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Die neue Verfassung Ecuadors, die gerade durch ein Referendum verabschiedet wurde,
revidiert den neoliberalen Kurs der letzten Jahre. Eine Analyse von EDUARDO TAMAYO, Journalist
aus Ecuador.
Die Resultate des Verfassungsreferendums zeigt den großen
Willen zur Veränderung unter den Ecuadorianer. Die Mehrheit hat für eine direktere
Demokratie gestimmt, bei der die Menschen aktiv auch ins politische Leben eingreifen.
Staatspräsident Rafael Correa hat erklärt, seine Regierung arbeite am
„Wiederaufbau des produktiven Apparats von Ecuador, weil es — da sollten wir uns
nicht täuschen — ohne eine solide produktive Basis nicht möglich ist,
dauerhaft eine soziale Politik zu machen”Die Verliererin des Referendums ist die Rechte.
Sie hält sich in der Stadt Guayaquil verschanzt — Guayaquil liegt im Süden an
der Pazifikküste und ist der Größe und Bedeutung nach der Hauptstadt Quito
ebenbürtig. Sie liegt in einer Agrargegend, die von Großgrundbesitz geprägt
ist. Die Medien haben offen für das „Nein” oder für ungültige
Stimmen geworben, ebenso die Hierarchie der katholischen Kirche, die sich an die Spitze der
Opposition gegen die neue Verfassung gestellt hat, weil sie angeblich die Abtreibung und die
gleichgeschlechtliche Ehe favorisiert. Die Bevölkerung ist ihrer Aufforderung nicht
gefolgt, obwohl sie mehrheitlich katholisch ist — sie befolgte vielmehr die Predigten
des verstorbenen Befreiungstheologen Leonidas Proano, „Bischof der Indios” In
Guayaquil stellte sich die Rechte neu auf um den sozialdemokratischen Bürgermeister Jaime
Nebot herum. Sie pflegt einen autonomistischen Diskurs und versucht damit, den
gesellschaftlichen Veränderungsprozess zu destabilisieren.
Die Verfassung fordert ein
soziales und solidarisches Gesellschaftsmodell, in dem der Staat eingreift und den Menschen,
nicht den Markt in den Mittelpunkt stellt. Das Modell einer „sozialen
Marktwirtschaft”, das seit der Verabschiedung der Verfassung 1998 in Kraft ist, wird
abgelehnt. Die neue Verfassung legt die Grundlagen für „ein gerechtes,
demokratisches, produktives, solidarisches und nachhaltiges ökonomisches System, das auf
der gleichmäßigen Verteilung der aus der Entwicklung erzielten Erträge und der
Produktionsmittel basiert” (Art.276). Sie erteilt dem Staat die ihm zukommende Aufgabe
im Rahmen einer auf gesellschaftliche Partizipation gestützten Entwicklungsplanung in
Bereichen wie Gesundheit, Erziehung, Wohnraum und Wasserverteilung, die bislang in privater
Hand sind. Der Staat soll den Finanzsektor kontrollieren und damit in die Lage versetzt
werden, die Konzentration und den Erwerb der Produktionsmittel durch einige Wenige zu
verhindern. Besondere Anstrengungen sollen unternommen werden, um die Ungerechtigkeiten in
Bezug auf die Stellung der Frau zu beseitigen.
Hubert Cholango, Leiter der
größten Indígena-Organisation Ecuadors, zeigt sich vor allem erfreut, die
Verfassung der Tatsache Rechnung trägt, dass der Staat multinational ist. „Das ist
nichts als historische Gerechtigkeit. Seit dem ersten Aufbegehren der Indios vor 18 Jahren
haben die Indígenas gefordert, dass Ecuador zum multinationalen Staat erklärt wird.
Obwohl dieser noch nicht ganz verwirklicht ist, widmen wir diesen Sieg den Genossen, die ihr
Blut dafür gelassen haben."
Die neue Verfassung wird das
Land politisch stabilisieren; es hat in den letzten zwölf Jahren acht verschiedene
Regierungen erlebt. In Zukunft wird es jedoch heftige Kämpfe geben, in deren Verlauf sich
der Charakter der Regierung herausschälen wird. Diese kann, entsprechend dem Wunsch der
Mehrheit der Bevölkerung, ihre Position radikalisieren und den Druck der Rechten
abschütteln, die, jedesmal wenn sie geschlagen wird, vom Sieger fordert, demokratisch zu
sein und ihre Interessen zu respektieren.
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