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Nein, es macht irgendwann keinen Spaß mehr. Jedesmal hofft
man aufs Neue, es sei nun wirklich das ultimativ letzte „Die Grünen haben ihre
Wurzeln und ihre Prinzipien verraten"-Flugblatt geschrieben. Und dann wohnt man
ausgerechnet in Hamburg, wo Vattenfall eine gigantische CO2- und Feinstaubschleuder errichtet.
In einer Stadt, in der eine traditionell starke GAL sich dieses Themas mit viel Elan
angenommen hat und einen straighten Anti-Kohlekraft-Wahlkampf geführt hat, um sich gleich
danach mit der CDU ins Bett zu legen und als Leiterin des Umweltamts als allererstes den
Neubau zu genehmigen... nein, es macht keinen Spaß.
Aber was heißt diese
Entwicklung für das politische Koordinatensystem der Parteien? Und was bedeutet sie
für die Linke?
Seit Mai gibt es in Hamburg
die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene, sie wird nun immer häufiger
auch als mögliches Modell auf Bundesebene gehandelt. Weil niemand ahnt, was die kommende
Bundestagswahl bringt, soll die Koalition nach Willen von Frau Merkel und Frau Roth unbedingt
halten. Dummerweise war die Grün-Alternative Liste im Hamburger Wahlkampf massiv gegen
das Kraftwerk Moorburg zu Felde gezogen.
Nun stellt sie mit Anja Hajduk
ausgerechnet die Umweltsenatorin, die Bau und Betrieb des Kohlemeilers genehmigt hat (siehe
SoZ 10/08). Selbst mit den üblichen Placebos (ganz strenge Auflagen wie z.B. eine
Fischtreppe und vorläufige Leistungsdrosselung) kann die GAL kaum verschleiern, dass sie
sich zur Rettung der Regierungskoalition sogar von ihrem Image als Klimaretterin trennt.
Bei den denkfähigen
Teilen der grünen Basis ist die Wirkung schmerzlich. Schon bei der Regierungsbildung war
man parteiintern von bis zu 30% Parteiaustritten und bis zu 8% Stimmverlusten ausgegangen.
Aber die Devise lautete: „Macht nichts, rechnerisch würde es bei der nächsten
Wahl immer noch reichen."
Und jetzt?
Erklärungsnotstand? Kein Problem! Umweltstaatsrat Cristian Maaß nimmt die ganze
Schuld auf sich: „Ich habe mir ein Urteil zugetraut, ich muss heute sagen, das war
falsch.” Was der Mann meint?
Er tut so, als habe sich die
GAL mit ihrem eindeutigen Anti-Moorburg-Wahlkampf irrtümlich und versehentlich der
Illusion hingegeben, die GAL könne als Regierungspartei den Bau verhindern. Der Bruch des
Wahlkampfversprechens wird als Resultat einer Unterinformation und einer damit verbundenen
Fehleinschätzung der rechtlichen Sachlage und somit als bedauerlich und letztendlich
menschlich verkauft.
Zwar wird intern noch gemurrt
("Das ist gut, wir sind eine lebendige Partei"), nach außen hat die GAL aber eine
Sprachregelung entwickelt, die geeignet erscheint, den harten politischen Gehalt des Konflikts
zumindest vorläufig auszublenden. Auf Dauer kann sie den Konflikt zwischen
Naturverhältnis und Wirtschaftssystem aber nicht umgehen. Nur unter Einbüßung
ihrer Existenzberechtigung. Denn Fischtreppen und Effizienzsteigerung brauchen in Zeiten
omnipräsenter Naturliebe aller Parteien keine grünen Fürsprecher mehr.
Wie wird es nun für
diejenigen weitergehen, die auf der Straße Druck aufbauen wollen, damit sich dieser in
Parlamentsentscheidungen umsetzt? Die GAL war traditionell der erste Ansprechpartner für
Umweltverbände und wurde auch zum großen Teil mit der Hoffnung gewählt, zu
einer notwendigen Energiewende beizutragen.
Dass diese Hoffnung
enttäuscht werden musste, konnten alle wissen, die in das Parteiprogramm der GAL schauen.
Dieses stellt ein einziges Loblied auf marktwirtschaftliche Steuerungsinstrumente dar. Der
Kampf gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit wird nur als Floskel vor
sich hergetragen, es fehlt selbst der Hauch einer Analyse des systemischen Charakter der
Krise, es fehlt jede Nuance einer Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise.
Die Umweltorganisationen, die
in erster Linie auf freiwillige Vereinbarungen, technologische Effizienzsteigerung,
Konsumentenmündigkeit und symbolisches Klein-Klein bauen, können der GAL weiter die
Stange halten. Aber bei vielen Verbänden und unorganisierten Wählerinnen und
Wählern ist die Enttäuschung sehr groß.
Bei ihnen zeichnet sich jedoch
auch eine Repolitisierung ab. Und mit der Linkspartei hat ein neuer Ansprechpartner die
Bühne betreten: zumindest der Hamburger Landesverband stattete z.B. den Klimacampern brav
Solidaritätsbesuche ab, versucht, die Polizeiübergriffe bei der Kraftwerksbesetzung
zu skandalisieren und nimmt die Forderung nach „Enteignung der Stromkonzerne” in
ihren Diskurs auf.
Insgesamt konnte die im
Nachklapp des Klimacamps selbstbewusster auftretende Umweltbewegung den politischen Schwenk
der Grünen für sich wenden. Die radikale, außerparlamentarische Bewegung
schafft es wieder erfolgreicher, den Zusammenhang zwischen kapitalistischer Wachstumslogik und
der Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen zu thematisieren — und, als
Nebenprodukt, den parteigrünen Umweltschutz als substanzlose Phrase zu demaskieren.
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