SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 06

Eiertänze, Blues, Rock und Choreografie

Antiislamkonferenz in Köln verhindert

von REINER SCHMIDT

Ja, aus unserer Sicht war der 20.9. in Köln wunderbar. Aber es gab und gibt auch einige Wermutstropfen. Der Reihe nach.
Wir vom Bündnis gegen „Pro Köln” begannen bereits im März mit der Mobilisierung; der frühe Beginn war wesentlich für den Erfolg. Eine wichtige Rolle spielte darin das Bündnis AKKU (Antifa Köln und Umgebung), es bereitete die Sitzungen vor und entwickelte zusammen mit „Geblockt” das Blockadekonzept vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Heiligendamm.

Eiertanz

Bei aller Entschlossenheit, den Aufmarsch der Rechten zu verhindern wussten wir, dass das nur geht, wenn wir die Bevölkerung jenseits des Antifa-Spektrums und der traditionellen linken und linksradikalen Strukturen erreichen. Deshalb machten wir klar: Wir wollen blockieren, verstopfen und die Antiislamkonferenz verhindern, aber wir betonten auch: Es geht uns dabei um zivilen Ungehorsam, in der Tradition des passiven Widerstands.
Von Anfang an bemühten wir uns um eine möglichst breite Unterstützung, was hervorragend gelang. Neben den üblichen Verdächtigen (von moderat antideutschen Antifa-Strukturen über die Partei DIE LINKE und andere linke Organisationen wie SAV, DKP und IL (Interventionistische Linke), waren von Anfang an auch Attac, die DGB-Jugend Köln, die Ver.di-Jugend, die Bezirksschülervertretung, die Schüler gegen Rechts und der Dachverband der Fan-Clubs des 1.FC Köln dabei.
Den Blockadeaufruf unterschrieben die gesamte Kölner Kabarettszene von Heinrich Pachl bis zur Stunksitzung, Lokalpolitiker der Grünen, die Grüne Jugend NRW, Professoren der Hochschulen, Kulturschaffende usw — insgesamt mehr als hundert Organisationen und sog. Promis.
Zwei Monate nach unserem Start protestierte der DGB in einem Aufruf an die Öffentlichkeit heftig gegen die Antiislamkonferenz und kündigte mehrere Aktionen dagegen an: eine Kundgebung vor dem Dom, Demonstration und Menschenkette um den Heumarkt (Treffpunkt der Antiislamkonferenz) sowie eine Neuauflage des legendären Arsch-huh-Konzerts der Kölner Rockszene von 1992. Dreimal trafen wir uns mit dem DGB.
Ergebnis war die Vereinbarung einer arbeitsteiligen Zusammenarbeit für den 20.9. Arbeitsteilig hieß, der DGB machte seine Veranstaltungen und wir unsere Blockade. Die Zusammenarbeit bestand in der personellen Schnittmenge von Unterschriften unter beide Aufrufe. Am Tag selbst fand zeitversetzt auf ein und demselben Platz unsere Blockadeauftaktveranstaltung und das Arsch- huh-Konzert statt und es gab die Möglichkeit von Redebeiträgen von unserem Bündnis auf der DGB-Bühne.

Blues: die Pressearbeit:

Die Pressearbeit war schwierig. Aber wir schafften es, in alle Medien, vom Kölner Stadtanzeiger bis zum ZDF. Über die Aktionen wurde dann in der ganzen Welt berichtet.
Nur, nach dem 20.9. wurden die Blockaden in der örtlichen Presse zwar nicht verschwiegen, aber es überwog die Berichterstattung über die Aktionen der Gewerkschaften, Arsch huh u.a.

Rock: Die Mobilisierung

Lokal: Es gab mindestens zwanzig Mobilisierungsveranstaltungen der beteiligten Gruppen, Parteien und Organisationen. Einige Aktivisten aus dem Roter-Stern-Milieu starteten die geniale Kampagne „Kein Kölsch für Nazis” und gewannen damit die Lufthoheit über alternative und altlinke Stammtische. Weit über hundert Kneipen und zig Musikgruppen unterzeichneten den Aufruf und organisierten eigenständig Veranstaltungen, die auch für das Gesamtprojekt viel Geld einbrachten.
Regional kam Unterstützung vor allem von der Antifa KOK aus Düsseldorf und der Antifa Leverkusen; auch NRW-Gruppen der Grünen Jugend, von Attac, DIE LINKE und der Antifa trugen das Ihre bei. Bundesweit hatten neben anderen Antifa-Gruppen vor allem die der IL mobilisiert.
Auf internationaler Ebene gab es einen Bus aus Belgien und einen der LCR aus Frankreich.
Laut Zeitungsberichten nahmen an den Kölner Protesten zwischen zwischen 20000 und 50000 Menschen teil. Wir können nur was zu den Blockadepunkten sagen. Da waren etwa 5000—7000 Leute, und das war toll.

Choreografie: Die Blockade

Hier gerieten sogar örtliche Journalisten ins Schwärmen, viele, die über die Logistik berichten wollten, wurden dann von ihren Redaktionskonferenzen ausgebremst. Bezüglich dieser Logistik gab es viele, zum Teil auch sehr hitzige Diskussionen in der entsprechenden Arbeitsgruppe. Ein Problem war der Transfer der Planungen in das Gesamtbündnis. Alle wollten vollständige Transparenz, was aber nicht möglich war, denn spätestens hier war die staatliche Aufsicht mit dabei. In Zukunft müsste bei der Planung derartiger Aktionen eine solche Gruppe demokratisch legitimiert werden, um dann Vertrauen einfordern zu können.
Im konkreten Fall hat die Choreografiegruppe erfolgreich agiert. Das Konzept mit vorher abgesprochenen Blockadepunktbesetzungen einerseits und einer Blockadeauftaktveranstaltung andererseits, mit einem zentralen Organisationsbüro, einem Lotsen- und Meldersystem hat sich bewährt. Die Blockade hat gehalten, und die Nazis konnten ihre Veranstaltung nicht durchziehen.

Abgesang

Nicht so schön war, dass am Schluss 500 Personen eingekesselt waren. Davon wurden 420 in die Gefangenensammelstelle vor die Tore der Stadt gebracht. Wir hatten dem aktuell nichts entgegenzusetzen. Unter den 420 waren 74 Jugendliche, die spätestens um 18 Uhr hätten entlassen werden müssen. Sie durften ab 22 Uhr die Sammelstelle verlassen, die letzten um 1.30 Uhr.
260 Personen wurden festgenommen. 120 davon werden laut Polizeibericht angezeigt. So viele Festnahmen gab es in Köln noch nie. Dagegen werden wir eine Kampagne führen. Dreimal hatten wir damit in Köln in der Vergangenheit schon Erfolg.
Aber nicht nur die Polizei hat unsere Aktionsform nicht verstanden, auch einige Leute mit Antifa-Absichten haben nicht verstanden, dass das eine Aktion des zivilen Ungehorsams sein sollte. Dabei kann man nicht aus der dritten Reihe Gegenstände auf Polizisten werfen, und dabei zum Teil noch eigene Leute in der ersten Reihe der Blockade treffen. Da muss noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Der Autor war maßgeblich an der Vorbereitung der Aktionen beteiligt. Er ist Mitglied der Interventionistischen Linken Köln (IL).


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