SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 05

Nachspiel zu Köln

Versuch einer ideologischen Gegenoffensive

von BERNHARD SCHMID

Der große Erfolg der Gegenmobilisierung hat eine intensive ideologische Reaktion in einem Teilbereich der veröffentlichten Meinung provoziert. Nicht nur die extreme Rechte meldet sich hier zu Wort, sondern auch Stimmen aus der bürgerlichen, liberalen und konservativen Ecke.
Nur rund hundert Anhänger der extremen Rechten gelangten auf den Heumarkt, wo der Höhepunkt der Konferenz stattfinden sollte. Andere, darunter Mitglieder des Vlaams Belang und der österreichischen FPÖ, blieben am Flughafen Köln/Bonn stecken, wo sie in einem Kellerraum eine Pressekonferenz veranstalteten.
"Pro Köln” ist offenkundig nicht in der Lage, eine breitere soziale Basis jenseits des Stimmzettels zu mobilisieren. Allem Anschein nach wollte „Pro Köln” sich mithilfe größerer rechtsextremer Parteien aus halb Europa stärken. Dies schlug wegen der fehlenden „Massenbasis” vor Ort fehl, die wäre die Voraussetzung für einen Erfolg gewesen.
Eine wichtige Rolle haben auch die lange Tradition des Widerstands der Stadt Köln gegen die Staatsmacht und das „rebellische”, rheinisch-frohsinnig-tolerante Temperament gespielt.

Reaktionen

Just aus München, wo die Sache mit dem „Kongress” und den Protesten dagegen möglicherweise anders ausgegangen wäre, kam eine laute Gegenstimme gegen den Verlauf der Ereignisse. Die Süddeutsche Zeitung wetterte wider die moralische Selbstgefälligkeit der Kölner gegenüber dem armen, verirrten „Häuflein” von Rassisten. Sie mokierte sich über das behauptete Missverhältnis zwischen den 40000 Gegendemonstranten und nur 100 Rassisten:
"Und trotzdem gibt es in Köln diesen unglaublich nervigen politischen Sauberkeitsfimmel ... Ihr eigener gerechter Zorn rührt die Herzen der anständigen Kölner sogar dermaßen, dass sie all diesen ‘Nazis‘ sofort die Fressen polieren möchten, und am besten auch noch denjenigen, die sich nicht auf sofortigen Befehl hin die No-go-for-Nazis-Buttons ans Revers stecken wollen. Die erklärt der anständige Kölner umgehend zu ‘Faschisten‘, wie die Rheinische Post berichtet. Tapfere Hausmuttis singen in Chören ironische Lieder über deutsche Muselmanenangst — ach, es kommt einem so vor, als sei diese verirrte Truppe des rechtspopulistischen Vereins ‘Pro Köln‘ ein großes neofaschistisches Hochwasser, das über Köln hereinzubrechen drohte, wie nichts Gutes. Dabei waren doch da bloß ein paar kleine xenophobe Männekens an den Rhein gekommen, die sich vorher ganz fest bei den Händen gehalten und einander fest versprochen haben, ihren Restmut zusammenzukratzen und ihren Zorn über den Islam auf den Heumarkt zu tragen."
Henryk M. Broder setzte in einem Interview mit der Springerzeitung Die Welt die Antifa schon mit der SA gleich: „Die sog. Antifa, die auf der Straße in der Überzahl war und sich gebärdete wie früher die SA, erzwang von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der Rechtspopulisten. Das könnte auch mal umgekehrt sein — eine beunruhigende Perspektive ... Jeder darf eine Gegenkundgebung organisieren, aber eine angemeldete und genehmigte Demonstration muss von der Polizei geschützt werden! Hier in Köln hat sich der Staat der Macht der Straße gebeugt."
Den Vogel aber schoss die Internetseite Politically Incorrect, alias PI, ab. Das ist ein ständig aktualisierter Blog. Von Stefan Herre aus Bergisch-Gladbach wird er quasi hauptberuflich betrieben und richtet sich an ein rechtes, zwischen Wirtschaftsliberalismus und Rassismus oszillierendes Publikum.
Diese Internetseite verbreitete ein übles Gerücht, das zunächst von besessenen Moslemhassern und der in London ansässigen Webseite Gates of Vienna ("Die Tore von Wien") lanciert worden war — eine Behauptung, für die es keinen Beweis gibt: Ein durch seine Kippa als Jude erkennbarer britischer Bürger, der an der „Pro-Köln"-Kundgebung teilnehmen wollte, sei an den Blockadestellen der Antifa beleidigt und geprügelt worden, „als Jude” selbstverständlich.
Das dreckige Gerücht, das PI in Deutschland lancierte, griff „Pro Köln” begierig auf. Auf deren Seite liest sich das so: „Was in der Stadt am Rhein gegen ihre Kundgebung abgelaufen ist, war nichts Anderes als ‘Judenhatz in Köln‘” (sic). Damit versucht „Pro Köln” in die Gegenoffensive zu kommen: sich selbst als „verfolgte Juden” und als „Bekämpferin des Antisemitismus” aufspielend.
All diese ideologischen Verrenkungen verblassen jedoch angesichts des verdienten, breit getragenen Widerstands gegen rechtsextreme Tendenzen.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang