SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 04

Neue Wahlkampfidee der Hamburger Grünen:

Projekt „minus 8%"

von STEFAN MÜLLER

Nein, es macht irgendwann keinen Spaß mehr. Jedesmal hofft man aufs Neue, es sei nun wirklich das ultimativ letzte „Die Grünen haben ihre Wurzeln und ihre Prinzipien verraten"-Flugblatt geschrieben. Und dann wohnt man ausgerechnet in Hamburg, wo Vattenfall eine gigantische CO2- und Feinstaubschleuder errichtet. In einer Stadt, in der eine traditionell starke GAL sich dieses Themas mit viel Elan angenommen hat und einen straighten Anti-Kohlekraft-Wahlkampf geführt hat, um sich gleich danach mit der CDU ins Bett zu legen und als Leiterin des Umweltamts als allererstes den Neubau zu genehmigen... nein, es macht keinen Spaß.
Aber was heißt diese Entwicklung für das politische Koordinatensystem der Parteien? Und was bedeutet sie für die Linke?
Seit Mai gibt es in Hamburg die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene, sie wird nun immer häufiger auch als mögliches Modell auf Bundesebene gehandelt. Weil niemand ahnt, was die kommende Bundestagswahl bringt, soll die Koalition nach Willen von Frau Merkel und Frau Roth unbedingt halten. Dummerweise war die Grün-Alternative Liste im Hamburger Wahlkampf massiv gegen das Kraftwerk Moorburg zu Felde gezogen.
Nun stellt sie mit Anja Hajduk ausgerechnet die Umweltsenatorin, die Bau und Betrieb des Kohlemeilers genehmigt hat (siehe SoZ 10/08). Selbst mit den üblichen Placebos (ganz strenge Auflagen wie z.B. eine Fischtreppe und vorläufige Leistungsdrosselung) kann die GAL kaum verschleiern, dass sie sich zur Rettung der Regierungskoalition sogar von ihrem Image als Klimaretterin trennt.
Bei den denkfähigen Teilen der grünen Basis ist die Wirkung schmerzlich. Schon bei der Regierungsbildung war man parteiintern von bis zu 30% Parteiaustritten und bis zu 8% Stimmverlusten ausgegangen. Aber die Devise lautete: „Macht nichts, rechnerisch würde es bei der nächsten Wahl immer noch reichen."
Und jetzt? Erklärungsnotstand? Kein Problem! Umweltstaatsrat Cristian Maaß nimmt die ganze Schuld auf sich: „Ich habe mir ein Urteil zugetraut, ich muss heute sagen, das war falsch.” Was der Mann meint?
Er tut so, als habe sich die GAL mit ihrem eindeutigen Anti-Moorburg-Wahlkampf irrtümlich und versehentlich der Illusion hingegeben, die GAL könne als Regierungspartei den Bau verhindern. Der Bruch des Wahlkampfversprechens wird als Resultat einer Unterinformation und einer damit verbundenen Fehleinschätzung der rechtlichen Sachlage und somit als bedauerlich und letztendlich menschlich verkauft.
Zwar wird intern noch gemurrt ("Das ist gut, wir sind eine lebendige Partei"), nach außen hat die GAL aber eine Sprachregelung entwickelt, die geeignet erscheint, den harten politischen Gehalt des Konflikts zumindest vorläufig auszublenden. Auf Dauer kann sie den Konflikt zwischen Naturverhältnis und Wirtschaftssystem aber nicht umgehen. Nur unter Einbüßung ihrer Existenzberechtigung. Denn Fischtreppen und Effizienzsteigerung brauchen in Zeiten omnipräsenter Naturliebe aller Parteien keine grünen Fürsprecher mehr.
Wie wird es nun für diejenigen weitergehen, die auf der Straße Druck aufbauen wollen, damit sich dieser in Parlamentsentscheidungen umsetzt? Die GAL war traditionell der erste Ansprechpartner für Umweltverbände und wurde auch zum großen Teil mit der Hoffnung gewählt, zu einer notwendigen Energiewende beizutragen.
Dass diese Hoffnung enttäuscht werden musste, konnten alle wissen, die in das Parteiprogramm der GAL schauen. Dieses stellt ein einziges Loblied auf marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente dar. Der Kampf gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit wird nur als Floskel vor sich hergetragen, es fehlt selbst der Hauch einer Analyse des systemischen Charakter der Krise, es fehlt jede Nuance einer Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise.
Die Umweltorganisationen, die in erster Linie auf freiwillige Vereinbarungen, technologische Effizienzsteigerung, Konsumentenmündigkeit und symbolisches Klein-Klein bauen, können der GAL weiter die Stange halten. Aber bei vielen Verbänden und unorganisierten Wählerinnen und Wählern ist die Enttäuschung sehr groß.
Bei ihnen zeichnet sich jedoch auch eine Repolitisierung ab. Und mit der Linkspartei hat ein neuer Ansprechpartner die Bühne betreten: zumindest der Hamburger Landesverband stattete z.B. den Klimacampern brav Solidaritätsbesuche ab, versucht, die Polizeiübergriffe bei der Kraftwerksbesetzung zu skandalisieren und nimmt die Forderung nach „Enteignung der Stromkonzerne” in ihren Diskurs auf.
Insgesamt konnte die im Nachklapp des Klimacamps selbstbewusster auftretende Umweltbewegung den politischen Schwenk der Grünen für sich wenden. Die radikale, außerparlamentarische Bewegung schafft es wieder erfolgreicher, den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wachstumslogik und der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen zu thematisieren — und, als Nebenprodukt, den parteigrünen Umweltschutz als substanzlose Phrase zu demaskieren.

Der Autor ist Mitglied bei Avanti - Projekt Undogmatische Linke.


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