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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2008, Seite 20

70 Jahre IV.Internationale

Die Mühen revolutionärer Kontinuität

Vor siebzig Jahren wurde unter ungünstigsten historischen Umständen die IV.Internationale gegründet.

Im Jahr 1864 gehörte Karl Marx zu den Initiatoren der I.Internationale, die am 28.September in London gegründet wurde. Sie wollte eine revolutionäre Führung ohne Grenzen organisieren. Sie war somit eine einzige Partei, „Internationale” genannt, deren Mitglieder aus der Arbeiterklasse der wichtigsten europäischen Länder und aus den USA kamen. Sie stützte sich vor allem auf die Arbeiterbewegung Englands, des damals am höchsten industrialisierten Landes.Die I.Internationale wurde jedoch keine breite Kraft der Arbeiterklasse. Schon vor der Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 lähmten starke Meinungsverschiedenheiten zwischen den Anhängern von Marx und denen Bakunins ihre Aktionsfähigkeit; 1876 löste sie sich auf.
Die 1889 in Paris gegründete II.Internationale unterschied sich deutlich von ihrer Vorgängerin. Diesmal handelte es sich um eine Allianz aus sozialdemokratischen Parteien, die in verschiedenen, vor allem europäischen, Ländern entstanden waren und die jeweils ihre eigene Politik verfolgten. Sie brach im August 1914 zusammen, als sie zuließ, dass ihre Abgeordneten in den Parlamenten für die Kriegskredite und die Entsendung von Millionen junger Soldaten in das Gemetzel des Weltkriegs stimmten.
Die Linke in der II. Internationale sammelte sich 1915 in Zimmerwald und 1916 in Kienthal. Lenin, Trotzki und andere Revolutionäre riefen hier dazu auf, eine neue Internationale zu errichten. Diese, die III.Internationale (auch Kommunistische Internationale oder Komintern genannt), wurde im März 1919 in Moskau gegründet. Ihr Gründungskongress war für das europäische Proletariat noch wenig repräsentativ. Die Mehrzahl der Delegierten kam aus Russland, wo die Revolution gesiegt hatte, und aus Deutschland. Sie war bestrebt, sich durch strenge Beitrittsbedingungen vor reformistischen Kräften zu schützen, aber sie duldete in ihren Reihen eine Massenpartei wie die Kommunistische Partei Frankreichs, deren Kader im August 1914 mehrheitlich noch für den Krieg gestimmt hatten.
Die 1924 unter Leitung des Komintern-Vorsitzenden Sinowjew durchgeführte sog. „Bolschewisierung” bereitete die Bürokratisierung der meisten nationalen Sektionen der Internationale vor zugunsten der stalinistischen Führung, die in der UdSSR die Macht übernommen hatte.
Trotzki führte in den 20er Jahren die Linke Opposition in der KPdSU und in der Internationale an. Sie trat für eine Orientierung der Internationale auf die Revolution in den kapitalistischen Ländern ein an Stelle des von Stalin propagierten „Aufbaus des Sozialismus in einem Land” Zentraler Bestandteil dieses Kampfes war eine Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre geführte intensive Kampagne für eine Einheitsfront aus KPD und SPD, um die Machtübernahme der Nazis zu verhindern. Sie richtete sich gegen die kriminelle Politik der Stalinführung, die die SPD als „schlimmer als die Nazis” denunzierte und Hitler damit den Weg bereitete.
Als die Exekutive der Komintern am 5.April 1933 die Politik der KPD billigte, proklamierte Trotzki die Notwendigkeit, eine vierte Internationale und neue kommunistische Parteien aufzubauen. Ein erster Schritt bei ihrem Aufbau war eine gemeinsame Konferenz von vier Parteien — der Internationalen Kommunistischen Liga (die ehemalige Internationale Linke Opposition), der deutschen SAP und der zwei niederländischen Parteien OSP und RSP — im Dezember 1933 in Paris. Doch bald zeigten sich schwerwiegende Meinungsverschiedenheiten. In Belgien, in Frankreich und in Spanien trat die Mehrheit der Trotzkisten aus taktischen Gründen in die sozialdemokratischen Massenorganisationen ein — was die anderen Parteien ablehnten. Weitere Meinungsverschiedenheiten unter den Oppositionellen entstanden um die Analyse der stalinistischen Herrschaft in der Sowjetunion. Ein Teil von Trotzkis Anhängern akzeptierte diese Analyse nicht, nach dem Abschluss des Hitler-Stalin-Pakts im August 1939 verließen viele die IV.Internationale.
All diese Spannungen führten dazu, dass Trotzki Anfang 1938 nur auf die Unterstützung einer begrenzten Anzahl von Organisationen und Aktivisten zählen konnte. Enge Mitarbeiter Trotzkis wie Erwin Wolf, Ignaz Reiss, Rudolf Klement und sein eigener Sohn Leo Sedow wurden von der GPU ermordet. Trotzki selbst lebte seit Januar 1937 im mexikanischen Exil. Er fand dort Freunde wie den Maler Diego Rivera, aber Agenten der GPU bereiteten schon seine Ermordung vor.
Für die Gründungskonferenz der IV.Internationale in Périgny bei Paris am 3.September 1938, an der er selbst nicht teilnehmen konnte, schrieb Trotzki das sog. Übergangsprogramm mit dem Titel „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV.Internationale” [siehe SoZHeft Nr.6, Mai 2004]. 22 Delegierte aus 11 nationalen Sektionen gründeten die neue Internationale, sie zählte damals etwa 5000 Mitglieder.
War es sinnvoll, unter diesen Umständen eine schwache IV.Internationale aufzubauen, die kaum in den Massen verankert war, während die III.Internationale sich bei ihrer Gründung auf die siegreiche russische Revolution und auf im Aufschwung befindliche kommunistische Parteien stützen konnte? Der kanadische Trotzkist François Moreau schrieb dazu 1993: „Wenn die IV.Internationale nicht gegründet worden wäre, wenn sie in den düsteren 40er oder 50er Jahren verschwunden wäre ... hätte man bei Null anfangen müssen, um inmitten der schlimmsten ideologischen Konfusionen eine neue Internationale zu bilden und wieder an eine revolutionäre politische Kontinuität anzuknüpfen, die durch sechzig Jahre Stalinismus unterbrochen wurde.” Er fügt hinzu: „In jedem Fall wird die IV.Internationale ihren Beitrag einbringen können: eine ununterbrochene revolutionäre Kontinuität, die ihre Wurzeln in der besten Periode der Kommunistischen Internationale hat; zahlreiche revolutionäre Aktivisten, die in den Massenbewegungen von Dutzenden Ländern auf allen Kontinenten verankert sind und eine reiche Erfahrung der Kämpfe ... Das ist wenig und das ist viel.” Trotzki selbst setzte seine ganze Energie in diese Aufgabe, die er „die bedeutendste Leistung meines Lebens” nannte, „wichtiger als meine Tätigkeit im Jahre 1917, wichtiger als die Arbeit in der Zeit des Bürgerkrieges usw."

Georges Dobbeleer/Red.


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