SoZ - Sozialistische Zeitung |
In erfrischender Weise behandelt der Wahlkampf um die US-Präsidentschaft alle Konfliktlinien, von denen die USA
ebenso wie andere kapitalistische Gesellschaften durchzogen sind. Die Damen Clinton und Palin gegen die Herren Obama und McCain; der Schwarze Obama,
von Neokonservativen der Nähe zu radikalen Priestern und Moslems bezichtigt, gegen den Weißen McCain.
Dem Wählbaren sind allerdings enge Grenze gesetzt. Sich für den schwarzen
Mann begeistern, ihn gar wählen, ist erlaubt — aber nur wenn gewährleistet ist, dass er dem verkündeten und sehr populären
„Change” nicht wirklich zum Durchbruch verhelfen wird. Sozialausgaben und Völkerverständigung, oder gar ein
Zurückweichen vor islamistischen Regimes gelten als unamerikanische Aktivitäten und stehen nicht zur Wahl.
Obama hat die Botschaft verstanden. Noch bevor sich McCain zu dem Thema
äußern konnte, drohte Obama für den Fall seines Wahlsiegs die Entsendung von Friedenstauben, vormals als B52-Bomber bekannt, nach
Pakistan an. Durch seine Zustimmung zur staatlich organisierten und finanzierten Rettung der Immobilienfirmen Fannie Mae und Freddie Mac machte er
außerdem klar, dass Steuergelder zur Sicherung privater Finanzvermögen da sind, keinesfalls zur staatlichen Alimentierung einer arbeitsscheuen
Unterklasse.
Ein bisschen Change hat Obamas Kandidatur aber doch gebracht: Als sie noch gegen ihn
antrat, bemühte sich Hillary Clinton, Obama als schwarzen Mittelklassenschnösel darzustellen, während sie sich selbst als authentische
Repräsentantin der weißen Arbeiterklasse empfahl. Die Art, wie sie das tat, verriet nicht nur, dass sich die Demokratische Partei niemals
vollständig von ihrer rassistischen Vergangenheit verabschiedet hat, sondern auch, dass Clinton Arbeiter als hirn- und geschichtsloses Pack ansieht.
Ihr Misserfolg gegen Obama zeigt, dass nicht viele Arbeiterwähler von ihr
beeindruckt waren. Viele haben offenbar nicht vergessen, dass die ehemalige First Lady mit dem Versprechen einer allgemeinen Krankenversicherung ihrem
Gatten ins Weiße Haus geholfen, die Pläne jedoch wegen des Widerstands des medizinisch-industriellen Komplexes schnell aufgegeben hat.
Danach ist sie in den Medien als betrogene Präsidentschaftsgattin aufgetreten, aber nicht als die starke Frau, die ihren Mann dazu drängt,
über NAFTA- und WTO-Verhandlungen Sozialklauseln zum Vorteil von Arbeitern aller Länder, Geschlechter und Hautfarben durchzusetzen.
Schließlich blieb es der jetzigen Aspirantin auf das Amt der First Lady, Michelle
Obama, vorbehalten, die rassistische Verkürzung der Arbeiterklasse auf Weiße wenigstens ansatzweise zurechtzurücken. Beim
Nominierungsparteitag der Demokraten verwies sie auf ihre und Baracks Herkunft aus der Arbeiterklasse und vermied dabei geschickterweise
Unterscheidungen zwischen Schwarz und Weiß.
Eingefleischten Rassisten und ererbtem Vermögen ist die Vorstellung, Schwarze könnten es zu etwas bringen, und Neureiche verschiedener
Hautfarbe könnten im Yachtclub den Stil verderben, ein Alptraum. Für die Mehrheit der amerikanischen Arbeiter- und Unterklasse ist dieser Traum
schon lange aus: Dies gilt für gewerkschaftlich organisierte Industriearbeiter, die ihre Jobs gerade an gewerkschaftlich nicht organisierte Arbeiter oder an
neue Maschinen verloren haben. Es gilt auch für jene, die Schulden und Gelegenheitsjobs auf sich genommen haben, um einen
Universitätsabschluss und damit eine der begehrten Stellen in der New Economy zu erlangen, und nach Studienabschluss feststellen müssen, dass
diese Stellen rar sind und bevorzugt an Kinder aus gutem Hause vergeben werden.
Sozialaufsteiger wie Michelle und Barack Obama, Bill Clinton oder Bill Gates werden ja
deswegen so gern als Vorbild präsentiert, weil sie mittlerweile Seltenheitswert haben. Sozial aufzusteigen versteht sich eben nicht von selbst. Diese
Erfahrung macht eine ausgegrenzte und vorwiegend schwarze Unterklasse seit Generationen. Millionen aus Mittelamerika eingewanderte Arbeiter teilen sie seit
ihrer Ankunft im Land der begrenzten Möglichkeiten.
Zwar würde die US-Wirtschaft, insbesondere deren Landwirtschaft sowie das Hotel-
und Gaststättengewerbe, ohne die Arbeit dieser Einwanderer noch schlechter dastehen als infolge der anhaltenden Finanzkrise. Aus diesem produktiven
Beitrag Ansprüche auf anständige Bezahlung, dauerhafte Arbeitserlaubnis und damit verbundenem Zugang zum amerikanischen Rumpfsozialstaat
abzuleiten, geht aber doch zu weit.
Diese durchaus bescheidene Version des amerikanischen Traums wurde am 1.Mai letzten
Jahres von Hunderttausenden protestierender und Stars-and-Stripes schwingender Einwanderer auf die Straße getragen. Damit konnten sie zwar kurze
Zeit Schlagzeilen machen, haben aber keine Änderung der US-Einwanderungs- oder Sozialpolitik bewirkt.
Wenn die rechtlosen „Einwanderarbeiter” nun zu dem Schluss kommen,
dass Proteste ebenso wenig ändern wie Wahlen, können sie sich der großen Gruppe amerikanischer Nichtwähler anschließen.
Diese umfasst mehrheitlich die Unter- und Arbeiterklasse. Ihre Wahlenthaltung erklärt auch, weshalb sich nicht einmal Weiße aus diesen Klassen in
nennenswerter Zahl von Hillary Clintons Werben beeindrucken ließen.
Ob Michelle und Barack in dieser Hinsicht mehr Erfolg haben werden, ist zweifelhaft. Was
der politisch aufgeklärten Mittelklasse als Passivität erscheint, zeugt ja eher davon, dass Unter- und Arbeiterklasse begriffen haben, dass der mit
dem Aufstieg der Arbeiterbewegung beginnende Kampfzyklus für Wahlrecht und Sozialreform zumindest vorläufig an ein Ende gekommen ist.
Seit Obama den guten Patrioten gibt und Wall Street Banker um Bob Rubin, der schon als Clintons Finanzminister Bankinteressen in Haushaltsgesetze
übersetzt hat, zu seinen wirtschaftspolitischen Beratern erkoren hat, sinkt er in der Wählergunst, steigt aber im Ansehen einer um politische Macht
und wirtschaftlichen Reichtum besorgten US-Bourgeoisie. Wenn dieser Trend sich bis zur Wahl fortsetzt, wird McCain US-Präsident, und Obama kann
sich als verpasste Wendechance präsentieren. Wird er Präsident, werden seine Wähler erst nach der Wahl feststellen, dass eine politische und
soziale Wende nicht ohne Gegenmacht zu haben ist, die Wall Street und diversen industriellen Komplexen entgegensteht.
Ob sich eine derartige Gegenmacht entwickelt? Vorläufig warnt der
Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO — der Demokratischen Partei seit den Tagen des Kalten Krieges in Nibelungentreue verbunden und auch jetzt
wieder das stärkste Bataillon an Wahlkämpfern — vor einem zu großen Einfluss der Banking Community.
Dass solche Warnungen niemanden interessieren, könnte den Gewerkschaftsbossen,
wenn sie es nicht schon selber wissen, ihr Lieblingsökonom Robert Reich aus leidvoller Erfahrung berichten. Mit ähnlichen Ambitionen wie
Hillary Clinton hatte sich Reich Bills erstem Präsidentschaftsteam angeschlossen, musste aber wie diese feststellen, dass die Beschlüsse im
Kabinett von Finanz- und Industrievertretern und nicht von Philanthropen und Gewerkschaftsfreunden vorgegeben werden.
Diese frustrierende Lektion hat Reich, der eben doch mehr Wirtschaftsprofessor als
Politiker ist, unter dem treffenden Titel Locked in the Cabinet als Buch veröffentlicht und sich damit Mut genug gemacht, es noch einmal zu versuchen.
Solche Hauptstadtplänkeleien sind für Andy Stern kein Thema. Unter dem
Namen „Change to Win” trieb er die Abspaltung einiger Gewerkschaften vom AFL-CIO voran und konzentriert sich seither auf die
Organisierung von Arbeitern in unterschiedlichen Wirtschaftssektoren. Dabei kommt es zu unschönen Revierkämpfen mit anderen
Gewerkschaften, großkotzigem Mackerverhalten, starken Sprüchen gegen das Finanzkapital einerseits und — Stern kann seine Herkunft aus
einer sozialpartnerschaftlich-bürokratischen Gewerkschaftsbewegung halt auch nicht verbergen — manch zahnlosem Tarifabschluss andererseits.
Und dennoch haben diese Organisationsbemühungen dazu geführt, dass 2007
zum ersten Mal seit 1979, dem Jahr bevor der Monetarismus kam, der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder an der Gesamtbeschäftigung gestiegen ist.
Zugegeben, daraus folgt praktisch nicht viel und die entsprechende Nachricht ist im Vergleich zur Obama-McCain-Show „voll uncool”
Gleichwohl waren es in der Geschichte immer wieder die kaum wahrnehmbaren tektonischen Verschiebungen, die zu politischem Wandel geführt haben.
Die sichtbaren Einwandererproteste des letzten und der vorangegangenen Jahre haben zwar
keine handgreiflichen Erfolge gehabt, sind abgeebbt und wurden in den Medien von anderen Themen abgelöst. Ein Teil der Protestierer hat sich aber nicht
frustriert zurückgezogen, sondern anderen Aktivitäten, z.B. gewerkschaftlichen Organisationskampagnen, zugewandt. So bescheiden sich deren
Erfolge in der Statistik noch ausnehmen: Sie haben eine Chance, von der Obama nur stellvertretend für andere sprechen kann: Organize to Change.
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