SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-
Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 18

Widerstand gegen Raketenschild

Gegner in Polen und Tschechien fürchten, in eine Vasallenposition zu geraten

von Boleslaw Jaszczuk

Die Installation von US-Radaranlagen in Polen und Tschechien soll Europa angeblich vor der iranischen Atombombe schützen.
Zum Abschluss der Amtszeit von George W.Bush sollten die Verträge mit Polen und Tschechien unter Dach und Fach sein. Am 8.Juli leistete die tschechische Regierung feierlich ihre Unterschrift unter den Vertrag. Eine große Demonstration in Prag gegen den „Raketenschild” wurde weder von Condoleezza Rice noch vom tschechischen Premier Mirek Toplanek beachtet. Zwei Tage später traf Rice in Warschau ein, um eine ähnliche Unterschrift der polnischen Regierung zu melden. Hier traf sie auf erheblich größeren Widerstand. Erst Mitte August stimmt auch die polnische Regierung der Errichtung von zwei Raketenabschussbasen zu, nachdem die USA sich zu einer substanziellen Militärhilfe, zur Stationierung zusätzlicher moderner Patriot-Raketen und zum Beistand „im Falle militärische Bedrohung durch Dritte” bereit erklärt haben. Über polnische Position gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen der Partei der Regierung und der des Staatspräsidenten. Der nachstehende Artikel wurde Anfang Juli geschrieben.
In der polnischen Innen- und Außenpolitik gilt der infantile Grundsatz: „dem politischen Gegner zum Trotz” Sie resultiert aus der permanenten Rivalität zwischen der regierenden Bürgerplattform (PO) und der oppositionellen, vom Staatspräsidenten gestützten PiS (Recht und Gerechtigkeit). Kommt die Bürgerplattform zu einer schnellen Ratifizierung des Lissabon-Vertrags, lässt sich der Staatspräsident mit der Unterschrift Zeit. Hat Jaroslaw Kaczynski mit den Amerikanern eine Vereinbarung über die Raketenbasen getroffen, wollen Premierminister Tusk und seine Mannschaft eigene Verhandlungen führen, um aus den Yankees ein paar Patriotraketen und 20 Milliarden Dollar herauszuschlagen.
Bei den Wählern setzt sich der Eindruck fest, die Bürgerplattform sei pro USA und die PiS pro EU. Dies ist insofern bedeutungslos, weil die EU an sich pro amerikanisch ist und die USA immerhin keine Feinde der EU sind. Bei der PiS spielen vor allem Vorbehalte gegenüber Russland eine Rolle. Der PiS-Politiker Przemyslaw Gosiewski wollte in einem eventuellen Scheitern der Verhandlungen mit den USA nur sehen, dass „19 Jahre nach dem Fall des Kommunismus Russland weiter Einfluss darauf hat, was für Polens Sicherheit von Bedeutung ist”
Fakt ist, dass die Regierung der Bürgerplattform — der PiS zum Trotz — sich bemüht, die diplomatischen Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Dennoch wird niemand annehmen, dass die Regierung von Donald Tusk sich russischen Einflüssen aussetzt. Gegen wen sollen die von ihm geforderten Patriotraketen denn gerichtet sein, wenn nicht gegen die Russen?

Arroganz anstatt Demokratie

Die USA haben selbst dazu beigetragen die innerpolitischen Streitigkeiten in Polen anzuheizen, indem sie sowohl mit der Regierung als auch mit dem Staatspräsidenten Verhandlungen führten und damit einen institutionellen Konflikt anheizten.
So wird der Bau einer Raketenabschussbasis in Polen zwischen drei Parteien verhandelt — Präsident Kaczynski mit seinem Lager, Premier Donald Tusk mit seiner Regierung, und die US-Administration samt der amerikanischen Wirtschaft. Firmen wie Boeing haben mit dem Pentagon schon einen Vertrag unterzeichnet.
Der wichtigste Partner wurde allerdings nicht um seine Meinung gefragt, nämlich der polnische Bürger. Dies entspricht dem üblichen Demokratieverständnis — den Bürgern wird ein Mitspracherecht, zum Beispiel durch Referenden, verweigert. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht mit dem Willen der Regierenden übereinstimmen, bleiben ihnen nur Meetings und Demonstrationen, um ihren Willen kundzutun in.
Das Problem zeigt sich besonders in der Tschechischen Republik. Die jetzige Regierung trifft bei den Raketenbasen auf scharfen Widerstand der Opposition — der Kommunisten und der Sozialdemokraten. Es ist davon auszugehen, dass bei den anstehenden Wahlen sich die politischen Mehrheitsverhältnisse diametral ändern und die heute regierende Mitte-Rechts-Koalition in die Opposition kommt. Für die neue Regierung wird es sehr schwer sein, die amerikanischen Basen zu liquidieren. Das „tschechische” Radar soll nämlich zu dem System gehören, dass mit den polnischen Abschussbasen verbunden ist. Dadurch sollen die beiden Länder in eine gegenseitige Abhängigkeit und gleichzeitig in eine feste und dauerhafte Abhängigkeit von den USA gebracht werden.

Polen ohne Abschussbasen?

Ist es im Interesse Polens, ständig von einem arroganten Abenteurer abhängig zu sein — mit allen Konsequenzen? Donald Tusk und seine Mannschaft sind bereit, Vasallen der USA zu werden — ihnen geht es allein darum, möglichst viel diplomatischen Einfluss in Washington zu gewinnen. Die Verhandlungen gehen weiter, erklärt der polnische Premier.
Die Verhandlungen sind dem Nimbus des Geheimen umgeben. Trotzdem sickern Informationen durch. Sie kommen aus dem tschechischen Außenministerium — sicher im Einverständnis mit den Amerikanern. Daraus geht hervor, dass die USA eine Batterie von Patriotraketen aufstellen wollen, die unter US-amerikanischem Befehl stehen werden, bei Bedarf wären Konsultationen mit der polnischen Armee möglich. Wie eine höhere Beamtin aus dem tschechischen Außenministerium, Veronika Kuchynová-Smigolová, zu berichten weiß, sind die USA an einer Arbeitsgruppe über die Modernisierung der polnischen Streitkräfte interessiert. Woraus ihrer Meinung nach hervorgeht, dass die USA sich an den Militärausgaben beteiligen würden.
Solch ein Verhalten ist typisch für Washington. Die USA sind bereit, Dollars an Partner fließen zu lassen, die geopolitisch eine strategische Position einnehmen, wie Ägypten, Israel, Pakistan. Ähnlich sieht es wohl auch der demokratische Präsidentschaftskandidat Barak Obama. Er hat sich schon eine Liste der wichtigsten Partnerländer zusammenstellen lassen, die er besuchen will. Polen steht nicht auf dieser Liste.
Polen ist jedoch als Lieferant von Kanonenfutter bei weiteren „stabilisierenden” Militärmissionen vorgesehen, auch als geeigneter Ort für geheime Gefängnisse zur Drangsalierung von Terrorverdächtigen. Forderungen darf Polen dafür keine stellen. Die Raketenabschussbasis muss nicht unbedingt in Polen stationiert sein, wo der Premier nicht in der Lage ist, sich mit dem Präsidenten zu verständigen. Deswegen wurde auch das Gerücht in Umlauf gebracht, die Basis könne auch in Litauen gebaut werden; der dortige Premier Gediminias Kirkilas bedachte den Vorschlag mit Beifall.
Unabhängig davon wo der Raketenschutzschild stehen wird, wird er die Vorherrschaft des US-Militärs in Europa stärken. Der Rüstungswettlauf zwischen den USA und Russland wird sich dadurch verstärken, die Gefahr von Terroranschlägen wird wachsen. Die Terrorgefahr wiederum wird zu Anlass genommen werden, die Bürger noch schärfer zu kontrollieren — wie es schon in den USA der Fall ist. Darüber sind sich die realistisch denkenden Gegner des Raketenabwehrsystems einig — ganz im Gegensatz zu den kurzsichtigen Vasallen in der politischen Elite.

Aus: Trybuna Robotnicza, 10.7.2008 (www.trybuna-robotnicza.pl) (Übersetzung: Norbert Kollenda).


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang