SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 15

Uruguay: Beste Böden für Papierproduktion

Der finnische Konzern Botnia ruiniert die Region und zerstört Hoffnungen

Auf ehemals besten Ländereien werden in Uruguay Eukalyptusplantagen angelegt zur Produktion von Zellulose für den Papierverbrauch der „Ersten” Welt. Der Boden wird dadurch übersäuert und ausgetrocknet, die Wasserreserven vernichtet, die Biodiversität bedroht — die Folge ist eine schwere Ernährungskrise. Über das Wirken der internationalen Konzerne berichtet GRACIELA SALSAMENDI am Beispiel der finnischen Zellulosefabrik Botnia.

Ab Mitte der 80er Jahre wurden die berühmten Prärien Uruguays Zug um Zug mit einer genmanipulierten und geklonten Spezies einer aus Australien importierten Eukalyptuspflanze zugepflastert. Uruguay verfügt über 16 Millionen Hektar Land. Nach offiziellen Angaben des Agrarministeriums wurden in den letzten fünf Jahren 25% der besten Böden an ausländische Unternehmer verkauft — weltweit ein einzigartiger Präzedenzfall. 6 Millionen Hektar gehören heute ausländischen Firmen — finnischen, schwedischen, spanischen, amerikanischen, schottischen u.a. Sie heißen Botnia, Stora, Enso, Ence, Portucel, Wayerhausen...Im Oktober 2004 feierte die Bevölkerung nach 34 Jahren die erste „linke” Regierung in der uruguayischen Geschichte, die Frente Amplio. Drei Viertel der uruguayischen Bevölkerung hatte für diese Utopie viele Opfer gebracht. Umso schwerer war die Enttäuschung, als der neue Präsident Uruguays und sein Ministerrat schon wenige Monate nach Regierungsantritt die Genehmigung für die Errichtung der ersten Zellulosefabrik am Ufer des Río Uruguay erteilten. Den Zuschlag erhielt das finnische Unternehmen Botnia, das eine immense Freihandelszone errichten konnte und von allen Steuern und Umweltauflagen befreit wurde.
Der Staat baute einen Freihafen und stellte dem Unternehmen ein 500 Hektar großes Areal für die Fabrik und mögliche weitere Werke und Zweigniederlassungen zur Verfügung. Das Megawerk liegt in Fray Bentos in Soriano, einer Provinz mit reichen Böden; der Río Uruguay bildet die Grenze zu Argentinien. Die Ansiedlung der Zellulosefabrik entfesselte einen ernsten Konflikt mit dem Nachbarn Argentinien.

Versprechen von Wohlstand und Fortschritt

Für die Mehrheit der Uruguayer steht Botnia für Fortschritt, Arbeitsplätze und Wohlstand. Das Megaprojekt weckt bei den Einwohnern alte Erinnerungen an die herrlichen Zeiten der Schlachtfabrik der Engländer, genannt El Frigorífico Anglo oder einfach Frigorífico Fray Bentos, die Gefrierfleischfabrik von Fray Bentos.
10000 Menschen fanden hier damals Arbeit, auch viele europäische Migranten, die vor Armut, Krise und Weltkrieg flüchteten. Es gab Arbeit für Männer, Frauen und Kinder. Die Fleischprodukte wurden in der ganzen Welt verkauft, das berühmte „englische” Cornedbeef trat aus Fray Bentos seinen Siegeszug um die Welt an. Rund um das Fleisch entstanden weitere Industriebetriebe: auch Fett, Knochen und Leder wurden im Land verarbeitet.
Die Briten blieben, solange das Geschäft gut lief. Aber dann begannen die Arbeiterinnen und Arbeiter Forderungen zu stellen, vor allem die nach dem Acht-Stunden-Tag. Ende der 40er Jahre verließen die Engländer Uruguay. Zurück blieben die Arbeitslosen mit ihren Erinnerungen. Die Stadt vegetierte jahrzehntelang dahin, die Augen fest auf die Vergangenheit gerichtet.
Mit diesen Bildern im Kopf, aufgegriffen und verstärkt durch die Regierung, die traditionellen Parteien und die Medien, empfingen die Fraybentiner das finnische Unternehmen mit offenen Armen. Botnia versprach Tausende von Arbeitsplätzen während der Bauphase, mindestens 1000 Stellen in der Produktion und noch einige tausend weitere indirekte Arbeitsplätze in der Umgebung.
Gleichzeitig griff der Konzern mächtig in die Portokasse, um Abhängigkeiten aufzubauen. Nicht ohne Erfolg — die kritische Prüfung solcher Gaben ist schwer in einem Land, in dem es an so vielem fehlt. Botnia präsentierte sich als der große Geldgeber, der Geschenke aller Art verteilt.
Selbst in den Gewerkschaften öffneten sich Türen. Während die Zentralgewerkschaft PIT-CNT das Zelluloseprojekt als Produktionsmodell für Uruguay entschieden ablehnte, wurde es auf lokaler Ebene auch von Gewerkschaftern begrüßt. Bauarbeiter und Metaller, aber auch Tausende von Arbeitslosen, waren bereit, für Botnia zu arbeiten: Arbeit und Umwelt ließen sich eben nicht vereinbaren, Umweltschutz sei eine snobistische Haltung der Reichen, und es sei noch immer besser an Krebs als an Hunger zu sterben.

Umweltschützer = Ökoterroristen?

Das war ein harter Schlag für die sozialen Bewegungen im Land. Ihre kritischen Stimmen fanden weder im Radio, noch im Fernsehen Gehör, und sie wurden wahlweise als Verräter der Regierung und der Arbeiterklasse oder als Träumer und Wirrköpfe dargestellt, die keine Ahnung von Wirtschaftspolitik und Entwicklung haben.
Doch die Gleichschaltung hatte ihre Grenzen. Weder Botnia noch die Regierung hatten mit der Wut und Entschiedenheit der argentinischen Bevölkerung auf der westlichen Seite des Flusses gerechnet, wo die Provinz Entreríos mit der Hauptstadt Gualeguaychu liegt.
Die wichtigste Einkommensquelle der Provinz ist der naturnahe Tourismus, man wirbt mit intakter Natur — Fluss, Fauna und Flora. Ganz Gualeguaychu forderte, Botnia solle verschwinden.
Je höher der Schornstein der Megafabrik wuchs, desto härter wurden die Kampfformen: Die Grenze wurde blockiert, anfangs nur am Wochenende und an Feiertagen, seit Ende 2006 gibt es eine permanente Blockade von drei Brücken. Alle drei Grenzübergänge wurden von den Anwohnern auf der argentinischen Seite lahmgelegt, mit gravierenden Konsequenzen für Uruguay.
Die „sozialistische” Regierung von Tabaré Vázquez sieht durch die Blockade Uruguays Souveränität angegriffen; damit ist in dem kleinen Land ein antiargentinisches Ressentiment entstanden, das es ermöglicht, alle Umweltschützer als „Ökoterroristen” zu diffamieren.
Cristina Fernández de Kirchner, die neue Präsidentin Argentiniens, versuchte die Beziehungen zu Uruguay wieder zu beruhigen und schickte Gendarmen nach Entreríos, mit dem Befehl, an zwei Brücken die Blockade aufzulösen. Gualeguaychu aber blieb unberührt. Hier besteht die Blockade jetzt seit anderthalb Jahren.
Zwei Monate nach dem Ende der Bauzeit im August 2007 wurde mit der Zelluloseproduktion begonnen. Die Bilanz für die Investoren ist erfreulich. Anders sieht es bei den Fraybentinern aus. Denn der Botnia-Boom ist schon vorbei. Von den versprochenen mehreren tausend Arbeitsplätzen ist nicht mehr die Rede. Nur 180 Uruguayer arbeiten bei Botnia, darunter 33 Fraybentiner.
Geblieben sind die Schulden, die Arbeitslosigkeit und eine neue Kriminalität. Die Stimmung ist deprimiert. Plätze und Straßen sind leer, wo noch vor kurzem, zwei Jahre lang, alles lebendig, laut und voller Ausländer war, die für die Errichtung des Werks ins Land geholt wurden: Tschechen, Polen, Kroaten, Russen, Türken und Deutsche. Müdigkeit und eine ungeheure Einsamkeit zeichnet ihre Gesichter. Sie bilden das Lumpenproletariat der „Ersten” Welt, Menschen, die in einer Parallelwelt leben. Jeder Versuch, mit uruguayischen Arbeitern oder Arbeitern aus Nachbarstaaten zu reden, scheiterte. Niemand will wissen, warum diese Arbeiter fast ans Ende der Welt kommen, mit Verträgen von Drittweltfirmen, als Schwarzarbeiter, ohne Sicherheit, ob man ihnen die 11 Euro pro Stunde bei ihrer Rückkehr auch wirklich zahlt.
Es war auch schwierig, mit ihnen zu sprechen, sie hatten Angst; durch die Stadt und vor allem das Viertel, wo man sie angesiedelt hat, streifen Tag und Nacht die Sicherheitskräfte von Botnia. Der Konzern hat beim Bau fast 50 Subunternehmer unter Vertrag genommen. Sie senkten als erstes die Löhne und versprachen Bonuszahlungen, die weniger kosten als die Beiträge zur Sozialversicherung, die sie für jeden eingestellten Arbeiter hätten zahlen müssen. Sie konnten auf die Komplizenschaft einiger uruguayischer Gewerkschaftsführer rechnen. Die Hauptverantwortliche für diese Schande, die uruguayische „linke” Regierung, rechnet nicht mit sozialen Unruhen.
Gerade haben die Bauarbeiten für eine neue Zellulosefabrik begonnen, diesmal durch das spanische Unternehmen Ence. Neue Illusionen werden neue Wut und Enttäuschung auslösen, das Leben geht weiter, und die uruguayischen Arbeiter konkurrieren bereits untereinander, um einen Job in der spanischen Fabrik zu bekommen. Wieviel Würde ist uns geblieben?

Die Autorin ist Journalistin und arbeitet im Medienkollektiv Testemonia in Buenos Aires. Gegenwärtig verarbeitet Graciela Salsamendi die Ergebnisse ihrer Recherchen zu einem Dokumentarfilm.


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