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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 05

"Attac darf nicht die Verantwortung für einen Krieg übernehmen"

Hugo Braun zum Streit über den Rückzug deutscher Truppen aus Afghanistan

Der Koordinierungskreis von Attac, das führende Gremium zwischen den Ratschlägen, wollte die zentrale Forderung des Aufrufs der Friedensbewegung zu den Demonstrationen am 20.September, „Truppen raus aus Afghanistan”, nicht unterschreiben. Er hat am 1.September einen eigenen Aufruf formuliert, der die Frage nach dem Abzug der Truppen offen lässt. Viele lokale und regionale Gliederungen in Attac laufen nun gegen diesen Aufruf Sturm. Auf dem Herbst-Ratschlag, der vom 10. bis 12.Oktober in Düsseldorf stattfinden wird, wird es darum eine zentrale Auseinandersetzung geben.
Die SoZ sprach mit HUGO BRAUN. Er vertritt das Netzwerk Europäische Märsche gegen Erwerbslosigkeit ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung im Koordinierungskreis und ist seit langem aktiv in der Friedensbewegung. Mit Hugo Braun sprach Angela Klein.



Attac hat den Aufruf zu den Demonstrationen gegen den Krieg in Afghanistan am 20.9. nicht unterschrieben; sie laufen unter dem Motto: „Truppen raus aus Afghanistan!” Attac hat stattdessen einen eigenen Aufruf geschrieben, in dem diese Forderung nicht vorkommt. Gibt es dafür Gründe?

Natürlich hat das Gründe. Die politischen Diskussionen in unserer bundesdeutschen Klassengesellschaft finden natürlich auch in so einem breiten pluralistischen Netzwerk wie Attac ihren Niederschlag, da wird genauso diskutiert wie anderswo auch. Es gibt darin sehr unterschiedliche Meinungen. Es gibt in dem Netzwerk aber einen Grundsatz des Konsenses, der besagt, dass wir keine Mehrheitsentscheidungen treffen. D.h. eine knappe Mehrheit kann sich gegenüber einer starken Minderheit nicht durchsetzen. Dieses Prinzip hält dieses Netzwerk zusammen.

Was sind denn die unterschiedlichen Meinungen, die in Attac diskutiert werden?

Ich sehe eigentlich zwei Positionen: Es gibt solche wie die von Mitgliedsorganisationen wie Euromarsch oder WEED, die für den sofortigen oder aber schnellen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan eintreten — in völliger Übereinstimmung mit der Friedensbewegung hier bei uns.
Dann gibt es Menschen, die mehr NGO-orientiert sind: Sie können sich vorstellen, ein Land wie Afghanistan durch Entwicklungshilfe auf einen wirtschaftlich und politisch erfolgreichen Weg zu bringen. Diese Organisationen sind regierungsfinanziert und haben häufig die Neigung, sich an Regierungspositionen zu orientieren. Das sind die beiden extremen Gegensätze, dazwischen gibt es alle möglichen Variationen.

Was die erste Position betrifft: Vertreten die nur die Euromärsche und WEED?

Nein. Die Tatsache, dass Attac Deutschland den Aufruf nicht unterschrieben hat und der Koordinierungskreis einen eigenen Aufruf verfasst hat, ist vor allem in vielen lokalen Attac-Gruppen auf scharfe Kritik gestoßen. Es gibt z.B. eine klare und deutliche Stellungnahme von Attac Aachen, in der es heißt, dass die Haltung des Koordinierungskreises, wie sie sich in dem Attac-Aufruf vom 1.September niederschlägt, nicht mitgetragen werden kann, weil es nicht sein dürfe, dass die „internationale Gemeinschaft” oder gar eine Bewegung wie Attac Verantwortung für einen Krieg übernehmen, den andere angezettelt haben.

Wer sind auf der anderen Seite die von dir genannten NGOs, die die andere Position vertreten?
Die NGO-Meinungen werden nicht von Organisationen artikuliert sondern stellen sich in individuellen Meinungen dar.

Aus welchen regierungsnahen Organisationen kommen die Personen?

Es sind Menschen, die im weitesten Sinne aus dem Umfeld der Grünen und von entwicklungspolitischen Gruppen stammen.

Du hast gesagt, diese zweite Tendenz tritt für Entwicklungshilfe ein. Da können wir ja eigentlich nichts dagegen haben, dass Entwicklungshilfe nach Afghanistan fließt?

Natürlich ist niemand gegen Entwicklungshilfe in Afghanistan, aber sicherlich kann man Zweifel haben, ob eine Entwicklungshilfe nur unter dem Schutz von Maschinengewehren sinnvoll ist.

Diese Gruppe sagt also vor allem, dass Soldaten in Afghanistan bleiben sollen?

Es soll eine Exit-Strategie geben, die einigermaßen sicherstellt, dass der Abzug das Land nicht ins Chaos stürzt.

Wie stellen sie sich das vor? Man lässt die Soldaten da, aber doch nicht da?

So einfach ist das nicht. Sie treten natürlich für den Abzug, für das Disengagement der deutschen Politik in Afghanistan ein, aber sie wollen sicherstellen, das etwa Asylrecht für Afghanen hier in Deutschland garantiert wird, sie wollen sicherstellen, dass es zu einem gewaltlosen Übergang kommt, d.h. dass Friedenstruppen dort einziehen — in diese Richtung geht ihre Argumentation. Sie denken an Blauhelme oder etwas Ähnliches.

Wo gibt es in Afghanistan eine Basis dafür, dass die Bevölkerung eine Intervention in Form von Blauhelmen akzeptieren würde, „normale” Soldaten aber nicht? Gibt es dafür überhaupt eine Basis?

Es gibt eine, wie ich sie nenne, laizistische Opposition in Afghanistan, sie artikuliert sich vor allem hier in Deutschland in Emigrantenkreisen; die vertreten eine ähnliche Position. Matin Baraqi sagt z.B.: Bundeswehr sofort raus, aber Friedenstruppen.

Sagen das die Afghanen im Ausland, oder die Afghanen im Inland?

Soweit ich das sehe, sind es die Afghanen im Ausland.

Im Aufruf von Attac heißt es: „Die Internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan. Dies gilt umso mehr für jene Länder, die den Krieg gegen die Taliban mitgetragen haben, also auch für Deutschland. Das Land jetzt einfach sich selbst zu überlassen, ist keine Option."

Gegen diesen Satz richtete sich die massive Kritik aus zahlreichen lokalen Gruppen in Attac. Ich persönlich als Mitglied des Koordinierungskreises habe diesem Aufruf im Interesse des Zusammenhalts des Netzwerks zwar zugestimmt, aber ich bin absolut dagegen, dass Organisationen wie Attac oder die undefinierbare „internationale Gemeinschaft” die Verantwortung für einen Krieg übernehmen, den konkrete Regierungen wie die deutsche Bundesregierung in deutlichem Gegensatz zur Bevölkerungsmehrheit führen.

Dieser Satz klingt sehr ähnlich dem, was Lothar Rühl im Juni dieses Jahres in einer Militärzeitschrift geschrieben hat. Lothar Rühl war unter Kohl Staatssekretär im Verteidigungsministerium und gilt als ein Chefdenker in strategischen Fragen. Er sagt: Die Lage in Afghanistan hat sich seit Beginn des Einsatzes so weit verschlechtert, „dass die NATO nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und das Feld räumen kann, ohne eine Katastrophe zu hinterlassen” Daraus schließt Rühl aber, dass „mehr Bodentruppen für verstärkte Präsenz und vermehrten Einsatz erforderlich” sind, während Attac daraus folgert, dass Blauhelme geschickt werden müssen. Wie grenzt sich Attac denn ab von einer Position, wie Rühl sie vertritt?

Da gibt es keine klare Abgrenzung. Das geht bedenklich ineinander über, und deswegen gerät Attac an dieser Stelle in den Verdacht, sich Regierungspositionen zu nähern.

Du hast gesagt, dass im Attac-Koordinierungskreis ein Aufruf, der nicht Konsens ist, nicht beschlossen werden kann. Aber ich sehe doch richtig, dass der Aufruf, den Attac da beschlossen hat, keinen Konsens darstellt?

Es hat nur am Ende niemand mehr widersprochen.

Und warum hast du nicht widersprochen?

Weil ich nicht daran interessiert bin, das Attac-Netzwerk an dieser Stelle auseinanderbrechen zu lassen.

Das ist aber doch eine ziemlich zentrale, strategische Stelle?

Das ist richtig. Ich wollte es trotzdem ohne eine breite Diskussion in der Mitgliedschaft nicht darauf ankommen lassen.

Warum?

Ich meine, dass in einer ausführlichen Diskussion, die jetzt etwa auf dem Ratschlag im Oktober ansteht, diese Position von Attac im Sinne der Forderungen der Friedensbewegung noch korrigiert werden kann. Immerhin betrachtet sich Attac als Teil der Friedensbewegung

Du hast die Hoffnung, dass bei der NGO-Richtung ein Umdenken einsetzen kann?

Oder dass ein breiter Konsens, eine 90%ige Mehrheit am Ende doch deutlich macht, dass von Attac alle militärischen Auslandseinsätze der Bundeswehr abgelehnt werden, wie es in der programmatischen „Frankfurter Erklärung” festgeschrieben ist. Ich vertraue darauf, dass ein Satz wie der von Peter Wahl, dem WEED-Vertreter im Attac-Rat, überzeugend wirkt: „Auf den ersten Blick sieht die Idee einer mittelfristigen Exit-Strategie in Afghanistan so vernünftig aus ... Allerdings verkennt sie, dass jeden Tag, an dem die Bundeswehr länger dort ist, die Situation sich hin zu einem verstärkten militärischen Engagement und einer immer tieferen Verwicklung verschiebt."

Auf den Ratschlägen sind die lokalen Gruppen stärker vertreten als Mitgliedsorganisationen?

Ja, aber ich würde das gar nicht so polarisieren. Es gibt auch unter den Einzelmitgliedern in Attac Menschen, die solche eher regierungsnahen Positionen vertreten, und umgekehrt unter den Mitgliedsorganisationen ein konsequentes Nein zu diesem deutschen Krieg am Hindukusch.

Wann ist der Ratschlag?

Vom 10. bis 12.Oktober in Düsseldorf.


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