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Mit vollem Recht beginnt Christian von Ditfurth sein Nachwort zu Jean-François Vilars Roman Die Verschwundenen mit dem
Satz: „1938 — Was für ein furchtbares Jahr” Das Wüten der Nazis in Deutschland, die Reichskristallnacht, der Einmarsch in
Österreich und die Annexion des Sudetenlands, die Wende im spanischen Bürgerkrieg, das Ausschalten der POUM, der Zerfall der
Volksfrontregierung in Frankreich, der dritte Moskauer Prozess, die Verfolgung und Liquidierung linksoppositioneller Kader in ganz Europa. Auf all diese
Ereignisse stößt der Pariser Fotograf Victor Blainville beim Lesen des Tagebuchs von Alfred Katz, der Ende 1938 plötzlich verschwunden
ist. Das Tagebuch hat Blainville von dessen Sohn Alex Katz erhalten, nach dem beide nach dreijähriger Entführung freigelassen worden sind,
gerade zum Zeitpunkt der Öffnung der Berliner Mauer.
Victor Blainville kennt sich in der Geschichte der Trotzkisten aus, im Mai 68 gehörte
er zu ihnen, immer noch ist er ein rebellischer Geist. Nach drei Jahren Gefangenschaft kann er nicht in sein zurückgezogenes Leben zurückkehren,
was ihm durch den Unfalltod seines ehemaligen Mitgefangenen Alex, die Zerstörung seiner Wohnung und dem Auftauchen zweier anziehender Frauen
sowieso unmöglich gemacht wird. Immer faszinierter liest Victor im Tagebuch von der mühseligen politischen Arbeit des kleinen Katz für
eine der beiden konkurrierenden trotzkistischen Gruppen, dessen Begeisterung für die Surrealisten und insbesondere André Breton, zu dessen
Kreisen er Zugang erhält. Auf deren großen, skandalösen Ausstellung lernt seine große Liebe Mila kennen und ein wenig später
seinen Rivalen und Freund Felix, einen beinharten Stalinisten. Jung sind sie alle, aber schon von Misstrauen, Verrat und Gewalt geprägt. Was bedeutet
eine Liebesnacht, wenn jedes Wort weitergemeldet wird. Wie wenig wiegt ein Faustschlag wegen einer scharfen Polemik gegenüber der Gefahr,
umgebracht zu werden, weil man wichtige politische Papiere in der Aktentasche mit sich trägt.
Blainville macht sich auf die Spurensuche, trifft noch 50 Jahre später auf Orte aus
Katz Tagebuch und Überlebende seiner Zeit und deckt eine Tragödie auf. Aber da ist er schon nicht mehr in Paris, sondern im Prag der
samtenen Revolution und der Heimat von Solveig. Und hier, im größtenTumult der neuen Hoffnungen, erfährt er auch, dass er selbst als
Opfer einer Manipulation vorgesehen war.
Obwohl der Roman stolze 24,70 Euro kostet, hat der Verlag Assoziation A nicht nur
denjenigen, die in diesem Jahr an die Gründung der IV.Internationale vor 70 Jahren in einer Scheune bei Paris erinnern, ein Geschenk gemacht. Auf
höchst kunstvolle Art wird die Brücke von 1938 über die 68er Bewegung zum Kollaps der „realsozialistischen” Regime in
Osteuropa geschlagen und die Verbindung hergestellt zwischen den amtlichen Daten der Geschichtsbücher und dem Kampf der mutigen, schwachen,
irrenden Oppositionellen, die nichts anderes wollten, als ein gutes Leben für alle.
Dies nur noch am Rande: Wer Katzen mag und ihnen nicht nur Dosenfutter zumuten will,
im Roman gibts die feinsten Leckereien für die Haustiger — nachmachen.
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