SoZ - Sozialistische Zeitung |
Eine Kritik nur der Finanzmärkte greift zu kurz. Sie sind
unauflöslich mit dem Gesamtsystem des Kapitalismus verbunden.
Am Tag nach der Bekanntgabe
des europäischen Rettungsplans sind die Börsenkurse wieder hochgeschnellt — um
in den Tagen darauf wieder abzusacken. Das bedeutet, die Spekulanten haben begriffen, dass die
Finanzkrise nunmehr von einer Rezession abgelöst wird. Die enormen Summen, die den Banken
in Form von Krediten oder Beteiligungen ("Verstaatlichungen") zur Verfügung
gestellt wurden, haben nicht gereicht, die Finanzmärkte zu beruhigen.
Das Debakel hat mindestens
einen positiven Effekt gehabt: Es hat auf lange Sicht die Vorstellung diskreditiert und in
Luft aufgelöst, die Deregulierung würde zu einem optimalen Funktionieren der
Finanzmärkte führen. Abgesehen von einigen Unbelehrbaren, kennen die Verfechter der
grenzenlosen Liberalisierung derzeit nur noch einen Satz: Man muss diesen verrückt
gewordenen Finanzmarkt regulieren.
Damit haben sie Recht und
geben sie den Globalisierungskritikern Recht, die seit langem das wuchernde Wachstum des
Finanzkapitals kritisieren. Normalerweise haben die Banken eine Mittlerrolle: Sie
transformieren kurz gesagt kurzfristige Anleihen in langfristige Kredite. Ihre Rolle hat sich
aber verändert, sie sind zu aktiven Akteuren auf immer spekulativeren Finanzmärkten
geworden. Was an Regulierung übrig geblieben ist, konnten sie durch mit Hilfe
hochkomplexer und schwer kontrollierbarer Techniken umgehen.
Am Ausgangspunkt der
Subprimekrise steht der perverse Mechanismus der Verbriefung von Krediten, der den Banken
erlaubt, sich von zweifelhaften Krediten zu trennen, indem sie sie mit anderen mischen und
sodann als Wertpapier verkaufen. Somit werden die Risiken, die mit den Forderungen verbunden
sind, in Umlauf gebracht und tauchen in der Bilanz nicht mehr auf. Die Banken umgehen auf
diese Weise die aufsichtsrechtlichen Vorschriften, die von ihnen einen gewissen Anteil an
Eigenkapital verlangen.
Die Regulierung verlangt, dass
die Finanzmärkte zu einem „normalen” Funktionieren zurückkehren. In der
Diskussion sind Maßnahmen betreffend die Hebelwirkung, mit der der Betrag, über den
ein Finanzinstitut anfänglich verfügt, vervielfacht werden kann; die Finanzderivate,
die komplexe Terminkäufe und -verkäufe ermöglichen; die strikte Trennung
zwischen Geschäftsbanken und Investmentbanken; die Standards für die
Rechnungsführung; die aufsichtsrechtlichen Vorschriften; die Steueroasen. Zu jedem dieser
Punkte gibt es, auch seitens einer Reihe von Finanzexperten, seit langem technische
Vorschläge.
Das Problem besteht darin, dass die Kapitalisten gar keine Lust haben, reale Maßnahmen
zu ergreifen, nicht mal partielle oder provisorische. Weil nämlich das Finanzwesen
unlöslich mit dem „produktiven” Kapitalismus verbunden ist und die
Unterscheidung zwischen unternehmendem Kapitalismus und Finanzkapitalismus, wie sie von
verschiedenen Politikern gemacht wird — u.a. von Sarkozy — unmöglich ist.
Die Profite der einen wie der
anderen beruhen auf einer gemeinsamen Grundlage, das ist die tendenzielle Steigerung der
Mehrwertrate. Sie haben deshalb gemeinsame Interessen, und es ist kein Zufall, dass der US-
amerikanische Finanzminister Henri Paulson vorher Generaldirektor bei Goldman Sachs war.
Bestenfalls sind sie bereit zu
einigen Maßnahmen, die den goldenen Rettungsschirm einschränken (wie die
Gehälter der Vorstände), aber damit reagieren sie nur auf einen offenkundigen, aber
relativ zweitrangigen Skandal, um zu vermeiden, dass strukturelle Einschnitte vorgenommen
werden.
Es ist keine Unterstellung:
Weder in Paulsons Plan noch im europäischen Plan findet sich irgendetwas, was den Banken
eine striktere Reglementierung auferlegen würde — als Gegenleistung für die
öffentliche Hilfe, die ihnen zuteil wird. Die „Verstaatlichungen” sind
partiell oder vorübergehend; damit sollen die Banken wieder flott gemacht und bei ihren
Umstrukturierungen unterstützt werden; einmal saniert, werden sie wieder den Privaten
überlassen.
Das Ziel dieser
„Rettungspläne” ist die Wiederherstellung der Profite der Banken, formulierte
ein französischer Bankexperte, dem keine antikapitalistischen Neigungen nachgesagt werden
können.
Der einzige Weg, eine
wirkliche Regulierung der Banken durchzusetzen, besteht in der vollständigen
Verstaatlichung der Banken und Versicherungen. Es geht hier nicht um Maximalforderungen,
sondern darum, dass die gegenwärtige Situation eine kohärente Antwort braucht. Nur
eine Verstaatlichung, die nicht partiell ist und nicht beschränkt auf die
vorübergehende Übernahme der Finanzinstitute durch den Staat, ermöglicht
wirklich, „die Bücher zu öffnen”, die Überkreuzforderungen zu
konsolidieren, mehr als nur Verluste zu verstaatlichen und die Opfer des Subprime-Betrugs zu
schützen, statt die Profite der Banken.
Die aktuelle Krise zeigt, dass
der Schutz der privaten Finanz in die soziale Katastrophe führt. Daraus muss man
Schlussfolgerungen ziehen: Das Kredit- und Versicherungswesen ist eine öffentliche
Dienstleistung. Es muss daher in den Dienst der Befriedigung der gesellschaftlichen
Bedürfnisse gestellt werden, und das erfordert eine demokratische Verwaltung.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |