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Es war wie das gleichsam letzte Aufflackern des „roten Jahrzehnts” der 70er Jahre, als in den Jahren 1983 und
1984, vor nun einem Vierteljahrhundert, zwei Aufsatzbände des politischen Psychologen und Theoretikers Peter Brückner im Westberliner
Wagenbach-Verlag erschienen. Die dort versammelten Aufsätze und Artikel bilden einen nicht unwesentlichen Teil des denkerischen Nachlasses des
1982, kurz vor seinem 60.Geburtstag viel zu früh verstorbenen Vordenker der westdeutschen Neuen Linken. Mit der Neuen Linken selbst jedoch, die
bereits Ende der 70er Jahre in eine tiefgreifende Zerfallskrise geraten war, geriet auch Peter Brückners Denken im Laufe der 80er Jahre in weitgehende
Vergessenheit — sieht man einmal ab von seinem Bestsellerbüchlein über Ulrike Meinhof, das auch in den folgenden Jahrzehnten Auflage
um Auflage erlebte, aber weniger wegen Brückner denn wegen Meinhof gelesen wurde.
Wie weitgehend Brückner auch heute noch aus dem kollektiven Gedächtnis
nicht nur der deutschen Linken verdrängt ist, lässt sich zwanglos daran ersehen, dass in all den Tonnen von Papier über den westdeutschen
Links-Terrorismus und die 68er-Revolte selbst der bloße Name Brückners kaum zu registrieren war und ist. Dabei war er nicht nur einer unter
anderen, sondern sicherlich derjenige unter den linken politischen Wissenschaftlern, der den Spagat des teilnehmenden Analytikers am konsequentesten
durchlebte. Keiner derjenigen, die zu verstehen suchen, wie „die 68er” oder die RAFler dachten und wie man dieses Denken und Handeln
verstehend deuten kann, wird am Werk Brückners vorbeigehen können. Dass dies trotzdem getan wird, sagt viel aus über das
gegenwärtige Niveau der Diskussionen.
Einmal veröffentlichtes Papier jedoch, heißt es, ist geduldig. Und so kommen
langsam auch Peter Brückners Schriften wieder an die Oberfläche. Nachdem bereits 2004 seine zentrale Schrift zur Sozialpsychologie des
Kapitalismus neu aufgelegt wurde, ist nun im Wagenbach-Verlag eine kleine Auswahl der beiden oben genannten Aufsatzbände neu aufgelegt worden.
Vergleicht man das neue, offensichtlich für ein junges, neu politisiertes Publikum hergerichtete Bändlein mit den beiden Ursprungsbänden,
so fällt schnell auf, was sich im letzten Vierteljahrhundert getan haben muss im Staate Deutschland. Von den einstmals 29 (zum Teil durchaus schwer
verdaulichen) Aufsätzen sind in der neuen Ausgabe nur noch ganze 7 übrig geblieben, und von einstmals über 450 eng bedruckten nur noch
140 großzügig gestaltete Seiten. Auch inhaltlich überwiegt der Peter Brückner der 60er Jahre, der politische Psychologe, der auf
erhellende Weise über die Pathologie des Gehorsams und die Psychologie des Mitläufers, über Vorurteile und über
„Zivilcourage am unsicheren Ort” reflektiert, obwohl er doch, wie Barbara Sichtermann in ihrer wunderschönen, kämpferisch-
melancholischen Einleitung betont, im Laufe der 70er Jahre immer weniger Psychologe und immer mehr politischer Theoretiker und Historiker wurde.
Dass dies nicht gegen diesen Band spricht, versteht jeder, der sich auf die Neulektüre
der genannten Beiträge einlässt. Hier kann man ermessen, was die politische Psychologie einmal gewesen ist, als sie noch mit einem
aufgeklärt-sozialistischen Bewusstsein betrieben wurde. Und doch hätte ich mir natürlich mehr Texte aus den 70er Jahren gewünscht,
denn gerade dort, wo Brückner auch im neuen Band den Bogen zieht von der politischen Psychologie zur politischen Bewegung und ihren theoretischen
Grundlagen, da blitzt seine Aktualität unmittelbar auf. „Die richtige Aussage”, schreibt er bspw. in seinem „Nachruf auf die
Kommunebewegung” von 1972, „dass wir menschliches Bewusstsein auf Dauer nur umwerfen können, wenn wir die materiellen,
strukturellen Verhältnisse ändern, unter denen Menschen leben, muss ergänzt werden durch eine gleichfalls richtige: dass wir aber diese
Verhältnisse nur dann vollständig ändern, wenn wir zugleich auch das Umwerfen von Bewusstsein zum Thema politischer
Agitation und Arbeit machen."
Wie kein anderer hat sich der „schöne jüdische Sachse” mit
dem „untrüglichen Gespür für die subtilen Herrschaftsmechanismen” (Sichtermann) beiden Seiten der Medaille gewidmet,
der materialistischen Aufklärung der westdeutschen (und nun gesamtdeutschen) Verhältnisse wie den seelischen Verstrickungen der gegen diese
mehr oder weniger Aufbegehrenden. Ein Lobredner des zivilgesellschaftlichen Ungehorsams war er, der doch immer auch gleichzeitig um dessen Dialektik
wusste und vor „In-Group-Verfestigung” und der „Regression ins Ghetto der Gegengesellschaft”, vor „Praxisverlust
und damit auch Entpolitisierung” warnte: „Emanzipative Gesellungsformen bedürfen also erstens der Solidarität, zweitens einer
gewissen Exterritorialität, die durch einen politisierbaren Konflikt noch mit der Gesellschaft zu vermitteln sein muss; drittens bedürfen sie einer
emanzipativen Theorie, die es zugleich gestattet, denkend, aus der Geschichte, Maximen für eigenes soziales Handeln abzuleiten.” Die Sprache
mag heute viele befremden. Der Inhalt jedoch könnte aktueller kaum sein.
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