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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2008, Seite 18

Wer bekommt den Schwarzen Peter?

Warum die WTO-Verhandlungen in Genf gescheitert sind

von Martin Khor

Nun da sich die Aufregung über das Scheitern der WTO-Verhandlungen in Genf gelegt hat, zeigt sich immer deutlicher, welch wichtige Rolle die afrikanischen Staaten gespielt haben.
Aus 40 Staaten waren Minister zu den Verhandlungen in den UNO-Palast nach Genf geladen worden. Die Verhandlungen führten jedoch die großen Sieben — die USA, EU, Australien und Japan auf der einen, Indien, China und Brasilien auf der anderen Seite.
Den G7 gelang es nicht, in der wichtigen Frage des Schutzes vor Importen zu einem Ergebnis zu gelangen, die Verhandlungen scheiterten daran. Über Baumwolle sollte erst nach dem Tagesordnungspunkt „Schutz vor Importen” diskutiert werden; es kam jedoch nicht mehr dazu. Vermutlich zeigten sich die USA beim Thema Schutz vor Importen so unerklärlich halsstarrig, um das Thema Baumwolle zu vermeiden.
Bei diesen beiden entscheidenden Verhandlungspunkten — dem „Besonderen Schutzmechanismus” (SSM) und der Baumwolle — spielten jedoch die Afrikanische Gruppe und andere sog. Entwicklungsländer wie die G33 eine entscheidende Rolle. Zu beiden Themen vertraten sie einen festen Standpunkt; die zentrale Rolle spielten die afrikanischen Staaten.
Die Länder der sog. Ersten Welt, insbesondere die USA, versuchten hinterher, Indien als Sündenbock darzustellen: Indien habe mit seinem unnachgiebigen Standpunkt in Sachen Schutz vor Importen eine Einigung verhindert.
Neben Indien gehörte in den Augen des Westens auch China zu den Blockierern, diese beiden Länder hätten den „Besonderen Schutzmechanismus” dazu nutzen wollen, den Zugang zu ihren Märkten zu verwehren.
Erst später wurde klar, dass Indien in seinem Kampf für einen ordentlichen Schutz vor Importen von rund 100 Ländern der Rücken gestärkt wurde. Nun konnten die USA den Widerstand nicht mehr als alleiniges Problem Indiens darstellen. Die meisten Entwicklungsländer sind für einen Schutzmechanismus, der den Namen verdient, um ihre Bauern vor einer plötzlichen Zunahme von Importen zu schützen. Der „Besondere Schutzmechanismus” sollte z.B. zulassen, dass die Zölle angehoben werden können, wenn die Preise der einheimischen Agrarprodukte wegen der Importe zu sehr fallen.

Die Baumwolle

Pascal Lamy, der Direktor der WTO, versuchte mit einem neuen Vorschlag die Pattsituation noch einmal aufzubrechen — vergeblich. Als Susan Schwab, die Vertreterin der USA, ihn rigoros ablehnte, waren die WTO-Verhandlungen gescheitert.
Viele Minister und Diplomaten sind jedoch der Ansicht, die „Besonderen Schutzmechanismen” seien jedoch nicht der wahre Grund für das Scheitern. In Wahrheit hätten die USA vermeiden wollen, dass das Thema Baumwolle zur Sprache kommt — es wäre der nächste Tagesordnungspunkt gewesen.
Die USA hatten bislang zugestimmt, ihre allgemeinen Agrarzuschüsse um 70% zu senken. Weil jedoch vereinbart worden war, die Baumwollzuschüsse stärker als die allgemeinen Agrarsubventionen zu kürzen, hätten sie nun die Zuschüsse zum Baumwollanbau noch stärker senken müssen.
Das 2008 verabschiedete US-Agrargesetz sieht jedoch vor, dass die Baumwollsubventionen in den nächsten fünf Jahren gleich bleiben oder sogar steigen. Somit wäre es für Susan Schwab schwierig geworden, einer Senkung zuzustimmen.
Ohne Senkung der Subventionen verkaufen die USA ihre Baumwolle weiterhin zu Dumpingpreisen und gefährden damit den Handel und das Einkommen afrikanischer Baumwollfarmer.
Wäre also auch noch über die Baumwolle verhandelt worden, wäre der Schwarze Peter für das Scheitern der Verhandlungen bei den USA gelandet. Es wäre klar zutage getreten, dass wenige tausend Baumwollfarmer gut leben können, während ihre afrikanischen Kollegen in Armut leben.
Der Verdacht, dass die USA sich diese Blamage ersparen wollten, bildete den Hintergrund für die Kommentare einiger Minister aus Entwicklungsländern. Die USA werfen nämlich gern anderen Protektionismus vor, praktizieren ihn jedoch selbst.
Was passiert nach der Sommerpause? Das weiß keiner. Es wird vermutet, dass die Treffen fortgesetzt werden, ohne viel Schwung, nicht zuletzt weil die US-Wahlen bevorstehen.
Allgemein wird erwartet, dass bis zur Amtseinführung des neuen US- Präsidenten und des neu gewählten Kongresses nichts Neues passiert. Bis dahin wird es auch in anderen Staaten neue Regierungen bzw. Handelsminister geben.
Es wird also schwierig sein, die WTO-Verhandlungen auf derselben Ebene fortzusetzen, sie könnten im Sand verlaufen. In der Vergangenheit war die Verhandlungsmaschinerie der WTO ziemlich zäh. Wer weiß ob und wann sie wieder auf vollen Touren läuft.

Der Autor ist Direktor des Third World Network, eine globalisierungskritische NGO. Weitere Artikel zum Thema auf www.twnside.org. (Übersetzung: Angela Huemer.)


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