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Die Installation von US-Radaranlagen in Polen und Tschechien soll Europa angeblich vor der iranischen Atombombe
schützen.
Zum Abschluss der Amtszeit von George W.Bush sollten die Verträge mit Polen
und Tschechien unter Dach und Fach sein. Am 8.Juli leistete die tschechische Regierung feierlich ihre Unterschrift unter den Vertrag. Eine große
Demonstration in Prag gegen den „Raketenschild” wurde weder von Condoleezza Rice noch vom tschechischen Premier Mirek Toplanek
beachtet. Zwei Tage später traf Rice in Warschau ein, um eine ähnliche Unterschrift der polnischen Regierung zu melden. Hier traf sie auf erheblich
größeren Widerstand. Erst Mitte August stimmt auch die polnische Regierung der Errichtung von zwei Raketenabschussbasen zu, nachdem die
USA sich zu einer substanziellen Militärhilfe, zur Stationierung zusätzlicher moderner Patriot-Raketen und zum Beistand „im Falle
militärische Bedrohung durch Dritte” bereit erklärt haben. Über polnische Position gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen
der Partei der Regierung und der des Staatspräsidenten. Der nachstehende Artikel wurde Anfang Juli geschrieben.
In der polnischen Innen- und Außenpolitik gilt der infantile Grundsatz: „dem
politischen Gegner zum Trotz” Sie resultiert aus der permanenten Rivalität zwischen der regierenden Bürgerplattform (PO) und der
oppositionellen, vom Staatspräsidenten gestützten PiS (Recht und Gerechtigkeit). Kommt die Bürgerplattform zu einer schnellen
Ratifizierung des Lissabon-Vertrags, lässt sich der Staatspräsident mit der Unterschrift Zeit. Hat Jaroslaw Kaczynski mit den Amerikanern eine
Vereinbarung über die Raketenbasen getroffen, wollen Premierminister Tusk und seine Mannschaft eigene Verhandlungen führen, um aus den
Yankees ein paar Patriotraketen und 20 Milliarden Dollar herauszuschlagen.
Bei den Wählern setzt sich der Eindruck fest, die Bürgerplattform sei pro USA
und die PiS pro EU. Dies ist insofern bedeutungslos, weil die EU an sich pro amerikanisch ist und die USA immerhin keine Feinde der EU sind. Bei der PiS
spielen vor allem Vorbehalte gegenüber Russland eine Rolle. Der PiS-Politiker Przemyslaw Gosiewski wollte in einem eventuellen Scheitern der
Verhandlungen mit den USA nur sehen, dass „19 Jahre nach dem Fall des Kommunismus Russland weiter Einfluss darauf hat, was für Polens
Sicherheit von Bedeutung ist”
Fakt ist, dass die Regierung der Bürgerplattform — der PiS zum Trotz
— sich bemüht, die diplomatischen Beziehungen zu Russland zu normalisieren. Dennoch wird niemand annehmen, dass die Regierung von Donald
Tusk sich russischen Einflüssen aussetzt. Gegen wen sollen die von ihm geforderten Patriotraketen denn gerichtet sein, wenn nicht gegen die Russen?
Die USA haben selbst dazu beigetragen die innerpolitischen Streitigkeiten in Polen anzuheizen, indem sie sowohl mit der Regierung als auch mit dem
Staatspräsidenten Verhandlungen führten und damit einen institutionellen Konflikt anheizten.
So wird der Bau einer Raketenabschussbasis in Polen zwischen drei Parteien verhandelt
— Präsident Kaczynski mit seinem Lager, Premier Donald Tusk mit seiner Regierung, und die US-Administration samt der amerikanischen
Wirtschaft. Firmen wie Boeing haben mit dem Pentagon schon einen Vertrag unterzeichnet.
Der wichtigste Partner wurde allerdings nicht um seine Meinung gefragt, nämlich der
polnische Bürger. Dies entspricht dem üblichen Demokratieverständnis — den Bürgern wird ein Mitspracherecht, zum Beispiel
durch Referenden, verweigert. Wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht mit dem Willen der Regierenden übereinstimmen, bleiben ihnen nur
Meetings und Demonstrationen, um ihren Willen kundzutun in.
Das Problem zeigt sich besonders in der Tschechischen Republik. Die jetzige Regierung
trifft bei den Raketenbasen auf scharfen Widerstand der Opposition — der Kommunisten und der Sozialdemokraten. Es ist davon auszugehen, dass bei
den anstehenden Wahlen sich die politischen Mehrheitsverhältnisse diametral ändern und die heute regierende Mitte-Rechts-Koalition in die
Opposition kommt. Für die neue Regierung wird es sehr schwer sein, die amerikanischen Basen zu liquidieren. Das „tschechische” Radar
soll nämlich zu dem System gehören, dass mit den polnischen Abschussbasen verbunden ist. Dadurch sollen die beiden Länder in eine
gegenseitige Abhängigkeit und gleichzeitig in eine feste und dauerhafte Abhängigkeit von den USA gebracht werden.
Ist es im Interesse Polens, ständig von einem arroganten Abenteurer abhängig zu sein — mit allen Konsequenzen? Donald Tusk und
seine Mannschaft sind bereit, Vasallen der USA zu werden — ihnen geht es allein darum, möglichst viel diplomatischen Einfluss in Washington zu
gewinnen. Die Verhandlungen gehen weiter, erklärt der polnische Premier.
Die Verhandlungen sind dem Nimbus des Geheimen umgeben. Trotzdem sickern
Informationen durch. Sie kommen aus dem tschechischen Außenministerium — sicher im Einverständnis mit den Amerikanern. Daraus geht
hervor, dass die USA eine Batterie von Patriotraketen aufstellen wollen, die unter US-amerikanischem Befehl stehen werden, bei Bedarf wären
Konsultationen mit der polnischen Armee möglich. Wie eine höhere Beamtin aus dem tschechischen Außenministerium, Veronika
Kuchynová-Smigolová, zu berichten weiß, sind die USA an einer Arbeitsgruppe über die Modernisierung der polnischen
Streitkräfte interessiert. Woraus ihrer Meinung nach hervorgeht, dass die USA sich an den Militärausgaben beteiligen würden.
Solch ein Verhalten ist typisch für Washington. Die USA sind bereit, Dollars an
Partner fließen zu lassen, die geopolitisch eine strategische Position einnehmen, wie Ägypten, Israel, Pakistan. Ähnlich sieht es wohl auch der
demokratische Präsidentschaftskandidat Barak Obama. Er hat sich schon eine Liste der wichtigsten Partnerländer zusammenstellen lassen, die er
besuchen will. Polen steht nicht auf dieser Liste.
Polen ist jedoch als Lieferant von Kanonenfutter bei weiteren
„stabilisierenden” Militärmissionen vorgesehen, auch als geeigneter Ort für geheime Gefängnisse zur Drangsalierung von
Terrorverdächtigen. Forderungen darf Polen dafür keine stellen. Die Raketenabschussbasis muss nicht unbedingt in Polen stationiert sein, wo der
Premier nicht in der Lage ist, sich mit dem Präsidenten zu verständigen. Deswegen wurde auch das Gerücht in Umlauf gebracht, die Basis
könne auch in Litauen gebaut werden; der dortige Premier Gediminias Kirkilas bedachte den Vorschlag mit Beifall.
Unabhängig davon wo der Raketenschutzschild stehen wird, wird er die
Vorherrschaft des US-Militärs in Europa stärken. Der Rüstungswettlauf zwischen den USA und Russland wird sich dadurch
verstärken, die Gefahr von Terroranschlägen wird wachsen. Die Terrorgefahr wiederum wird zu Anlass genommen werden, die Bürger
noch schärfer zu kontrollieren — wie es schon in den USA der Fall ist. Darüber sind sich die realistisch denkenden Gegner des
Raketenabwehrsystems einig — ganz im Gegensatz zu den kurzsichtigen Vasallen in der politischen Elite.
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