SoZ - Sozialistische Zeitung |
Der große Erfolg der Gegenmobilisierung hat eine intensive
ideologische Reaktion in einem Teilbereich der veröffentlichten Meinung provoziert. Nicht
nur die extreme Rechte meldet sich hier zu Wort, sondern auch Stimmen aus der
bürgerlichen, liberalen und konservativen Ecke.
Nur rund hundert Anhänger
der extremen Rechten gelangten auf den Heumarkt, wo der Höhepunkt der Konferenz
stattfinden sollte. Andere, darunter Mitglieder des Vlaams Belang und der
österreichischen FPÖ, blieben am Flughafen Köln/Bonn stecken, wo sie in einem
Kellerraum eine Pressekonferenz veranstalteten.
"Pro Köln” ist
offenkundig nicht in der Lage, eine breitere soziale Basis jenseits des Stimmzettels zu
mobilisieren. Allem Anschein nach wollte „Pro Köln” sich mithilfe
größerer rechtsextremer Parteien aus halb Europa stärken. Dies schlug wegen der
fehlenden „Massenbasis” vor Ort fehl, die wäre die Voraussetzung für
einen Erfolg gewesen.
Eine wichtige Rolle haben auch
die lange Tradition des Widerstands der Stadt Köln gegen die Staatsmacht und das
„rebellische”, rheinisch-frohsinnig-tolerante Temperament gespielt.
Just aus München, wo die Sache mit dem „Kongress” und den Protesten
dagegen möglicherweise anders ausgegangen wäre, kam eine laute Gegenstimme gegen den
Verlauf der Ereignisse. Die Süddeutsche Zeitung wetterte wider die moralische
Selbstgefälligkeit der Kölner gegenüber dem armen, verirrten
„Häuflein” von Rassisten. Sie mokierte sich über das behauptete
Missverhältnis zwischen den 40000 Gegendemonstranten und nur 100 Rassisten:
"Und trotzdem gibt es in
Köln diesen unglaublich nervigen politischen Sauberkeitsfimmel ... Ihr eigener gerechter
Zorn rührt die Herzen der anständigen Kölner sogar dermaßen, dass sie all
diesen Nazis sofort die Fressen polieren möchten, und am besten auch noch
denjenigen, die sich nicht auf sofortigen Befehl hin die No-go-for-Nazis-Buttons ans Revers
stecken wollen. Die erklärt der anständige Kölner umgehend zu
Faschisten, wie die Rheinische Post berichtet. Tapfere Hausmuttis singen in
Chören ironische Lieder über deutsche Muselmanenangst — ach, es kommt einem so
vor, als sei diese verirrte Truppe des rechtspopulistischen Vereins Pro Köln
ein großes neofaschistisches Hochwasser, das über Köln hereinzubrechen drohte,
wie nichts Gutes. Dabei waren doch da bloß ein paar kleine xenophobe Männekens an
den Rhein gekommen, die sich vorher ganz fest bei den Händen gehalten und einander fest
versprochen haben, ihren Restmut zusammenzukratzen und ihren Zorn über den Islam auf den
Heumarkt zu tragen."
Henryk M. Broder setzte in
einem Interview mit der Springerzeitung Die Welt die Antifa schon mit der SA gleich:
„Die sog. Antifa, die auf der Straße in der Überzahl war und sich
gebärdete wie früher die SA, erzwang von der Polizei die Aufgabe des Schutzes der
Rechtspopulisten. Das könnte auch mal umgekehrt sein — eine beunruhigende
Perspektive ... Jeder darf eine Gegenkundgebung organisieren, aber eine angemeldete und
genehmigte Demonstration muss von der Polizei geschützt werden! Hier in Köln hat
sich der Staat der Macht der Straße gebeugt."
Den Vogel aber schoss die
Internetseite Politically Incorrect, alias PI, ab. Das ist ein ständig aktualisierter
Blog. Von Stefan Herre aus Bergisch-Gladbach wird er quasi hauptberuflich betrieben und
richtet sich an ein rechtes, zwischen Wirtschaftsliberalismus und Rassismus oszillierendes
Publikum.
Diese Internetseite
verbreitete ein übles Gerücht, das zunächst von besessenen Moslemhassern und
der in London ansässigen Webseite Gates of Vienna ("Die Tore von Wien") lanciert
worden war — eine Behauptung, für die es keinen Beweis gibt: Ein durch seine Kippa
als Jude erkennbarer britischer Bürger, der an der „Pro-Köln"-Kundgebung
teilnehmen wollte, sei an den Blockadestellen der Antifa beleidigt und geprügelt worden,
„als Jude” selbstverständlich.
Das dreckige Gerücht, das
PI in Deutschland lancierte, griff „Pro Köln” begierig auf. Auf deren Seite
liest sich das so: „Was in der Stadt am Rhein gegen ihre Kundgebung abgelaufen ist, war
nichts Anderes als Judenhatz in Köln” (sic). Damit versucht „Pro
Köln” in die Gegenoffensive zu kommen: sich selbst als „verfolgte
Juden” und als „Bekämpferin des Antisemitismus” aufspielend.
All diese ideologischen
Verrenkungen verblassen jedoch angesichts des verdienten, breit getragenen Widerstands gegen
rechtsextreme Tendenzen.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |