SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 05

"Freiheit statt Angst"

Das Vertrauen in „gute Fürsten” führt in die Sklaverei

Interview mit Padeluun



Eine „unüberschaubare” Menschenmenge machte am 11.10. in Berlin ihrem Ärger gegen die Datensammelwut Luft. Die Polizei sprach von 15000 Teilnehmenden, die Organisatoren von 100000. In jedem Fall war sie größer als die erste Demonstration, die unter diesem Motto im Jahr 2007 stattfand.
Auffallend war die hohe Beteiligung junger Menschen. Immer mehr Menschen sehen in den sog. Sicherheitsgesetzen einen Angriff auf die Privatsphäre und weiteren Beitrag zur Schaffung immer größerer gesellschaftlicher Unsicherheit.
"Diese Gesetze gelten nicht dem sog. Krieg gegen den internationalen Terrorismus, sondern all denjenigen, deren Interessen im Widerspruch zur herrschenden Politik stehen”, betonten die Rednerinnen und Redner, die aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen kamen.
Einer der Organisatoren, Padeluun, sprach mit Rolf Euler über die dicksten Probleme.
Padeluun ist Mitbegründer des AK Vorratsdatenspeicherung und Mitorganisator der Demo „Freiheit statt Angst”, zugleich Mitglied des FoeBuD Bielefeld und der Auswahl-Jury zur Vergabe des „Big Brother Award”.

Ihr hattet für die Demonstration in Berlin einen sehr großen Aufruferkreis, von den Oppositionsparteien über Ver.di bis zu Bürgerinitiativen, wie den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, FoeBud oder den Chaos Computer Club. Das macht Mut, dass der Protest gegen die Datensammelwut von Behörden und Unternehmen nicht nur eine vorübergehende Sache ist. Wie war die Resonanz vor Ort und darüber hinaus?

Wir haben geschafft, eine — im Wortsinn! — unüberschaubare Menschenmenge vor dem Brandenburger Tor zu versammeln. Wir haben auf der Bühne einen Pressefotografen mit Superteleobjektiv gebeten, für uns einmal zu schauen, wo die Menschenmasse endet: Auch damit war das kaum zu sehen.
Es ist also klar: Es war die größte Demonstration für Datenschutz, die es je gegeben hat — auch zu Volkszählungszeiten gab es keine Demonstration, zu der mehr Menschen kamen.

Es sind 21 Fälle von Gesetzen zur Verschärfung der Überwachung genannt worden. Welche davon sind am wichtigsten?

Diese Gesetze lassen sich nicht nach ihrer Wichtigkeit ordnen, ich möchte das auch nicht. Sicher ist die Vorratsdatenspeicherung die Killerapplikation des Rechtsstaats — aber auch eine Verordnung, die Asylsuchende und Hartz-IV-Beziehende noch mehr unter Überwachung stellt, ist unendlich böse. Alles zusammengenommen kann das entstehen, was wir befürchten: eine Überwachungsgesellschaft.
Mindestens 18 weitere Verschärfungen der staatlichen Bürgerüberwachung stehen aktuell auf der politischen Agenda, darunter die Vorratsspeicherung der Daten von Flugreisenden, die Übermittlung persönlicher Daten an die USA sowie Exekutivbefugnisse einschließlich Computerüberwachung für das Bundeskriminalamt — das alles wurde auf der Demonstration hervorgehoben.

Was ist denn konkret die neue Qualität z.B. des digitalen Passbilds gegenüber dem früheren „normalen” Foto? Gibt es einen Zusammenhang mit dem verstärkten Einsatz von Videokameras im öffentlichen Raum und bei Unternehmen und Behörden?

Die digital vernetzte Welt hat kaum noch etwas gemein mit einer analogen Welt. Mit einem Fingerschnips werden Bilder, Fingerabdrücke, Genome von einem Ende der Welt zum anderen geschickt. Der Zugriff erfolgt bequem per Laptop oder vom Schreibtisch aus. Wer Macht über die Daten hat, hat diese Macht dann quasi absolut. Das gilt es zu verhindern. Denn ein Vertrauen in „gute Fürsten” führt — das hat die Geschichte gelehrt — nahezu zwangsläufig zu Unterdrückung und Sklaverei.

Der Umgang mit der Datensicherheit zum Beispiel bei der Telekom oder die Datendiebstähle in England weisen auf die Gefahr der illegalen Nutzung von Datenbergen hin. Aber ihr betont ja, dass schon die „normale” Nutzung große Gefahren für die Freiheit bedeuten.

Richtig. Jede Anhäufung von Daten ist eine potenzielle Gefahr. Datenhalden dürfen nicht entstehen, denn sie werden verbreitet und missbraucht werden.

Es wird öfters die Hoffnung geäußert, das Verfassungsgericht würde die Gesetze entschärfen. Wer sich darauf nicht (allein) verlassen mag, was kann der tun? Zum Beispiel gegen die zentrale Steuernummer, oder die kommende E-Gesundheitskarte?

Mitmachen beim Protest und nicht Mitmachen beim Ausverkauf der eigenen Daten. Also: keine Kundenkarte haben, kein Geburtsdatum bei Bestellungen oder bei der Bahncard angeben, sich informieren und nicht den Firmen auf den Leim gehen, die sich unsere Zustimmung zum Datensammeln erschleichen wollen.

Seht ihr einen Zusammenhang mit der Finanzkrise und den Bestrebungen, in Zeiten ökonomischer Aufregung innenpolitische Verschärfungen vorzunehmen, etwa der Einsatz der Bundeswehr im Innern oder zentrale Abhöranlagen?

Nein. Das würde auch ohne Finanzkrise so versucht werden. Die technischen Möglichkeiten der Totalüberwachung, vor denen uns Science-Fiction-Filme seit den 60er-Jahren warnen, sind nun vorhanden. Sie werden von der Industrie verkauft — und eben auch genutzt.


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