berg, zwanzig Kilometer finsteres Labyrinth. Parlitz
hält vor einer offenen Kaverne und deutet auf einen grünen, staubigen Deckel, der im Boden eingelassen ist. Hier hat man in die sieben
Meter dicke Salzdecke ein Loch gebohrt und in die darunter liegende Kaverne Atommüllfässer plumpsen lassen. Strahlung ist keine zu
messen, weil Salz vor Strahlung schützt wie Beton.
"Wir sind immer davon ausgegangen, dass die Geologie den
Atommüll sicher verwahren muss”, erklärt Haury. Ein Salzstock hat die Eigenschaft, Hohlräume wieder zu
verschließen. Nach vierzig bis sechzig Jahren ist jeder Tunnel im Salzstock zusammengepresst und verschwunden. Selbstheilung nennt sich
das.
Das Asse-Salz ruht seit 150 Millionen Jahren. Die Hoffnung war, man
könnte den Atommüll ins trockene Salz legen, dieses würde ihn sorgsam umschließen und weitere Jahrmillionen sicher
hüten. Deshalb, sagt Haury, hätten sie auch die nackten Fässer in die Kavernen gelegt und diese nicht mit
Sicherheitsbehältern umschlossen. Sie haben an die Geologie geglaubt — und werden nun eines Besseren belehrt. Aber hier habe man
eben auch Salz abgebaut, sei deswegen zu nahe an die wasserführenden Schichten gegangen — in Gorleben wäre alles anders,
besser, dort sei der Salzstock ungestört.
Seit 1985 kommt von außen Lauge in den Salzstock, sagt Haury. Parlitz
lenkt den Jeep an eine Stelle, wo von der Decke filigrane weiße Stalaktiten herabwachsen. An manchen Stellen regne es förmlich durch
das Gestein, sagen Haury und Parlitz, das könne man nicht abdichten. Insgesamt 12 Kubikmeter Wasser dringen täglich ein, hoch
gesättigtes Salzwasser, das den Berg langsam vernichtet. Ein Kubikmeter dieses Wassers frisst 3 Kubikmeter Kaligestein weg. Palitz leuchtet
mit ihrer Lampe an die Decke, wo sich schon schwarze Schrunden öffnen.
Der Berg wird instabil. In einigen Jahren wird er in sich zusammenstürzen.
Eine Studie sagt, dass dies schon 2014 geschehen könnte.
"Wir haben deshalb nicht mehr viel Zeit und müssen möglichst bald eine praktikable Lösung finden”, sagt Haury.
Ihre Lösung sieht wie folgt aus: Die offenen Kavernen und Tunnels werden mit einem speziellen Salzbeton ausgefüllt, um den Berg zu
stabilisieren. Danach wird der ganze Salzstock mit einer speziellen Lösung — sie nennen es Schutzfluid — geflutet. Klingt
verrückt, das räumt auch Haury ein. Denn das Letzte, was man in einem Salzendlager haben möchte, ist Wasser, weil es nichts
Aggressiveres gibt als Salzwasser. Salzwasser zerfrisst Metallfässer binnen Kürze, zudem können die radioaktiven Stoffe
über das Wasser nach draußen gelangen.
Das Schutzfluid soll nun schwerer sein als die Salzwasserlauge — damit
blieben die Radionuklide unten und würden nicht nach oben gespült. So geht zumindest die Theorie.
Hätte aber ihre Theorie immer gestimmt, herrschte heute nicht dieses Chaos
in der Asse. Dann würde auch kein Cäsium auslaufen. Parlitz startet erneut den Wagen und fährt zu einer dieser verseuchten
Stellen. Sie nennen es Laugensumpf, ein kleiner Teich, dreieinhalb mal vier Meter groß. Abgesperrt durch ein Seil und versehen mit
Warnschildern: „Vorsicht Kontamination!”, „Kontrollbereich Radioaktivität”, „Betreten nur mit
Filmplakette und abnehmbarem Dosimeter” Der Tümpel liegt seit 15 Jahren neben der verschlossenen Kammer 12, in der sich
Fässer mit strahlendem Müll türmen. Vor drei Jahren fand man im Laugensumpf erstmals Radionuklide, heute übersteigt die
Kontamination den erlaubten Grenzwert an Cäsium-137 um das Achtfache.
Sie wüssten nicht, woher das Cäsium komme, sagt Haury.
Vermutlich aus Kammer 12, wo vielleicht die ersten Fässer geborsten sind. Um sicher zu sein, müsste man die Kammer aufbohren, sagt
Haury.
Das verseuchte Wasser pumpten die Asse-Betreiber einige hundert Meter tiefer in
den Salzstock. Als das vor wenigen Wochen herauskam, kochte die Empörung hoch. Haury sagt, es sei ein Fehler gewesen, das nicht
rechtzeitig und klar zu kommunizieren: „Aber was hätten wir denn tun sollen? Dort unten ist das verseuchte Wasser sicherer als weiter
oben, wo Leute arbeiten.” Und nach Bergrecht hätten sie das auch tun dürfen.
Die Asse-Gegner verlangen, dass sie den ganzen Atommüll aus dem
Salzstock nehmen, meint Haury, aber das sei sicher keine gute Lösung. Die, die das tun müssten, wären großen
Strahlenbelastungen ausgesetzt, was kaum zu verantworten wäre.
Der leitende Ingenieur der Asse, Günter Kappei, rechnete kürzlich
vor, den ganzen Abfall wieder herauszuholen, würde 2—3 Milliarden Euro kosten und etwa vierzig Jahre dauern — zudem
würde das Helmholtz-Zentrum damit „zu Deutschlands größtem Erzeuger von radioaktivem Abfall” Eine elegante
Form auszudrücken, dass die Suche nach einem sicheren Atommüllendlager vollkommen gescheitert ist.
Am ersten Juliwochenende wanderten Hunderte von Asse-Gegner hinauf zum Förderturm der Asse. Politiker aller Farben stiegen aufs
Podium und sagten, sie fänden das mit der Asse einen unerhörten Skandal, das Bergwerk dürfe auf keinen Fall geflutet werden.
Niemand will mehr mit den Helmholtz-Leuten einer Meinung sein, auch nicht der
Bauer von der CDU, der eigentlich Atomkraft ganz in Ordnung findet. Und auch nicht der FDP-Abgeordnete, der sich inzwischen als Asse-Spezialist
gebärdet.
Peter Dickel, der wirkliche Endlagerspezialist mit dem roten Bart, freut sich leise,
dass die Asse endlich Schlagzeilen macht. „Der eigentliche Skandal aber ist”, sagte er auf jener Kundgebung, „dass in dieses
alte Bergwerk überhaupt je Atommüll eingelagert wurde. Und ein Skandal ist auch, dass seit zwanzig Jahren Lauge in den Schacht
läuft und wir trotzdem all die Jahre nichts anderes gehört haben als Beschwichtigungen.” Die Gefahren seien von Anfang an
bekannt gewesen, schon im Juli 1964 hätten die umliegenden Gemeinden vor dem Wasser im Salzstock gewarnt. Die Betreiber wie die
zuständigen Politiker hätten aber nichts davon hören wollen.
Dickel erzählt später von Professor Klaus Kühn, der dank der
Asse zum Endlagerpapst Deutschlands wurde. Er hatte Salz als bestes Endlagergestein gepriesen, die Asse konzipiert und unverfroren behauptet:
Wasser- und Laugeneinbrüche seien „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen” Kühn war
es auch, der Gorleben als Standort für den hochaktiven Müll auserkor. Wenn nun seine Asse jämmerlich absäuft,
dürfte Gorleben fast zwangsläufig mit untergehen.
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