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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 03

Der kurze Krieg im Südkaukasus - Punktsieg für Russland

Georgiens Image als verlässlicher Energiekorridor ist angeschlagen

von Michael T. Klare

Im Wettstreit zwischen Russland und dem Westen um die Kontrolle des kaspischen Öls hat Russland einen Punktsieg errungen.
Viele westliche Analysten interpretieren die Kämpfe im Kaukasus als den Beginn eines neuen Kalten Krieges — eine kleine prowestliche Demokratie wehrt sich tapfer gegen eine brutale Reinkarnation von Stalins Sowjetunion. Andere sahen in ihnen einen Rückfall in die uralte ethnisch geprägte Politik im Südosten Europas, bei der verschiedene Minderheiten aktuelle Grenzkonflikte nutzen, um alte Rechnungen zu begleichen.
Keine dieser Erklärungen trifft es genau. Um die Unruhen im Kaukasus richtig zu verstehen, muss man den Konflikt als kleinen Schlagabtausch in einem wesentlich größeren geopolitischen Kampf zwischen Moskau und Washington um die Energieressourcen rund um das Kaspische Meer betrachten. Dabei erscheint der ehemalige russische Präsident und derzeitige Premierminister Wladimir Putin als geostrategischer Schachmeister, während das Team um Präsident Bush bestenfalls als Amateure auftritt.
Letztlich geht es bei dem Wettstreit um die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen aus dem Kaspischen Meer und um die Garantie, dass diese die Märkte in Europa und Asien erreichen.
In den 90er Jahren sah man im Kaspischen Meer die vielversprechendste neue Öl- und Gasquelle, und so eilten die großen westlichen Energiekonzerne in die Region, um die einmalige Gelegenheit zu nutzen. Sie hatten es nicht schwer, die jungen unabhängigen kaspischen Staaten davon zu überzeugen, Abkommen mit ihnen zu unterzeichnen. Diese waren erpicht darauf, westliche Investoren — und die damit einhergehenden Schmiergelder — anzulocken und sich so aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Moskau zu befreien.
Aber da gab es einen mächtigen Haken: Wie all das neue Öl und Gas zu den westlichen Märkten transportieren? Das Kaspische Meer ist ein Binnensee, große Tankschiffe kommen dort nicht hin, und die existierenden Pipelines verliefen durch russisches Territorium und waren in der Infrastruktur der Sowjetära verankert. In Washington wollte man US-Firmen durchaus den Zugang zum kaspischen Öl erleichtern, aber nicht, dass der Öl- und Gasstrom nach Westen durch Russland führe, das bis vor kurzem der wichtigste Rivale der USA gewesen war.

Die Jagd zum Kaspischen Meer

Was nun? Präsident Clinton dachte als Erster daran, das erst seit kurzem unabhängige, energiearme Georgien in einen „Energiekorridor” zu verwandeln, der Russland vollständig links liegen lassen würde. Eine erste Pipeline wurde gebaut; sie transportiert Öl von den neu erschlossenen Ölfeldern im aserbeidschanischen Teil des Kaspischen Meers bis Supsa an der georgischen Schwarzmeerküste, wo es auf Tanker verladen wird, die es zu den internationalen Märkten bringen.
Dem folgte ein noch gewagterer Plan: der Bau der 1600 Kilometer langen BTC-Pipeline von Baku in Aserbaidschan nach Tiflis in Georgien und von dort aus weiter nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste. Erneut war das Ziel, Russland, das sich in der Zwischenzeit in eine zunehmend verarmte ehemalige Supermacht verwandelt hatte, auszuschließen.
Clinton begleitete jede Phase der Entwicklung der BTC-Pipeline, von der Konzeption bis zu den formalen Festlegungen, die Washington den drei daran beteiligten Ländern auferlegte. Die letzten Arbeiten an der Pipeline wurden 2006 beendet. Clintons Ziel war, „Russlands Monopol über die Kontrolle des Öltransports aus der Region zu brechen”, wie Sheila Heslin vom National Security Control einem Untersuchungsausschuss des Senats unverblümt mitteilte.
Clinton sah, dass diese Strategie mit Risiken behaftet war, weil der favorisierte „Energiekorridor” durch bzw. entlang wichtiger Unruhegebiete führte. Clinton beschloss deshalb, die georgische Armee in einen militärischen Stellvertreter der USA umzuwandeln, ausgestattet und ausgebildet vom amerikanischen Verteidigungsministerium. Allein von 1998 bis 2000 erhielt Georgien 302 Millionen Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe von den USA — mehr als irgendein anderes kaspisches Land.
Im Laufe der Jahre wurde Clinton zum wichtigsten Schachspieler in der kaspischen Region, während sein russisches Gegenstück, Boris Jelzin, zu sehr mit innenpolitischen Schwierigkeiten sowie einem bitteren, teuren und anhaltenden Guerillakrieg in Tschetschenien beschäftigt war, um ihm Paroli bieten zu können. Führende russische Funktionäre aber waren über die wachsende US-Präsenz in ihrem südlichen Vorgarten besorgt.

Russlands Comeback

In diesem kritischen Moment übernahm Wladimir Putin das Ruder, ein um vieles besserer Spieler. Am 26. März 2000 wurde er für vier Jahre gewählt. Die Politik im Kaukasus und in der kaspischen Region änderte sich schlagartig.
Noch bevor er seine Präsidentschaft antrat, deutete Putin an, die staatliche Kontrolle über die Energieressourcen sei die Grundlage für Russlands Rückkehr als Supermacht. Er verfügte die erneute Verstaatlichung vieler Energiefirmen, die Jelzin privatisiert hatte, darunter vor allem Yukos, einer der größten privaten Energiekonzerne Russlands. Er verstaatlichte auch Gazprom, den weltweit größten Gaslieferanten, und platzierte einen seiner Protegés, Dmitri Medwedew, an dessen Spitze.
Danach richtete Putin seine Aufmerksamkeit auf das Kaspische Becken. Hier war seine Absicht nicht so sehr die, die Energieressourcen zu besitzen — obwohl russische Firmen in den letzten Jahren Anteile an kaspischen Öl- und Gasfeldern erworben haben —, sondern die Exportwege nach Europa und Asien zu kontrollieren.
Russland hatte dabei einen beträchtlichen Vorteil: Ein Großteil des Öls aus Kasachstan floss bereits durch die Röhren des Kaspischen Pipelinekonsortiums (CPC) in den Westen. Diese Pipeline führt durch Russland, bevor sie am Schwarzen Meer endet. Zudem floss das Gas Zentralasiens weiterhin durch russische Pipelines, die in Sowjetzeiten errichtet worden waren. Aber Putin verfolgte ein viel ehrgeizigeres Ziel. Er wollte sicherstellen, dass das meiste Öl und Gas von den neu erschlossenen Feldern im Kaspischen Becken durch Russland in Richtung Westen geleitet wird.
Nun folgten fieberhafte diplomatische Aktivitäten Putins und Medwedews (damals noch Leiter von Gazprom), um die Präsidenten von Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan zu überreden, ihre zukünftige Gasproduktion durch Russland zu leiten. Im Dezember 2007 unterzeichnete Putin mit ihnen ein Abkommen, in dem sie sich verpflichten, pro Jahr 20 Milliarden Kubikmeter Gas durch eine neue Pipeline entlang der Ostküste des Kaspischen Meeres nach Südrussland zu liefern, von wo es dann von Gazprom weiter nach Europa geleitet wird.
Unterdessen begann Putin, das internationale Vertrauen in Georgien als verlässlicher künftiger Energiekorridor zu unterminieren. Dies wurde für Moskau zu einer strategischen Priorität, weil die EU Pläne für eine 10-Milliarden-Dollar-Gaspipeline verkündete, bekannt unter dem Namen „Nabucco” Diese sollte von der Türkei nach Österreich führen, und mit einer südkaukasischen Gaspipeline verbunden werden, die von Aserbaidschan durch Georgien nach Erzurum in der Türkei führt. Damit sollte Europas Abhängigkeit von Russlands Gas reduziert werden, das wurde von der Bush-Regierung stark unterstützt.

Putins Falle

Georgiens geostrategische Bedeutung im Kampf zwischen den USA und Russland um die Verteilung der kaspischen Energie war nun stark gestiegen. Die Bush-Regierung reagierte mit einer Militärhilfe an Georgien in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar sowie mit der Ausbildung von Spezialtruppen für den Schutz der neuen Pipelines. Der Partner der US-Regierung in Tiflis, Präsident Saakaschwili, wollte sich jedoch nicht damit zufrieden geben, die relativ bescheidene Rolle des Pipelinebeschützers zu spielen. Er verfolgte eine größenwahnsinnige Fantasie: Er wollte mit amerikanischer Hilfe die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zurückerobern. Die Bush-Regierung wiederum — geblendet von ihren eigenen neokonservativen Fantasien — sah in Saakaschwili ein nützliches Unterpfand in ihrem antirussischen Vorgehen. Gemeinsam fielen sie in eine von Putin clever vorbereitete Falle.
Russlands Premierminister stachelte Saakaschwili dazu an, Südossetien zu besetzen, indem es irreguläre Kämpfer aus Abchasien und Südossetien ermutigte, georgische Außenposten und Dörfer an der Peripherie der beiden Enklaven anzugreifen. Außenministerin Condoleeza Rice mahnte Saakaschwili, wie man hört, auf diese Provokationen nicht zu reagieren, als sie ihn im Juli traf. Offenbar fiel ihr Rat auf taube Ohren. Viel verlockender schien ihr Versprechen, die USA würden einen raschen Beitritt Georgiens zur NATO unterstützen. So taten auch andere amerikanische Politiker, darunter Senator John McCain.
Was immer in diesen privaten Gesprächen gesagt worden ist, der georgische Präsident hat es in jedem Fall als grünes Licht für seine abenteuerlichen Impulse aufgefasst. Seine Streitkräfte marschierten am 7.August in Südossetien ein und griffen die Hauptstadt Zchinvali an. So bekam Putin das, was er schon lange wünschte: einen vorgeblich legitimen Grund, um in Georgien einzumarschieren und zu zeigen, wie verwundbar dieser Energiekorridor ist.
Heute ist die georgische Armee ein Trümmerhaufen, die BTC und die anderen Pipelines durch den Südkaukasus sind in Reichweite des russischen Militärs, Abchasien und Südossetien haben ihre Unabhängigkeit erklärt. Die Bush-Regierung hat, gemeinsam mit einigen europäischen Regierungen, mit einer medialen und diplomatischen Gegenoffensive geantwortet und Moskau u.a. der Verletzung des Völkerrechts beschuldigt. Sie hat auch gedroht, Russland aus verschiedenen internationalen Foren und Organisationen auszuschließen, darunter die G8 und die WTO. Es ist also möglich, dass Moskau einiges an Isolation und Widrigkeiten erfahren wird.
Nichts davon wird, soweit man das beurteilen kann, das Bild im Kaukasus verändern: Putin hat mit seinem Schachzug das Spiel verändert, Amerikas Unterpfand wurde entscheidend geschwächt, und es gibt nicht viel, was Washington (oder London, Paris und Berlin) dagegen tun können.
Es ist jedoch unmöglich vorherzusagen, wie das Spiel weitergeht. Putin hat diesmal die Oberhand behalten, weil er sich auf geopolitische Ziele konzentrierte, während seine Opponenten blind ihre Fantasien verfolgten. Solange das so bleibt, wird Russland auch weiterhin die Oberhand behalten. Erst wenn Amerikas Regierende gegenüber Russland eine realistischere Haltung einnehmen und eine Zusammenarbeit auch in der Frage der Energieausbeutung suchen, sind sie vor weiteren strategischen Rückschlägen in der Region gefeit.

Michael T. Klare ist Professor für Friedens- und Sicherheit am Hampshire College, Massachussetts, USA. Weitere Informationen siehe www.zmag.org.


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