SoZ - Sozialistische Zeitung |
Urban Priol, Kabarettist aus Aschaffenburg und bayrischer
Freigeist, hat die Krise der Sozialdemokratie schön auf den Punkt gebracht: „Der
Sozialdemokrat wacht auf und fragt sich: Gibt es die SPD eigentlich noch? Und wenn ja,
wozu?"
Seit den Wahlen vom
28.September könnte er den Satz auch auf die Christsozialen münzen. Dort sitzt die
Schockstarre nach Rekordverlusten von 17,3 Prozentpunkten tief. Die mit der tiefsinnigen
Parole „Bayern wählen” angetretene Partei erwachte am Morgen nach der
Niederlage und staunte, dass trotz des politischen Bebens Watzmann und Zugspitze nicht im
Erdboden versunken sind und die Donau weiterhin Richtung Schwarzes Meer fließt. Die
beiden Spitzenkandidaten Günther Beckstein und Erwin Huber — langjährige
Wasserträger von Edmund Stoiber — erklärten nach einigem Zögern ihren
Rücktritt. Das ist das Ende einer 50 Jahre währenden Ära, in der sich die CSU
einen Nimbus der Einzigartigkeit und Unbesiegbarkeit aufgebaut hat.
Das Parteivolk konnte die
Niederlage kaum glauben. Nach wie vor schreibt es sich auf die Fahnen, dass Bayern
wirtschaftlich prosperiert. Es hatte in den letzten Jahren das stärkste
Wirtschaftswachstum und die geringste Arbeitslosenrate (im Wechsel mit Baden-Württemberg)
aller Bundesländer. Dass die Mehrheit der Bevölkerung dennoch seit geraumer Zeit der
„Schwarzen” überdrüssig ist, wollte die Führung nicht wahrhaben.
Nun dreht sich das
Personenkarussell: Horst Seehofer, vor 13 Monaten noch gegen Huber unterlegen, ist jetzt als
Parteivorsitzender und Ministerpräsident vorgeschlagen.
Der Ansehensverlust der Partei
geht quer durch die Bevölkerungsschichten (siehe nebenstehend die Wahlergebnisse im
Einzelnen). Wie fast alle Parteien, mit der teilweisen Ausnahme der Grünen, ist auch die
CSU stark überaltert; außerdem hat sie von allen im Bundestag vertretenen Parteien
den geringsten Frauenanteil in der Mitgliedschaft und bei den Mandatsträgern.
Auch aus diesem Grund hatte
Erwin Huber die nun geschasste Juristin Christine Haderthauer zur neuen Generalsekretärin
auserkoren. Sie sollte die Partei verjüngen und für Frauen leichter zugänglich
machen. Doch eine Bewegung von „Reformern”, wie sie die CDU mit Rita
Süßmuth und Heiner Geißler hatte, ist in der CSU weit und breit nicht
auszumachen.
Der CSU wurden eine ganze
Reihe von Fragen zum Verhängnis: das relativ rigide Antirauchergesetz und der Ärger
der Gastwirte; die schlechte Ausstattung der Grund- und Hauptschulen, die Verärgerung der
Eltern über das Büchergeld und die planlose, überhastete Einführung des
achtjährigen Gymnasiums; zahlreiche umstrittene Großbauvorhaben; die Krise der
Bayrischen Landesbank nach missglückten Zockerrunden; die Massenentlassungen bei
Vorzeigeunternehmen (Pleite von BenQ, Verlagerung der AEG nach Polen, Krise bei Siemens und
BMW usw.); die Folgen der Haushaltssanierung um jeden Preis. Finanzminister Huber wollte noch
mit einem neuen (?) Steuerkonzept punkten: „Mehr Netto vom Brutto”, und forderte
die Wiederherstellung der alten Pendlerpauschale. Dabei hatte die CSU ihrer teilweisen
Abschaffung durch die Große Koalition selbst zugestimmt. Als die Linke taktisch geschickt
den CSU-Vorschlag in den Bundestag einbrachte, stimmten alle anwesenden Abgeordneten dagegen
— für die Glaubwürdigkeit der CSU eine Ohrfeige.
Die Krise der CSU begann mit Stoibers Niederlage bei der Bundestagswahl 2002. Damals
grollte er über die undankbaren Ossis, die ihm den sicher geglaubten Wahlsieg verhagelt
hätten, und drohte ihnen unverhohlen mit Subventionskürzungen durch den Freistaat.
Nach Merkels knappem Sieg 2005 verspielte er auch noch den Restkredit, als er nach langem Hin
und Her auf ein Berliner Ministeramt verzichtete und in Bayern blieb.
In den 80er Jahren, nach
seiner Polemik gegen die „durchmischte und durchrasste Gesellschaft”, hatte es das
geflügelte Wort gegeben, man solle Stoiber als berufsmäßigen Mephisto an die
deutschen Bühnen entsorgen. Im Zeitalter der Sparmaßnahmen habe dies noch den
Vorteil, dass man sich die Schminke sparen könne.
Es grollte mächtig in der
Partei, aber erst im Januar 2007 wagten seine Handlanger, den König vom Thron zu
stoßen. Vom idyllischen Wolfratshausen aus verfolgt Stoiber seitdem seine neuen Gegner
mit unnachsichtiger Rache: Er drängte massiv auf den Sturz von Beckstein und Huber.
Gefährten von einst, wie Gerold Tandler, machen Stoibers Politik seit 2002 offen für
die Misere verantwortlich. Er habe sich auf Teufel komm raus als der große Reformer
Deutschlands profilieren und Bayern zum Musterland machen wollen.
Stoiber „sanierte”
den Haushalt mit Kürzungen und Mehrarbeit im öffentlichen Dienst (42-Stunden-Woche),
er führte eine unsinnige Polizei- und Verwaltungsreform durch und schaffte das Bayrische
Oberste Landgericht ab. Seine Schulpolitik, durchgepeitscht von der Strauß-Tochter Monika
Hohlmeier, geriet zu einer einzigen Katastrophe. Die Mobilisierung des katholischen Milieus
auf dem Land und in den Kleinstädten gestaltete sich damit zusehends schwieriger. Ein
machtversessener Stoiber nahm gar nicht mehr wahr, wie sehr sich das Land ihm und der CSU
entfremdete.
Von den Verlusten der CSU konnte die SPD nicht profitieren; vielmehr verlor sie mit 18,6%
nochmals einen Prozentpunkt. Wie sehr sich ihr fleißiger und ehrlicher Spitzenkandidat
Franz Maget auch abrackerte — man traut der SPD in Bayern einfach nichts zu.
Das lag nicht an ihren Themen:
Die Fragen Mindestlohn und soziale Sicherheit brennen vielen Menschen so sehr auf den
Nägeln, dass der DGB die zum Start eines Referendums nötigen 25000 Unterschriften
innerhalb kürzester Zeit zusammen hatte. Die bayrische Verfassung sieht solche
Schutzrechte eigentlich vor und müsste hinsichtlich des Mindestlohns nur konkretisiert
werden.
Auch in der Schulpolitik war
es leicht, in die Blößen der CSU zu stoßen — zumal Stoiber hier
(ähnlich wie Koch in Hessen) völlig unvorbereitet zur Meinung gelangt war, die
Abiturienten seien zu alt und müssten das Abitur schon nach 12 Schuljahren ablegen.
Für einen solchen Schritt fehlten jedoch sowohl die Infrastruktur wie auch die Lehrer.
Die Folge waren zu große Klassen, Chaos und Improvisation. Viele Schulen sind heute
Baustellen, weil die von der CSU wegen ihrer Familienideologie über Jahrzehnte
bekämpfte Ganztagsschule natürlich Mensen und Aufenthaltsräume verlangt, die
jetzt in einem Kraftakt aus dem Boden gestampft werden müssen.
Bei den großen
Bauvorhaben blieb die SPD allerdings häufig ambivalent. So hatte Franz Maget den
Transrapid zum Münchner Flughafen zunächst noch begrüßt, bis es dann unter
maßgeblicher Mitwirkung des Münchner Oberbürgermeisters Christian Ude zu einem
Umdenken kam.
Seit langem gibt es in Bayern und Baden-Württemberg die Möglichkeit
unabhängiger Listen, die keiner der etablierten Parteien zuzurechnen sind. Diese
FreienWähler bekamen in den letzten Jahren deutliche Verstärkung durch Abspaltungen
von der CSU. In fast allen Großstädten (Würzburg, Augsburg, Regensburg,
Ingolstadt, Weiden ...) kam es in den Stadträten wegen lokaler Themen und
persönlicher Querelen zu solchen Abspaltungen.
Bei den letzten Kommunalwahlen
im März 2008 erhielt die CSU im Landesdurchschnitt nur noch 40%, die Freien Wähler
(FW) lagen bereits bei 19% — häufig erhielten sie Zulauf von CSU-Rebellen. Das
bekannteste Beispiel ist die frühere Fürther Landrätin Gabriele Pauli, die das
Ihre zum Sturz von Stoiber beigetragen hat und auf der Liste der FW kandidierte. Sie wurde in
Mittelfranken vom aussichtslosen Platz 8 auf Platz 1 gehievt und zieht nun in den bayrischen
Landtag ein.
Die FW fordern seit langem
größere Freiheiten für die kommunale Selbstverwaltung und kritisieren die
zentralstaatliche Modernisierungspolitik der CSU. Auf dem Land erhalten sie zunehmend
Unterstützung von Landwirten, die sich gegen die Gentechnologie zur Wehr setzen.
Überhaupt hat sich der
rebellische Geist bei den bayrischen Bauern — früher eine „gmahte
Wiesn” für die CSU — massiv ausgeweitet. Davon zeugen die Proteste gegen den
niedrigen Milchpreis im vergangenen Jahr. In der 21 Mitglieder starken FW-Fraktion findet man
mehrere Landwirte: ihr Vorsitzender ist der niederbayrische Bauer Hubert Aiwanger.
Seitdem die FW vor einigen
Jahren auch die Teilnahme an den Landtagswahlen beschlossen haben, engagieren sie sich auch in
überörtlichen Initiativen: Sie spielen eine beträchtliche Rolle im Kampf gegen
die Zerstörung des Naherholungsraums Isental durch die geplante Autobahn A94
(darüber wird seit 30 Jahren gestritten); gegen den Ausbau des Münchner
Großflughafens; gegen die Schiffbarmachung der Donau und die Vernichtung der Naturauen
bei Kelheim; gegen den (inzwischen beerdigten) Transrapid sowie die geplante zweite
Tunnelröhre der S-Bahn durch die Münchner Innenstadt, deren geschätzte Kosten
von 800 Millionen auf 1,8 Milliarden Euro emporgeschnellt sind.
Unter diesen Bedingungen ist
eine Koalition der FW mit der CSU unwahrscheinlich, weil sie einem Verrat der
Parteiführung an den Landwirten und Bürgerinitiativen gleichkäme, die sich
gegen die Modernisierungs- und Betonierungspolitik der CSU wehren.
Trotz ihrer vergleichsweise schwachen Verankerung, trotz kaum bekannter Kandidatinnen und
Kandidaten (mit Ausnahme von Klaus Ernst) und eines wenig ausgearbeiteten Programms für
die bayrische Landespolitik kam DIE LINKE auf rund 230000 oder 4,3% der Stimmen. Dies ist ein
hervorragendes Ergebnis.
Mehr als die Hälfte der
Stimmen kam von den beiden großen Parteien — von der SPD gut 80000, 45000 von der
CSU, 25000 von den Grünen. Erwin Hubers eher peinliche Warnungen vor dem kommunistischen
Teufel zeigten in ihrer Wirkungslosigkeit, dass heute die Beschwörung eines
kommunistischen Feindbilds nicht mehr zieht.
Für DIE LINKE stimmten
(besonders in Nordbayern, wo sie deutlich besser abschnitt als im Süden) gewerkschaftlich
organisierte Arbeiter und Angestellte. Mit ihrer Kampagne für Mindestlohn und gegen Hartz
IV erreichte die Partei auch ärmere Schichten, die in den meisten Fällen nicht zur
Wahl gehen.
Die Tendenz, angesichts der
Personalschwäche vor allem auf Promi-Auftritte zu setzen (Gysi, Lafontaine und Ernst),
blieb bestehen. Konkretere Veranstaltungen gab es zur Schul- und Bildungspolitik (Streichung
der Studiengebühren), zum Pflegenotstand und zur Versorgung mit Kindergartenplätzen
und Kinderkrippen.
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