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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 04

25.9., Gesundheitsdemo in Berlin

Krankenhäuser ordentlich finanzieren, Privatisierung stoppen

von Jürgen Klute und Sarah Wagenknecht

Finanznot, Personalabbau, Lohndumping, Arbeitshetze — die Lage in deutschen Krankenhäusern spitzt sich immer mehr zu. Statt die Ausgaben dem wachsenden Bedarf anzupassen, setzen Politik und Wirtschaft auf mehr „Wettbewerb” und Privatisierung. Leidtragende dieser Entwicklung sind die Patienten sowie die Pflegekräfte in den Krankenhäusern, die für ein mageres Gehalt immer gnadenloser ausgebeutet werden. Doch der Widerstand gegen die Kürzungs- und Privatisierungspolitik im Gesundheitswesen wächst: Unter dem Motto „Der Deckel muss weg! Krankenhäuser ordentlich finanzieren” ruft die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di für den 25.September zu einer bundesweiten Demonstration in Berlin auf. Eine der Hauptforderungen ist die Abschaffung der Budgetdeckelung und eine bessere Finanzausstattung der Krankenhäuser.
Von 1991 bis 2007 sind die öffentlichen Krankenhausinvestitionen der Länder von 3,6 Milliarden auf 2,7 Milliarden Euro zurückgegangen. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft beläuft sich der Investitionsstau in den Krankenhäusern auf 50 Milliarden Euro. Diese massive Unterfinanzierung ist vor allem ein Resultat neoliberaler Steuerpolitik — wie z.B. die Abschaffung der Vermögenssteuer.
Wenn die Finanzausstattung der Krankenhäuser nicht bald dem realen Bedarf angepasst wird, steuern etliche Krankenhäuser auf eine Insolvenz zu. Dieser Prozess würde die Privatisierung von Krankenhäusern beschleunigen. Dabei ist Deutschland schon jetzt Vorreiter: Kein anderes Land hat in den letzten 15 Jahren so viele und so große Klinken an Private veräußert, der Anteil privater Krankenhäuser ist zwischen 1991 und 2007 von knapp 15% auf 28,5% hochgeschnellt. Es profitieren Unternehmen wie die Rhön-Klinikum AG, Fresenius Helios und die Asklepios Kliniken GmbH, die inzwischen die größten europäischen Krankenhauskonzerne führen.
Privatisierung von Krankenhäusern bedeutet, dass private Gewinne dem öffentlich finanzierten Gesundheitswesen entzogen und den Beschäftigten abgepresst werden. Die in öffentlichen Kliniken üblichen Tariflöhne werden unterlaufen. Gleichzeitig reagieren auch die öffentlichen Krankenhäuser auf den Wettbewerbsdruck: sie reduzieren Personal und lagern immer mehr Funktionsbereiche (von der EDV bis zum Reinigungswesen) aus. Die Löhne und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten haben sich dadurch zum Teil dramatisch verschlechtert.
Opfer der Privatisierungspolitik sind auch die (Kassen-)Patienten, für deren Versorgung und Pflege immer weniger Zeit bleibt. Allein in der Pflege wurden in den letzten zehn Jahren etwa 50000 Stellen abgebaut. Der bürokratische Aufwand ist mit der Umstellung auf ein System von Fallpauschalen immens gewachsen. Und da der drastischer Abbau von Betten und Personal in den Krankenhäusern nicht durch einen entsprechenden Ausbau der ambulanten Versorgung kompensiert wird, ist die Gesundheit der Patienten immer mehr gefährdet.
Der Einstieg in ein profitorientiertes Krankenhauswesen erfolgte mit dem Gesundheitsstrukturgesetz des Jahres 1993, welches das bis dahin gültige Selbstkostendeckungsprinzip durch ein kompliziertes System von Fallpauschalen ersetzte. Nicht mehr die Bedürfnisse der Patienten, sondern Kostensenkung und Gewinnsteigerung stehen im Vordergrund. Eine Konzentration auf kaufkräftige Patienten ist zwingend. Ärmere Bevölkerungsgruppen werden durch Praxisgebühren und immer weitere Zuzahlungen davon abgehalten, medizinische Leistungen überhaupt in Anspruch zu nehmen. Auch die flächendeckende Versorgung und die kostenlose Vorsorge leiden darunter.
Was kann man gegen den neoliberalen Umbau im Gesundheits- und Krankenhauswesen tun? Dieser Trend muss umgekehrt werden — z.B. durch Bürgerbegehren und Volksentscheide. Die im vorletzten Jahr gegründete AG Antiprivatisierung bei der Partei DIE LINKE kann dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie Informationen zusammenträgt und Unterstützung organisiert — wie im Fall des Leipziger Bürgerbegehrens, wo es dem örtlichen Bündnis schließlich gelang, einen Verkauf der Stadtwerke zu verhindern.
Mindestens ebenso wichtig ist der Kampf für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und für eine Aufstockung des Pflegepersonals in- und außerhalb der Krankenhäuser. Auch wenn die Finanznot vieler Bundesländer nicht bestritten werden kann, ist es doch nicht hinnehmbar, dass die Länder ihrer Verpflichtung zum Erhalt und Ausbau des Gesundheitswesens kaum noch nachkommen.
Das Gesundheitssystem muss bedarfsorientiert, flächendeckend und auf Prävention angelegt sein. Dazu muss die gesamte Finanzierung (und Organisation) von Gesundheitsdienstleistungen neu geregelt werden. Alle medizinischen Leistungen müssen auch Menschen mit geringem Einkommen zur Verfügung stehen! Aus diesem Grund muss die unsoziale Praxisgebühr abgeschafft und private Krankenversicherungen zugunsten einer solidarischen Bürgerversicherung überwunden werden.
Um dies zu erreichen, müssen breite Bündnisse mit Beschäftigten, Gewerkschaften und anderen sozialen Organisationen geschmiedet werden.

Jürgen Klute ist Mitglied des Parteivorstands, Sarah Wagenknecht sitzt für DIE LINKE im Europaparlament.



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