SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 04

Können wir uns die Reichen noch leisten?

In München gibt es eine Messe nur für Millionäre

von PAUL KLEISER

Vom 16. bis 19.Oktober fand in München die Millionaire Fair statt, auf der sich nach Angaben der Organisatoren „die Spitzen der Luxusgüterindustrie präsentieren”
Diese Veranstaltung wird alljährlich vom holländischen Verleger von Luxuszeitschriften wie Miljonair Guide, JFK oder Jackie, Yves Gijrath, organisiert; er hat sie 2002 ins Leben gerufen. Hier trifft „die Crème de la Crème der internationalen Luxusgüterindustrie zusammen, um den anspruchsvollen Besuchern ihre schönsten Unikate, die exklusivsten Produkte sowie ausgefallene Dienstleistungen zu präsentieren” „Beispielloser Glamour und Lifestyle pur” verspricht die Webseite der MF. Die neuesten Modekreationen werden vorgeführt, sündteurer Schmuck und Uhren herumgetragen, kulinarische Köstlichkeiten gereicht, und die Spitzendamen des horizontalen Gewerbes preisen mehr oder weniger diskret ihre Dienste an.
Diese Veranstaltung ist ein Gipfel an Obszönität.
Die im Münchner Sozialforum zusammengeschlossenen Organisationen haben öffentlich gegen die Millionaire Fair protestiert, nicht aus „Sozialneid”, sondern weil die Polarisierung von Armut und Reichtum immer perversere Formen annimmt.
Gerade erleben wir die Folgen der internationalen Finanzkrise. Diese Krise ist eine gigantische Umverteilungsmaschine — das Geld ist nicht einfach weg, es wandert in die Taschen anderer Leute. In den USA wurden bereits 2,5 Millionen Häuser und Wohnungen zwangsgeräumt, in diesem Jahr werden es wohl über 3 Millionen sein (allein im August 300000!). Eine Reihe von Großzockern haben zahlreiche Banken und Versicherungen (bis jetzt über 30!) in den Abgrund gerissen. Nachdem der Reibach gemacht ist, ruft nun sogar der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, nach dem Staat. Die Verluste werden zulasten der Lohnabhängigen und des Mittelstands sozialisiert. Die verschiedenen Staatsinterventionen seit Beginn der Krise vor einem Jahr kosten bis zum jetzigen Zeitpunkt die USA über eine Billion Dollar, die europäischen Länder (ohne Russland und Schweiz) annähernd 2 Billionen Euro.
Mit einem Bruchteil dieses Geldes hätten die Millenniumsziele der UNO — Beseitigung von Hunger und Infektionskrankheiten, Gesundheitsvorsorge und Bildung für alle Menschen dieser Erde — problemlos verwirklicht werden können.
Das Verramschen von Staatsbesitz, die Deregulierung der Märkte und der Abbau des Sozialstaats haben in den vergangenen 25 Jahren die Polarisierung von Arm und Reich massiv vorangetrieben. Auf der Erde gibt es etwa 10 Millionen Geldmillionäre, die allein über gut 40% des weltweiten Geldvermögens verfügen. Der Wert ihres Sachvermögens dürfte noch weit höher liegen. Auf der anderen Seite leben etwa 2,6 Milliarden Menschen an oder unter der absoluten Armutsgrenze; sie müssen mit weniger als 2 Dollar am Tag auskommen. Indien hatte in den beiden letzten Jahrzehnten Wachstumsraten von jährlich 7% zu verzeichnen; trotzdem nahm die Zahl der bitter Armen nicht ab, sondern zu.
In Deutschland verfügen die reichsten 10% der Bevölkerung über fast zwei Drittel des gesamten „Volks"vermögens, während die untersten 10% massiv verschuldet sind. Ende 2006 gab es in der EU 156 Milliardäre, darunter fanden sich genau 50 Deutsche. Die Liste wird angeführt von den beiden Aldi-Brüdern mit einem geschätzten Vermögen von jeweils 16 Milliarden Euro, gefolgt von Dieter Schwarz (Tengelmann, 10 Milliarden) und Susanne Klatten (BMW, 8 Milliarden).
Während die große Mehrheit der Bevölkerung seit Jahren mit realen Einkommensverlusten zurechtkommen muss, gab es eine Explosion bei den Managergehältern. Vor zehn Jahren bekam ein Manager eines Dax-Unternehmens im Schnitt das 19-fache Gehalt eines Facharbeiters. Inzwischen beansprucht er das 44-fache Gehalt und behauptet bisweilen, er (Frauen kommen kaum vor!) sei unterbezahlt. Solche Gehälter und „Aktienoptionen” haben mit Leistung rein gar nichts zu tun.
Die Polarisierung von Arm und Reich führt dazu, dass in Deutschland mittlerweile fast 8 Millionen Menschen von Hartz IV (d.h. 351 Euro plus Miete, Kinder 211 Euro) leben müssen. Allein mit den 10 Milliarden Euro, die die Sanierung der IKB kostet, hätte man Hartz IV um fast 100 Euro aufstocken können. Mehr Geld brauchen auch die 1,33 Millionen im „Niedriglohnsektor” Beschäftigten (davon 70% Frauen), die so wenig Lohn erhalten, dass sie zusätzlich Hartz IV beantragen müssen. Gerne wird behauptet, sie seien eben unqualifiziert; Untersuchungen zeigen aber, dass gut zwei Drittel von ihnen über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. 2,5 Millionen Kinder leben in Armut und kommen ohne Frühstück zur Schule. Das kapitalistische System ist ein Raubvogel, der seine eigenen Eier frisst.
Nicht die Sozialisierung der Verluste, die Sozialisierung des Reichtums ist angesagt!


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