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Eine „unüberschaubare” Menschenmenge machte
am 11.10. in Berlin ihrem Ärger gegen die Datensammelwut Luft. Die Polizei sprach von
15000 Teilnehmenden, die Organisatoren von 100000. In jedem Fall war sie größer als
die erste Demonstration, die unter diesem Motto im Jahr 2007 stattfand.
Auffallend war die hohe
Beteiligung junger Menschen. Immer mehr Menschen sehen in den sog. Sicherheitsgesetzen einen
Angriff auf die Privatsphäre und weiteren Beitrag zur Schaffung immer größerer
gesellschaftlicher Unsicherheit.
"Diese Gesetze gelten
nicht dem sog. Krieg gegen den internationalen Terrorismus, sondern all denjenigen, deren
Interessen im Widerspruch zur herrschenden Politik stehen”, betonten die Rednerinnen und
Redner, die aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen kamen.
Einer der Organisatoren,
Padeluun, sprach mit Rolf Euler über die dicksten Probleme.
Padeluun ist Mitbegründer
des AK Vorratsdatenspeicherung und
Mitorganisator der Demo „Freiheit statt Angst”, zugleich Mitglied des FoeBuD
Bielefeld und der Auswahl-Jury zur Vergabe des „Big Brother Award”.
Ihr hattet für die Demonstration in Berlin einen sehr großen Aufruferkreis,
von den Oppositionsparteien über Ver.di bis zu Bürgerinitiativen, wie den
Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, FoeBud oder den Chaos Computer Club. Das macht Mut, dass
der Protest gegen die Datensammelwut von Behörden und Unternehmen nicht nur eine
vorübergehende Sache ist. Wie war die Resonanz vor Ort und darüber hinaus?
Wir haben geschafft, eine — im Wortsinn! — unüberschaubare Menschenmenge
vor dem Brandenburger Tor zu versammeln. Wir haben auf der Bühne einen Pressefotografen
mit Superteleobjektiv gebeten, für uns einmal zu schauen, wo die Menschenmasse endet:
Auch damit war das kaum zu sehen.
Es ist also klar: Es war die
größte Demonstration für Datenschutz, die es je gegeben hat — auch zu
Volkszählungszeiten gab es keine Demonstration, zu der mehr Menschen kamen.
Es sind 21 Fälle von Gesetzen zur Verschärfung der Überwachung genannt
worden. Welche davon sind am wichtigsten?
Diese Gesetze lassen sich nicht nach ihrer Wichtigkeit ordnen, ich möchte das auch
nicht. Sicher ist die Vorratsdatenspeicherung die Killerapplikation des Rechtsstaats —
aber auch eine Verordnung, die Asylsuchende und Hartz-IV-Beziehende noch mehr unter
Überwachung stellt, ist unendlich böse. Alles zusammengenommen kann das entstehen,
was wir befürchten: eine Überwachungsgesellschaft.
Mindestens 18 weitere
Verschärfungen der staatlichen Bürgerüberwachung stehen aktuell auf der
politischen Agenda, darunter die Vorratsspeicherung der Daten von Flugreisenden, die
Übermittlung persönlicher Daten an die USA sowie Exekutivbefugnisse
einschließlich Computerüberwachung für das Bundeskriminalamt — das alles
wurde auf der Demonstration hervorgehoben.
Was ist denn konkret die neue Qualität z.B. des digitalen Passbilds gegenüber
dem früheren „normalen” Foto? Gibt es einen Zusammenhang mit dem
verstärkten Einsatz von Videokameras im öffentlichen Raum und bei Unternehmen und
Behörden?
Die digital vernetzte Welt hat kaum noch etwas gemein mit einer analogen Welt. Mit einem
Fingerschnips werden Bilder, Fingerabdrücke, Genome von einem Ende der Welt zum anderen
geschickt. Der Zugriff erfolgt bequem per Laptop oder vom Schreibtisch aus. Wer Macht
über die Daten hat, hat diese Macht dann quasi absolut. Das gilt es zu verhindern. Denn
ein Vertrauen in „gute Fürsten” führt — das hat die Geschichte
gelehrt — nahezu zwangsläufig zu Unterdrückung und Sklaverei.
Der Umgang mit der Datensicherheit zum Beispiel bei der Telekom oder die
Datendiebstähle in England weisen auf die Gefahr der illegalen Nutzung von Datenbergen
hin. Aber ihr betont ja, dass schon die „normale” Nutzung große Gefahren
für die Freiheit bedeuten.
Richtig. Jede Anhäufung von Daten ist eine potenzielle Gefahr. Datenhalden
dürfen nicht entstehen, denn sie werden verbreitet und missbraucht werden.
Es wird öfters die Hoffnung geäußert, das Verfassungsgericht würde
die Gesetze entschärfen. Wer sich darauf nicht (allein) verlassen mag, was kann der tun?
Zum Beispiel gegen die zentrale Steuernummer, oder die kommende E-Gesundheitskarte?
Mitmachen beim Protest und nicht Mitmachen beim Ausverkauf der eigenen Daten. Also: keine
Kundenkarte haben, kein Geburtsdatum bei Bestellungen oder bei der Bahncard angeben, sich
informieren und nicht den Firmen auf den Leim gehen, die sich unsere Zustimmung zum
Datensammeln erschleichen wollen.
Seht ihr einen Zusammenhang mit der Finanzkrise und den Bestrebungen, in Zeiten
ökonomischer Aufregung innenpolitische Verschärfungen vorzunehmen, etwa der Einsatz
der Bundeswehr im Innern oder zentrale Abhöranlagen?
Nein. Das würde auch ohne Finanzkrise so versucht werden. Die technischen
Möglichkeiten der Totalüberwachung, vor denen uns Science-Fiction-Filme seit den
60er-Jahren warnen, sind nun vorhanden. Sie werden von der Industrie verkauft — und eben
auch genutzt.
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