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Das erste Klimaaktionscamp in Deutschland vom 15. bis zum 24. August 2008 fand nicht zufällig in Hamburg statt. Es
bildet den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Aktionen rund um das Klima, um Kohle und Kernkraft.
Hamburg bietet für die ersten Gehversuche einer widerständigen und radikalen
Klimabewegung beste Ansatzpunkte: Da ist der Hamburger Hafen, Drehkreuz der globalen Warenströme. Da ist die weltweit größte
Raffinerie für Agrarbrennstoffe (sog. „Biokraftstoffe"), die — weit entfernt davon tatsächlich klimaschonend zu sein —
vor allem für neue Monokulturen, die Verdrängung von Kleinbauern und die Steigerung der Nahrungsmittelpreise verantwortlich sind.
Vor allem aber wird in Hamburg-Moorburg zur Zeit ein riesiges Kohlekraftwerk errichtet,
das mit 1680 MW elektrischer Leistung mehr Strom liefern soll als z.B. das AKW Brokdorf. Würde es in Betrieb genommen, stiege der CO2-
Ausstoß Hamburgs mit einem Schlag um 40%. Die Feinstäube aus der Abgasfahne gingen vor allem in Wilhelmsburg nieder, einem der
ärmsten Stadtteile Hamburgs, in dem viele Migranten leben, weswegen dort tätige Ärzte vehement gegen den Kraftwerksbau protestieren.
Politisch brisant wird das Projekt des Energiekonzerns Vattenfall zusätzlich durch
die schwarz-grüne Koalition, die seit diesem Mai in Hamburg an der Regierung ist. Schließlich war die Grün-Alternative Liste im
Wahlkampf massiv gegen das Kraftwerk Moorburg zu Felde gezogen. Nun stellt die GAL mit Anja Hajduk die Umweltsenatorin, die für die noch
ausstehenden Genehmigungen für Bau und Betrieb des Kohlemeilers zuständig ist. Das Dilemma der Grünen: Der Ausstieg aus Moorburg
darf nichts kosten, aber Vattenfall droht bereits mit Schadensersatzklagen in Milliardenhöhe, falls der Bau nicht fertig gestellt werden kann.
Noch verzögert die Umweltbehörde die Entscheidung, aber letztlich wird die
GAL nicht um eine (vielleicht mit einigen kosmetischen, aber substanzlosen Auflagen versehene) Genehmigung herumkommen, will sie den Fortbestand der
Koalition mit der CDU nicht aufs Spiel setzen. So wird der Klimaschutz auf dem Altar des Machterhalts geopfert und die Hamburger Grünen mutieren
zur Kohlepartei.
Eine Situation, die wie geschaffen ist für linke Intervention... Dennoch fiel die
Beteiligung am Klimacamp und an den Aktionen eher enttäuschend aus. Gut 1000 Aktive hatten ihre Zelte in Hamburg aufgeschlagen, und an der
versuchten Besetzung der Kraftwerksbaustelle beteiligten sich gerade einmal 700 Menschen.
Daran hatte sicherlich auch der deprimierende Dauerregen seinen Anteil, aber dies kann
nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Aktionsfeld „Klima” in der radikalen Linken — und das gilt leider auch für
Interventionistische Linke, die den Camp- und Aktionsaufruf mitgetragen hatte — noch nicht angekommen ist. Zu präsent scheint noch das
Wollsocken-Image der Ökobewegung und zu gering sind die Hoffnungen, die Selbstinszenierung der bürgerlichen Politikern von Merkel bis zu den
Grünen als die wahren Klimaretter zu durchkreuzen.
Das ist im Nachhinein vor allem deshalb schade, weil bis auf die magere Beteiligung beim
Klimacamp eigentlich alles hervorragend geklappt hat. Es gab interessante Diskussionen in den Workshops und gute Aktionen in der gesamten Campwoche.
Am 20.8. gelang es ca. 40 Aktiven, auf das Kraftwerksgelände zu gelangen und dort für mehrere Stunden einen Baukran zu besetzen.
Die große Besetzungsaktion am Samstag war trotz des Regens und der relativ
wenigen Teilnehmenden von Entschlossenheit geprägt. Orientiert an dem Aktionskonzept von Block G8 aus dem Vorjahr, strebten die Aktivisten in
mehrere „Finger” aufgeteilt der Baustelle entgegen. Dabei überwanden sie vorgelagerte Zäune, umgingen und durchflossen
Polizeisperren. Erst brutale Polizeigewalt mit Schlagstöcken, Reizgas und Wasserwerfern konnte das Vordringen auf die Baustelle knapp verhindern,
nachdem der Zaun schon an mehreren Stellen Löcher hatte.
Hier hätten tatsächlich einige hundert Aktive mehr ausgereicht, um trotz des
massiven Polizeiaufgebots die Baustelle zu besetzen und stillzulegen. So wird — trotz der Verfehlung des eigentlichen Aktionsziels — die Aktion
„Gegenstrom08” von den meisten Teilnehmenden als ermutigende Erfahrung bezeichnet, die das Vertrauen in die neuen Aktionskonzepte des
spektrenübergreifenden, massenhaften zivilen Ungehorsams nochmals gesteigert hat.
Bemerkenswert war auch die Resonanz auf das Klimacamp — das zugleich ein
Antirassismuscamp war — in den Medien. Die lokalen und regionalen Zeitungen, Radio- TV-Stationen berichteten ausführlich. Dabei ist es
gelungen, neben den Aktions- und Stimmungsberichten immer wieder auch inhaltliche und grundsätzliche Kritik an der herrschenden Klimapolitik zu
platzieren. Farbbeutelwürfe gegen die Privathäuser leitender Mitarbeiter der Hamburger Ausländerbehörde (einer von ihnen
pikanterweise SPD-Abgeordneter) und ein etwas robuster Besuch in der Abteilung für Ausländerangelegenheiten eines Bezirksamtes
führten zu einer Medienkampagne, in der diese Aktionen zu „Anschlägen” hochstilisiert wurden und vom Camp eine Distanzierung
von „Gewalt” eingefordert wurde.
Insbesondere die SPD und die Jusos (!) verstiegen sich zur Forderung, das
„Terrorcamp” solle geräumt werden. Diese Spaltungsversuche wurden von den beiden Camp-Pressegruppen souverän pariert, wie
auch insgesamt eine Professionalisierung linksradikaler Presse- und Öffentlichkeitsarbeit festzustellen ist, die sich angenehm von der latenten
Medienfeindlichkeit abhebt, die lange Zeit vor allem in der autonomen Szene vorherrschend war.
In die Defensive gerieten Polizei und schwarz-grüner Senat, als immer mehr Dokumente auftauchten, die belegten, dass es nur eine wirklich
gewalttätige Gruppierung während der Campwoche gab, nämlich die Hamburger Polizei. So griffen Angehörige einer Hamburger
BFE-Einheit (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit) prügelnderweise ein Kamerateam an, das zuvor Übergriffe gegen eine Demonstrantin am
Kraftwerk Moorburg dokumentiert hatte.
Im Hinblick auf die Auseinandersetzung um Moorburg haben die Aktionen des
Klimacamps zu einer Repolitisierung der Debatte in Hamburg beigetragen und den Druck auf die GAL erheblich erhöht. Jetzt macht sich allerdings
bemerkbar, was ein relativ erfolgreiches, bundesweit mobilisiertes Camp noch von einer wirklichen Klimabewegung unterscheidet. Ein Camp ist wie ein Ufo, es
landet in der Stadt und hebt danach wieder ab.
Fortgesetzt werden müssen die Aktionen jedoch von lokalen Akteurinnen und
Akteuren, die es jenseits von NGOs und Umweltverbänden aber kaum noch gibt. Immerhin zeigte „Gegenstrom08” drei Wochen nach
dem Camp noch einmal Präsenz, als die Initiative das Büro der GAL besetzte und 30 kg Kohle auf dem Fußboden hinterließ.
Das Hamburger Klimacamp kann der Anfang einer widerständigen Klimabewegung
in Deutschland gewesen sein. Dafür müssen aber noch mehr Akteure, insbesondere der radikalen Linken die Brisanz des Themas erkennen. Denn
letztlich ist die Klimafrage eine Kapitalismusfrage. Der Kampf für ein anderes Klima ist z.B. ein Kampf für die Enteignung der Energiekonzerne und
für globale Gerechtigkeit. Wer, wenn nicht die radikale Linke, soll diese Zusammenhänge thematisieren und kann gleichzeitig Aktions- und
Bewegungsperspektiven eröffnen?
Die nächsten Etappen werden die Aktionen Anfang November gegen den
anstehenden Castor-Transport ins Wendland und die beginnenden internationalen Vorbereitungen für Aktionen rund um den Weltklimagipfel Ende 2009
in Kopenhagen sein.
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