SoZ - Sozialistische Zeitung |
Wir befinden uns an einem wichtigen Wendepunkt. Die jetzt
stattfindende Rezession bedeutet das Ende eines 25-jährigen Wirtschaftswachstums, das auf
dem neoliberalen Modell basierte.
Vor einer Generation —
nach dem langen Nachkriegsboom und dem Beginn der Krise in den 70er Jahren — wurden
neoliberale Maßnahmen eingeführt, um die kapitalistische Rentabilität
wiederherzustellen. Sie nannten sich „Angebotsökonomie” — dazu
gehörten Steuersenkungen für die Reichen, ökonomische Deregulierung,
Privatisierung, Einschnitte bei den Sozialleistungen, Angriffe auf die Gewerkschaften und
Lohnkürzungen. Diese Maßnahmen führten auch zu einer gewaltigen Zunahme der
Verschuldung. Die Grundlage der Finanzpolitik bildete der Monetarismus, billige Kredite wurden
als Heilmittel gegen den wirtschaftlichen Abschwung betrachtet.
Diese Politik hat nun zu einer
ökonomischen Katastrophe geführt — zunächst für die
Werktätigen, nun aber auch für das kapitalistische System selbst. Die destruktiven
Folgen des Neoliberalismus werden eine Reorganisation des Kreditsystems und der Banken
erfordern sowie eine Reform des Systems des Welthandels, das ein tiefes Ungleichgewicht
aufweist. Diese Krise reicht tiefer als eine klassische zyklische Rezession; ihr werden lange
Jahre schmerzlicher Umstrukturierungen folgen. Das bürgerliche Programm dafür ist
noch nicht ausgearbeitet, aber zweifellos treten wir ökonomisch wie politisch in eine
neue Periode ein, die auch das Kräfteverhältnis zwischen den führenden Nationen
in der Welt verändern wird.
Vor einem Jahr wurde klar,
dass die USA in eine Rezession rutschen. Der Wirtschaftszyklus hatte seinen Höhepunkt
erreicht, und das Überangebot an Immobilien bewirkte zuerst stagnierende, dann sinkende
Immobilienpreise. Die Immobilienblase platzte, und während der Zerfall der
Immobilienwerte sich weiter fortsetzt, leitete er zugleich eine Schrumpfung der Kreditblase
ein, die der Economist vor einigen Jahren als die größte Finanzblase der Welt
bezeichnet hat. Sinkende Hypothekenwerte sandten erste Schockwellen an das stark
überschuldete Finanzsystem. Massive Forderungsausfälle nagten an den Profiten der
Banken, reduzierten ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe und führten in die Kreditkrise
und in eine schwere Rezession.
Mindestens erstere ist ein
Kind der Asienkrise und der Dot-Com-Krise. Als 1998 die Asienkrise auf das internationale
Finanzsystem übergriff, beschloss Alan Greenspan, der Chef der US-amerikanischen
Notenbank Federal Reserve Bank (Fed), erstmals, einen laufenden Wirtschaftsboom mit
Geldspritzen anzuheizen. Damit konnte er die Rezession in den USA mehr als zwei Jahre
erfolgreich hinauszögern. Der Preis dafür war hoch: Die Blase der „New
Economy” führte zu einer Implosion der Börsenkurse, und als die USA für
Asien zum „letztmöglichen Käufer” wurden, häuften sich gewaltige
Handelsdefizite und Auslandsschulden.
2001 erreichte die Rezession
schließlich die USA — die Profite stürzten ab wie seit den 30er Jahren nicht
mehr. Die Fed federte ihre Auswirkungen mit dem größten Konjunkturpaket seit dem
Zweiten Weltkrieg ab. Das Haushaltsplus der Regierung von 250 Milliarden Dollar verwandelte
sich in ein Defizit von 300 Milliarden Dollar. Mit Steuersenkungen für die Reichen und
einer Ankurbelung der Kriegsausgaben in Höhe von zusammen einer Billion Dollar sollten
die Auswirkungen der Krise abgeschwächt werden. Drei Jahre lang wurden die Zinsraten auf
1—2% gesenkt, um Betriebskosten zu senken und die Rentabilität der
Kapitalinvestitionen wiederherzustellen. Das Ergebnis war die schwächste
Konjunkturerholung seit dem Zweiten Weltkrieg, der Preis eine enorme Immobilien- und
Schuldenblase, deren Platzen uns nun die gegenwärtigen Krise beschert.
Der Abschwung ist global geworden. Die Rezession begann in den USA und hat dort ihr
Zentrum, aber der Konjunkturrückgang trifft auch Europa und Japan. Die europäischen
Banken haben ähnliche Schwierigkeiten wie die amerikanischen Banken. Im Januar gab es
einen internationalen Börsenkrach, er traf die USA, Kanada, Japan, Großbritannien,
Frankreich und Deutschland, aber auch die aufstrebenden Märkte Brasilien, Russland,
Indien und China. Der Krach dauerte drei Wochen, vom 2. bis zum 23.Januar, die
Börsenkurse sanken damals zwischen 15 und 20%. Über 7 Billionen Dollar wurden dabei
vernichtet. Die damals noch gehegte Hoffnung, die Weltwirtschaft könne sich von der US-
Ökonomie abkoppeln und der weltweite Boom trotz Rezession in den USA weitergehen, ging in
einer internationalen Börsenpanik unter.
Seit 1973 hat es keine
koordinierte internationale Rezession mehr gegeben. Einige Länder boomten, wenn andere in
der Rezession steckten, und linderten dieselbe, weil sie Exportmärkte aufrechterhielten.
Wenn das Wirtschaftswachstum jedoch überall zurückgeht, ziehen sich die
Exportmärkte überall zusammen und vertiefen damit die Rezession.
In den letzten Jahren ist der
Anteil der USA an der Weltwirtschaft dramatisch gesunken — von 30% auf unter 25% des
weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP). Dennoch sind die USA noch immer das Zentrum des
internationalen kapitalistischen Systems. 55% aller in Asien produzierten Güter werden
exportiert, zwei Drittel davon in die USA und die anderen fortgeschrittenen
Industrieländer. Der Verbrauchermarkt beläuft sich in den USA auf 9,5 Billionen
Dollar, in Indien und China zusammen auf 1,6 Billionen Dollar. Asiatische Hersteller sind
für den Verkauf ihrer Waren vom US-Markt abhängig — ohne ihn haben sie eine
Überproduktionskrise. Deshalb wird der Niedergang des US-Marktes eine unheilvolle
Auswirkung auf die gesamte übrige Weltwirtschaft haben.
Die derzeitige Krise ist auch eine Krise des Finanzkapitals, sie hat in den USA begonnen,
sich aber auf das gesamte internationale Bankensystem ausgeweitet. Das Bankensystem ist der
Schlüssel zur kapitalistischen Produktion und Distribution, beide können ohne Kredit
nicht funktionieren. Es ist auch einer der wesentlichen Hebel, mit dem der US-Imperialismus
bislang die Welt beherrscht hat.
Die Verluste der Banken haben
ihren Ursprung in der Immobilienblase. Bislang [Februar 2008] mussten sie 160 Milliarden
Dollar Subprime-Hypotheken abschreiben (ein Drittel davon halten nur drei Banken —
Citicorp, Merrill Lynch und UBS); es wird erwartet, dass es insgesamt 300—400 Milliarden
Dollar werden. Der Immobilienmarkt hat den Tiefpunkt noch nicht erreicht; wenn die
Immobilienpreise weiter sinken — bislang sind sie um 10% gesunken, erwartet werden
weitere 10—20% in den nächsten Jahren —, werden die Banken noch
größere Verluste zu verzeichnen haben. Die Hausbesitzer werden 4—6 Billionen
Dollar verlieren; ein Drittel der Haushalte wird mit Hypotheken belastet sein, die höher
sind als der Wert ihres Hauses.
Die Verluste auf dem Subprime-
Markt werden zu einer Schrumpfung des Kreditvolumens in Höhe von mindestens 2 Billionen
Dollar führen, womöglich noch viel mehr. Die Märkte für gewerbliche
Immobilien, die vor Monaten noch boomten, brechen ebenfalls zusammen. Ihre Verluste
können ebenso groß werden wie die durch die Subprime-Hypotheken. Auch andere
Kreditprobleme nehmen zu: Obligationen, Kreditkartenschulden, Unternehmensfusionen und -
käufe, die mit Risikoobligationen (junk bonds) finanziert werden.
Firmenobligationen werden in
Paketen finanziert, die den Subprimes ähneln; die schlimmsten, risikoreichsten Pakte
erzielen die höchsten Zinsen. Obligationen hochverschuldeter Unternehmen wurden
populär, weil ihre Eigner eine Versicherung gegen Kreditausfälle in Form von Credit
Derivative Swaps (CDS) erwerben konnten. Diese Kreditderivate stellen einen vollkommen
unregulierten Markt von 45 Billionen Dollar mit laxen Leihbedingungen dar. Sie werden
ständig gehandelt, sodass niemand weiß, wer den Schutz gerade garantiert, und ob die
Mittel dazu vorhanden sind. Wenn in diese Pyramide ein Baustein in Verzug gerät, bricht
der ganze Rest zusammen.
Sicher ist: Angesichts von
Kreditklemme und Rezession werden viele Unternehmen nicht mehr über das nötige
liquide Kapital verfügen, um hohe Schulden abzutragen. Sie werden Pleite gehen oder stark
in Verzug geraten — der Prozess fängt gerade erst an und wird in den kommenden zwei
Jahren Fahrt gewinnen.
Die Ursache für das
wachsende Schuldendebakel liegt in der neoliberalen Politik der Deregulierung der Banken, die
mit Reagans Reformen der „Liberalisierung des Marktes” in den 80er Jahren begann.
Der Staat erlaubte den Banken Operationen, die nicht in der Unternehmensbilanz auftauchten
(wie bei Enron). Um ihre Profite zu steigern, konnten die Banken ihre Kreditbücher
belasten, indem sie große Risiken eingingen, ohne ihr Eigenkapital erhöhen zu
müssen für den Fall, dass die Darlehen nicht zurückgezahlt werden konnten. Die
Steuergesetze von Clinton und Bush ermutigten Operationen außerhalb der Bilanzen, indem
sie die Gehälter der Bankangestellten als „Anlage” und Gewinne daraus als
„Zinserträge” besteuerten — ein Steuerschlupfloch für die
Kapitalisten, um den Steuerhöchstsatz auf 15% zu begrenzen, das die demokratische
Mehrheit im Kongress bislang nicht rückgängig gemacht hat.
Clintons besonderes
neoliberales Geschenk an die Banken bestand in der Abschaffung des Glass-Steagall-Gesetzes aus
dem Jahr 1933, der Zeit der Großen Depression; mit ihm wurde die Trennung von
Geschäftsbanken und Investmentbanken aufgehoben. Es waren die Investmentbanken, die die
Schuldenpakete der Unternehmen zu verantworten haben. Die Ratingagenturen, die die
Firmenobligationen zu bewerten hatten (Moodys, Standard & Poors, Fitch) wurden
von den Emittenten dieser Obligationen dafür bezahlt, dass sie AAA-Ratings lieferten,
damit Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften die Schuldverschreibungen erwerben werden
konnten. Goldman Sachs, die größte Urheberin dieser tödlichen Schulden, hat mit
dem Verkauf solcher Obligationen gewaltige Honorare eingestrichen, gleichzeitig hat sie
Milliarden an der Spekulation gegen diese Schuldverschreibungen verdient, wenn sie meinte,
dass die sie haltenden Firmen in Zahlungsverzug geraten oder Pleite gehen würden. Es gibt
ein paar Gewinner in all diesem Elend!
Hinter der Finanzkrise der Banken steht die Schuldenkrise der Verbraucher. Der Hauptgrund
für die Explosion der schlechten Schulden ist die extreme soziale Ungleichheit infolge
der neoliberalen und gewerkschaftsfeindlichen Freihandelspolitik. Die US-Wirtschaft ist seit
1973 nahezu um das Dreifache gewachsen, aber das gesamte Wachstum ging an das Kapital, an
Unternehmer und Eigentümer, nicht an die Arbeitenden. Die Reallöhne sind heute
niedriger als 1973. Der einzige Weg, den Lebensstandard zu halten, waren längere
Arbeitszeiten und zwei Einkommen in einer Familie. Selbst das reicht nicht: Das reale
Familieneinkommen liegt heute unter dem von vor zehn Jahren.
Um ihren Lebensstandard zu
halten, hat sich die arbeitende Bevölkerung tief verschuldet. Die äußerste und
schlimmste Form der Verschuldung war die Aufnahme von Anleihen auf ihre einzige Ersparnis, ihr
Haus, das ihnen steigenden Wert versprach. Zwischen 2004 und der ersten Jahreshälfte 2007
nahmen Hausbesitzer pro Jahr 800 Milliarden Dollar Kredite auf, um ihre Hypotheken zu
refinanzieren. 34 Millionen US-amerikanische Haushalte — fast ein Drittel der
Bevölkerung — nahmen Anleihen auf ihr Haus auf. Zusammen hatten sie eine
Nettosparrate von —13%. Anders gesagt, sie lebten buchstäblich von ihren
Häusern.
Als die Immobilienblase
platzte und die Hypothekenzinsen in die Höhe schnellten, konnte eine große Anzahl
von Lohnabhängigen die Kredite nicht mehr bedienen und trug so zum fortgesetzten Verfall
der Immobilienwerte und damit auch zur Bankenkrise bei. Damit stockten aber auch die
Konsumausgaben, die auf Anleihen auf den steigenden Häuserwert beruhten. Dies übte
seinerseits Druck auf die Hersteller von Konsumgütern aus, insbesondere auf die
Produzenten von Autos und elektrischen Haushaltsgeräten, und hat mittlerweile den
Einzelhandel erreicht. Der Zusammenbruch der Verbraucherausgaben wird weltweit Einfluss auf
die Länder haben, die von den USA als ihrem entscheidenden Exportmarkt abhängig
sind.
Seit der Börsenpanik von
1907 und der Schaffung des Zentralbanksystems 1913 ist dies die dritte US-amerikanische
Finanzkrise. Die erste fand in den 30er Jahren statt, als die innerimperialistischen
Beziehungen in der Zeit zwischen den Kriegen den internationalen Bankenkollaps hervorbrachten,
der die Depression der 30er Jahre unlenkbar machte. Damals gab es noch keine
Einlagensicherung, und die Krise führte zu einem Sturm auf die Banken, als die Menschen
versuchten, ihr Geld abzuziehen. In dieser Panik gingen Tausende Banken bankrott.
Das zweite Finanzdebakel war
die Sparkassenkrise der 80er Jahre (Savings & Loan), sie beschränkte sich auf die
Emittenten von Hypotheken. Damals wurde ein Verlust von 180 Milliarden Dollar mit
Steuergeldern aufgefangen, die Papiere wurden in einem Notverkauf zu Preisen verschleudert,
die Investoren gewaltige Profite ermöglichten. Es gab eine Kreditklemme, aber sie war
nicht groß genug, um nachhaltig auf die Wirtschaft zu wirken.
Die jetzige dritte Krise ist
viel tiefer als die zweite, schon im Anfangsstadium hat sie das Ausmaß der
Sparkassenkrise weit hinter sich gelassen. Noch weiß man nicht genau, wie schlimm es
wirklich werden wird, aber schon der Verlust eines Teils der Subprime-Kredite lähmt die
Banken. Sie mussten ihr Kapital aufstocken, indem sie Bankenanteile an Abu Dhabi, Singapur und
andere Staatsfonds verkauften — was dazu führt, dass sie nun teilweise von
ausländischen Regierungen kontrolliert werden.
Als Japans Immobilien- und
Aktienblase 1990 platzte, lähmten zweifelhafte Kredite die japanischen Banken, die sie
hielten. Japan litt über ein Jahrzehnt an Rezession und Stagnation, obwohl der Zinssatz
auf nahezu Null gesenkt wurde. Erst mit dem jüngsten Asienboom konnte sich Japan wieder
erholen.
Die jetzige Bankenkrise wird
schlimmer sein als die Japans, weil die Schaffung von Märkten für nicht regulierte
Kreditderivate und von außerbilanzlichen Operationen so viele Banken auf der ganzen Welt
involviert. Ihre globale Auswirkung wird größer sein, weil die japanischen Banken,
anders als die US-Banken, nicht im Zentrum des internationalen Finanzsystems stehen.
Diese Finanzkrise ist gefährlicher, weil sie vor dem Hintergrund der tiefen
Widersprüche der neoliberalen Periode stattfindet. Das System des Welthandels hat nach
der Asienkrise von 1997/98 und der Antwort, die die Fed unter der Leitung von Greenspan darauf
gegeben hat, eine besondere Form angenommen. Die USA sind zum „letztmöglichen
Käufer” geworden: Sie importieren billige asiatische Ware und verlagern
Produktionsstätten nach Asien, vor allem nach China. Die USA haben ihre
Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt verloren. Das US-Handelsdefizit ist in den letzten
Jahren auf jährlich 700—800 Milliarden Dollar gestiegen, es wird mit einer
Auslandsverschuldung von 3,5 Billionen Dollar bezahlt — das bedeutet: 80% der weltweiten
Ersparnisse fließen in die Finanzierung dieses Defizits.
Im letzten Konjunkturzyklus
haben US-Unternehmen nicht in die Schaffung neuer Fabriken und Ausrüstungen in den USA
investiert. Es gibt hier heute weniger Fabriken als vor Beginn des Aufschwungs. Und es gibt 3
Millionen Industriearbeiter weniger als vor fünf Jahren. US-Unternehmen haben massiv in
neue Fabriken in China und Südostasien investiert. Der größte Teil der
Produktion dieser Fabriken geht in den Export, zum großen Teil in die USA.
Dieses internationale
Handelssystem mit dem gewaltigen, von asiatischen Zentralbanken finanzierten US-
Handelsdefizit, kann nicht ewig bestehen bleiben. Es trifft jetzt auf die Kredit- und
Schuldenkrise und auf den Niedergang des Dollars. Die USA, heute der Welt größter
Schuldner, haben im Ausland 3,5 Billionen Dollar Schulden, weigern sich aber, ihre
Währung zu stützen. Sie haben zugelassen, dass der Dollar seit dem Jahr 2000 um 30%
abgewertet wurde (und dies aus Gründen der Exporterleichterung sogar unterstützt).
Die ausländischen Gläubiger der USA haben allein dadurch eine Billion Dollar
verloren — das ist der größte Schuldenausfall der Geschichte.
Ausländische Banken und Investoren sind deshalb sehr zurückhaltend damit, die US-
Schulden weiter zu finanzieren, indem sie ihre Dollarreserven erhöhen, weil der Dollar
weiter an Wert verliert — wegen der Schulden, der sinkenden Zinsen, der schwachen US-
Profite und des Handels- und Haushaltsdefizits.
Zur schmerzhaften
Umstrukturierung der US-Ökonomie gehört deshalb eine schmerzhafte Umstrukturierung
des Welthandels. Länder, die vom Export in die USA abhängen, werden davon betroffen
sein. Der chinesische Binnenkonsum beträgt nur 35% des BIP; bei sinkenden Exporten wird
China in den meisten Industriezweigen eine Überproduktion erleben. Die chinesische
Überproduktion wurde von einem Handelsdefizit genährt, das nun unhaltbar geworden
ist. Die chinesische Regierung hält Fremdwährungsreserven im Wert von 1,5 Billionen
Dollar, zum größten Teil US-Schulden. Unhaltbare Bedingungen führen irgendwann
zum Eklat.
Auch die Kriegsökonomie verstärkt das Ausmaß der Krise. Im Jahr 2000
betrugen die Militärausgaben 299 Milliarden Dollar, inzwischen sind es über 800
Milliarden Dollar — 6% des BSP, wie zur Zeit des Vietnamkriegs. Nach der Niederlage in
Vietnam konnten die USA Rüstungsausgaben in dieser Höhe nicht länger halten.
Heute haben sie eine geringere Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt, ein gewaltiges
Handelsdefizit und sind darüber hinaus noch von Auslandsanleihen abhängig. Sie haben
Probleme, die Kriegsausgaben in dem Umfang aufzubringen, der erforderlich ist, um ihre
Position als Weltsupermacht zu bewahren. Die Finanzkrise und die Rezession untergraben ihre
Macht und verändern das internationale Kräfteverhältnis.
Aus diesen Gründen
erleben wir jetzt mehr als nur den Beginn einer Rezession — wir erleben einen Wendepunkt
ähnlich dem, der das Ende des Wirtschaftswunders 1970—1993 markierte. Damals
führten die Widersprüche einer permanenten Rüstungswirtschaft, bei der die USA
ihre Wettbewerbsposition in der Weltwirtschaft verloren, zu einer tiefen Profitkrise, auf die
eine umfassende Restrukturierung des US-Kapitalismus folgte. In den 70er Jahren hatten die
USA, gemessen an ihren Hauptkonkurrenten, die höchsten Löhne und die niedrigste
Produktivität. Ende der 80er Jahre hatten sie die niedrigsten Löhne und eine
höhere Produktivität als ihre Konkurrenten.
Heute stoßen wir an die
Grenzen des Neoliberalismus. Die Banken werden wieder reguliert, weil die Staaten eine Krise
wie diese nicht so schnell wieder zulassen können. Die Verstaatlichung der Northern Rock
Bank in England ist die erste dieser Art seit Jahrzehnten. Weitere Steuerkürzungen
für die Reichen sind nicht länger haltbar. Die Spitzensteuersätze werden
angehoben werden, egal wer die Wahlen gewinnt. Das gemeinsame Umverteilungsprogramm der
Demokraten und Republikaner in Höhe von 150 Milliarden Dollar (vom Februar 2008) war
— wie unzureichend auch immer — ein Bruch mit dem Neoliberalismus. Es ist im
Wesentlichen ein keynesianisches Paket, das die Konsumentennachfrage stimulieren soll. Es ist
auf Personen beschränkt, von denen erwartet wird, dass sie es ausgeben — mit
weniger als 150000 Dollar Jahreseinkommen. Man kann es nennen wie man will, aber es ist kein
Steuergeschenk an die Reichen.
Der Neoliberalismus hat sich
als ökonomische Strategie des Kapitals erschöpft. Er wird nicht verschwinden,
solange die herrschende Klasse ihn nicht durch eine alternative Strategie ersetzt. Aber die
Bourgeoisie ist mit dem Scheitern ihrer Politik konfrontiert und muss eine Lösung finden.
Das wird nicht ohne politischen Kampf gehen. Die herrschende Klasse hat bislang keine neue
Strategie, sie schlägt nur Stückwerk vor. Klar ist nur, dass jede neue Strategie,
wie sie auch immer heißen mag, mit einer fortgesetzten, wenn nicht gar verstärkten,
Offensive der herrschenden Klasse einhergehen wird: mehr Abbau von Löhnen und
Sozialleistungen. Es wird eine andere Rechte geben, vielleicht einen rechten Populismus, der
Immigranten attackiert und protektionistisch ist, oder vielleicht noch extremer.
Die aus dem Scheitern des
Marktes entstandene ideologische Krise führt nicht automatisch zu seiner Ablehnung. Aber
es kann sich der Glaube entwickeln, dass der freie Markt schreckliche Auswirkungen hat. Die
Krise des Neoliberalismus schafft größere Möglichkeiten, Menschen für eine
Alternative zum Kapitalismus zu gewinnen.
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Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |