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Ab Mitte der 80er Jahre wurden die berühmten Prärien Uruguays Zug um Zug mit einer genmanipulierten und geklonten Spezies einer
aus Australien importierten Eukalyptuspflanze zugepflastert. Uruguay verfügt über 16 Millionen Hektar Land. Nach offiziellen Angaben des Agrarministeriums
wurden in den letzten fünf Jahren 25% der besten Böden an ausländische Unternehmer verkauft — weltweit ein einzigartiger Präzedenzfall. 6
Millionen Hektar gehören heute ausländischen Firmen — finnischen, schwedischen, spanischen, amerikanischen, schottischen u.a. Sie heißen Botnia,
Stora, Enso, Ence, Portucel, Wayerhausen...Im Oktober 2004 feierte die Bevölkerung nach 34 Jahren die erste „linke” Regierung in der uruguayischen
Geschichte, die Frente Amplio. Drei Viertel der uruguayischen Bevölkerung hatte für diese Utopie viele Opfer gebracht. Umso schwerer war die
Enttäuschung, als der neue Präsident Uruguays und sein Ministerrat schon wenige Monate nach Regierungsantritt die Genehmigung für die Errichtung der
ersten Zellulosefabrik am Ufer des Río Uruguay erteilten. Den Zuschlag erhielt das finnische Unternehmen Botnia, das eine immense Freihandelszone errichten konnte
und von allen Steuern und Umweltauflagen befreit wurde.
Der Staat baute einen Freihafen und stellte dem Unternehmen ein 500 Hektar großes Areal für
die Fabrik und mögliche weitere Werke und Zweigniederlassungen zur Verfügung. Das Megawerk liegt in Fray Bentos in Soriano, einer Provinz mit reichen
Böden; der Río Uruguay bildet die Grenze zu Argentinien. Die Ansiedlung der Zellulosefabrik entfesselte einen ernsten Konflikt mit dem Nachbarn Argentinien.
Für die Mehrheit der Uruguayer steht Botnia für Fortschritt, Arbeitsplätze und Wohlstand. Das Megaprojekt weckt bei den Einwohnern alte Erinnerungen
an die herrlichen Zeiten der Schlachtfabrik der Engländer, genannt El Frigorífico Anglo oder einfach Frigorífico Fray Bentos, die Gefrierfleischfabrik von
Fray Bentos.
10000 Menschen fanden hier damals Arbeit, auch viele europäische Migranten, die vor Armut, Krise
und Weltkrieg flüchteten. Es gab Arbeit für Männer, Frauen und Kinder. Die Fleischprodukte wurden in der ganzen Welt verkauft, das berühmte
„englische” Cornedbeef trat aus Fray Bentos seinen Siegeszug um die Welt an. Rund um das Fleisch entstanden weitere Industriebetriebe: auch Fett, Knochen und
Leder wurden im Land verarbeitet.
Die Briten blieben, solange das Geschäft gut lief. Aber dann begannen die Arbeiterinnen und Arbeiter
Forderungen zu stellen, vor allem die nach dem Acht-Stunden-Tag. Ende der 40er Jahre verließen die Engländer Uruguay. Zurück blieben die Arbeitslosen mit
ihren Erinnerungen. Die Stadt vegetierte jahrzehntelang dahin, die Augen fest auf die Vergangenheit gerichtet.
Mit diesen Bildern im Kopf, aufgegriffen und verstärkt durch die Regierung, die traditionellen Parteien
und die Medien, empfingen die Fraybentiner das finnische Unternehmen mit offenen Armen. Botnia versprach Tausende von Arbeitsplätzen während der Bauphase,
mindestens 1000 Stellen in der Produktion und noch einige tausend weitere indirekte Arbeitsplätze in der Umgebung.
Gleichzeitig griff der Konzern mächtig in die Portokasse, um Abhängigkeiten aufzubauen. Nicht
ohne Erfolg — die kritische Prüfung solcher Gaben ist schwer in einem Land, in dem es an so vielem fehlt. Botnia präsentierte sich als der große
Geldgeber, der Geschenke aller Art verteilt.
Selbst in den Gewerkschaften öffneten sich Türen. Während die Zentralgewerkschaft
PIT-CNT das Zelluloseprojekt als Produktionsmodell für Uruguay entschieden ablehnte, wurde es auf lokaler Ebene auch von Gewerkschaftern begrüßt.
Bauarbeiter und Metaller, aber auch Tausende von Arbeitslosen, waren bereit, für Botnia zu arbeiten: Arbeit und Umwelt ließen sich eben nicht vereinbaren,
Umweltschutz sei eine snobistische Haltung der Reichen, und es sei noch immer besser an Krebs als an Hunger zu sterben.
Das war ein harter Schlag für die sozialen Bewegungen im Land. Ihre kritischen Stimmen fanden weder im Radio, noch im Fernsehen Gehör, und sie wurden
wahlweise als Verräter der Regierung und der Arbeiterklasse oder als Träumer und Wirrköpfe dargestellt, die keine Ahnung von Wirtschaftspolitik und
Entwicklung haben.
Doch die Gleichschaltung hatte ihre Grenzen. Weder Botnia noch die Regierung hatten mit der Wut und
Entschiedenheit der argentinischen Bevölkerung auf der westlichen Seite des Flusses gerechnet, wo die Provinz Entreríos mit der Hauptstadt Gualeguaychu liegt.
Die wichtigste Einkommensquelle der Provinz ist der naturnahe Tourismus, man wirbt mit intakter Natur
— Fluss, Fauna und Flora. Ganz Gualeguaychu forderte, Botnia solle verschwinden.
Je höher der Schornstein der Megafabrik wuchs, desto härter wurden die Kampfformen: Die
Grenze wurde blockiert, anfangs nur am Wochenende und an Feiertagen, seit Ende 2006 gibt es eine permanente Blockade von drei Brücken. Alle drei
Grenzübergänge wurden von den Anwohnern auf der argentinischen Seite lahmgelegt, mit gravierenden Konsequenzen für Uruguay.
Die „sozialistische” Regierung von Tabaré Vázquez sieht durch die Blockade
Uruguays Souveränität angegriffen; damit ist in dem kleinen Land ein antiargentinisches Ressentiment entstanden, das es ermöglicht, alle
Umweltschützer als „Ökoterroristen” zu diffamieren.
Cristina Fernández de Kirchner, die neue Präsidentin Argentiniens, versuchte die Beziehungen
zu Uruguay wieder zu beruhigen und schickte Gendarmen nach Entreríos, mit dem Befehl, an zwei Brücken die Blockade aufzulösen. Gualeguaychu aber
blieb unberührt. Hier besteht die Blockade jetzt seit anderthalb Jahren.
Zwei Monate nach dem Ende der Bauzeit im August 2007 wurde mit der Zelluloseproduktion begonnen. Die
Bilanz für die Investoren ist erfreulich. Anders sieht es bei den Fraybentinern aus. Denn der Botnia-Boom ist schon vorbei. Von den versprochenen mehreren tausend
Arbeitsplätzen ist nicht mehr die Rede. Nur 180 Uruguayer arbeiten bei Botnia, darunter 33 Fraybentiner.
Geblieben sind die Schulden, die Arbeitslosigkeit und eine neue Kriminalität. Die Stimmung ist
deprimiert. Plätze und Straßen sind leer, wo noch vor kurzem, zwei Jahre lang, alles lebendig, laut und voller Ausländer war, die für die Errichtung des
Werks ins Land geholt wurden: Tschechen, Polen, Kroaten, Russen, Türken und Deutsche. Müdigkeit und eine ungeheure Einsamkeit zeichnet ihre Gesichter. Sie
bilden das Lumpenproletariat der „Ersten” Welt, Menschen, die in einer Parallelwelt leben. Jeder Versuch, mit uruguayischen Arbeitern oder Arbeitern aus
Nachbarstaaten zu reden, scheiterte. Niemand will wissen, warum diese Arbeiter fast ans Ende der Welt kommen, mit Verträgen von Drittweltfirmen, als Schwarzarbeiter,
ohne Sicherheit, ob man ihnen die 11 Euro pro Stunde bei ihrer Rückkehr auch wirklich zahlt.
Es war auch schwierig, mit ihnen zu sprechen, sie hatten Angst; durch die Stadt und vor allem das Viertel,
wo man sie angesiedelt hat, streifen Tag und Nacht die Sicherheitskräfte von Botnia. Der Konzern hat beim Bau fast 50 Subunternehmer unter Vertrag genommen. Sie
senkten als erstes die Löhne und versprachen Bonuszahlungen, die weniger kosten als die Beiträge zur Sozialversicherung, die sie für jeden eingestellten
Arbeiter hätten zahlen müssen. Sie konnten auf die Komplizenschaft einiger uruguayischer Gewerkschaftsführer rechnen. Die Hauptverantwortliche für
diese Schande, die uruguayische „linke” Regierung, rechnet nicht mit sozialen Unruhen.
Gerade haben die Bauarbeiten für eine neue Zellulosefabrik begonnen, diesmal durch das spanische
Unternehmen Ence. Neue Illusionen werden neue Wut und Enttäuschung auslösen, das Leben geht weiter, und die uruguayischen Arbeiter konkurrieren bereits
untereinander, um einen Job in der spanischen Fabrik zu bekommen. Wieviel Würde ist uns geblieben?
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