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Am 15.September 2008 haben 8500 Zuckerrohrarbeiter in den
Departements Valle del Cauca, Risaralda und Cauca die Arbeit niedergelegt und 8 der 13
Zuckerrohrplantagen besetzt. Die Arbeiter, die in sklavenähnlichen Zuständen leben,
fordern direkte Arbeitsverträge und einen Lohn, der zum Überleben reicht. Typisch
für Kolumbien ist, dass der Konflikt nicht als Arbeitskonflikt behandelt wird, sondern
als Sicherheitsproblem.
Staatspräsident Álvaro
Uribe Vélez und der Minister für soziale Sicherheit, Diego Palacio, behaupten, der
Streik sei von „dunklen Mächten” infiltriert. Ob damit die Guerilla gemeint
ist oder die Gewerkschaften, bleibt unklar. Die Einschätzung dient jedoch als Vorwand,
die Armee und Aufstandsbekämpfungseinheiten in die besetzten Plantagen zu schicken.
Bisher wurden etwa 30 Arbeiter verletzt.
Zwölf und mehr Stunden am
Tag schneiden die Arbeiter das Zuckerrohr. Ihre Frauen stehen um 3 Uhr auf und kochen ihnen
Essen, das sie mitnehmen, wenn sie um 4 Uhr aufbrechen, damit sie um 6 Uhr auf der Plantage
sind. Wenn sie zurückkommen, waren sie 16 Stunden unterwegs, und es bleibt keine Zeit
für die Familie, zumal sie in der Regel auch sonn- und feiertags arbeiten und nur alle
zwei Wochen einen Tag frei nehmen.
Trotz dieser enormen
Anstrengung können sie ihre Familien nicht ausreichend mit Essen versorgen, ganz
abgesehen von den Kosten für das Schulgeld, die Hefte, Stifte und Schuhe, die die Kinder
brauchen, um in die Schule gehen zu können. Die wenigen Frauen, die arbeiten gehen,
verdienen als Haushaltshilfen 200000 Pesos. Davon müssen sie einen guten Teil für
die Anreise ausgegeben, sodass ihnen etwa 100000 Pesos bleiben (32 Euro).
Wenn sie krank sind, bekommen
sie keinen Lohn, und wenn sie längere Zeit nicht zur Arbeit gehen, verlieren sie ihre
Anstellung.
Die Familien der Corteros
wohnen in Barrios, Slums ohne sanitäre Anlagen, mit schlechter Gesundheitsversorgung,
ohne Perspektiven und ohne soziale Partizipation. Zu den typischen Problemen gehört, dass
viele Mädchen sehr früh, mit 10, 11 Jahren, schwanger werden.
Die Gesundheitsversorgung
besteht oft nur darin, Schmerzmittel zu bekommen, denn obwohl die Arbeiter jeden Monat
Beiträge für die Krankenversicherung zahlen, müssen sie jeden Arztbesuch und
die Medikamente extra bezahlen.
Der Bruttoverdienst der
„Corteros” beläuft sich im Durchschnitt auf weniger als den gesetzlichen
Mindestlohn; der beträgt in Kolumbien 460500 Pesos (etwa 150 Euro). Man zahlt ihnen einen
bestimmten Betrag pro Tonne geschnittenen Zuckerrohrs. Da sie jedoch keine direkten
Arbeitsverträge haben, sondern in sog. Arbeitskooperativen (CTA — Cooperativas de
Trabajo Asociado) organisiert sind, verlieren sie von diesem geringen Einkommen noch etwa die
Hälfte: Die Kooperative zieht ihnen Sozialversicherungsbeiträge und Nebenkosten etwa
für den Transport zum Arbeitsplatz ab. Als reales Einkommen bleibt den Arbeitern im
Durchschnitt lediglich 220000 Pesos (72 Euro) im Monat übrig — weniger als die
Hälfte des gesetzlichen Mindestlohnes. Überflüssig zu sagen, dass sie davon
auch ihre Arbeitskleidung und die Machete kaufen müssen.
Zudem werden sie beim Wiegen
des Zuckerrohrs systematisch betrogen. In den Zuckerrohranlagen werden täglich 8100
Tonnen Zucker produziert, sowie 950000 Liter Ethanol, das dem Benzin beigemischt wird. Von den
Bruttoeinnahmen gehen 92,24% an die Unternehmen, den Staat und die Banken, und 7,76% an die
Arbeiter und Angestellten. Die gesamte Zuckerindustrie liegt im wesentlichen im Besitz von
drei Familien; einer davon gehört Ardila Lulle, der in Kolumbien über ein
Medienimperium verfügt und großen politischen Einfluss hat. Die Ethanolproduktion
wird staatlich subventioniert, den Unternehmen wird die Abnahme des Ethanols garantiert.
Dem Streik waren eine breite Mobilisierung und viele Versammlungen vorausgegangen, an denen
sich Tausende Menschen beteiligt hatten. Die Arbeiterkomitees erarbeiteten zusammen mit den
Gewerkschaften Sinaltrainal und Sinalcorteros und der „Bewegung 14.Juni” (um den
Abgeordneten Alexander Lopez Maya vom Polo Democratico Alternativo) einen Forderungskatalog,
dessen wichtigster Punkt die Forderung nach direkten Arbeitsverträgen mit den Betreibern
der Anlagen ist.
Am 14.Juli 2008 wurde der
Katalog dem Verband der Zuckerindustrie, ASOCAÑA, übergeben. Der Verband weigert sich
jedoch bis heute, Verhandlungen aufzunehmen. Der tiefer liegende Grund dafür könnte
sein, dass der kolumbianische Staat befürchtet, ein Erfolg der Zuckerrohrarbeiter
könnte zu einer Welle von Streiks im ganzen Land gegen das juristische Konstrukt der
Arbeitskooperativen führen. Die Arbeitskooperativen sind ein wichtiger Baustein bei der
Liberalisierung des Arbeitsmarkts, die seit den Gesetzen von 1990 zu einer immer weiter
stärkeren Prekarisierung der Arbeitsbeziehungen geführt hat.
Seit Beginn des Streiks haben
die Arbeiter kein Geld erhalten. Sie sind vollkommen auf die Unterstützung durch die
Bevölkerung angewiesen, die sich zwar solidarisch zeigt, aber selber arm ist. In
Kolumbien, das 44 Millionen Einwohner zählt, leiden 30 Millionen in der einen oder andern
Form an Mangelernährung. Von diesen 30 Millionen sind 16 Millionen unterernährt, 4
Millionen sind vom Hungertod bedroht. Während in den Plantagen noch leidlich Essen
ankommt, haben die Familien der Arbeiter gar nichts.
Am 2.Oktober 2008 kamen etwa
5000 Frauen und Kinder der Zuckerrohrarbeiter nach Cali, um für die Aufnahme von
Tarifverhandlungen zu demonstrieren und ihrem Zorn freien Lauf zu lassen. Eine internationale
Beobachterin aus Deutschland wurde im Verlauf der Demonstration festgenommen und aus Kolumbien
ausgewiesen. Dies wirft ein kleines Schlaglicht auf die staatliche Repression, mit der alle
sozialen Bewegungen in Kolumbien zu rechnen haben.
Die
Aufstandsbekämpfungseinheit ESMAD, die auch in den bestreikten Plantagen unterwegs ist,
hat allein im Jahr 2005 drei Menschen getötet: den Studenten Johnny Silva (durch
Genickschuss), den 15-jährigen Nicolas Neira (durch Kopfschuss) und den 16-jährigen
Indígena Belisario Camallo Guetoto. Auch die Gewerkschafter, die den Streik
unterstützen, tun dies, obwohl sie wissen, dass sie mit Folter und Mord rechnen
müssen. Im diesem Jahr wurden in Kolumbien bereits 42 Gewerkschafterinnen und
Gewerkschafter ermordet, darunter 21 Vertreter der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal.
Seit Beginn des Streiks sind,
in wechselnder Besetzung, etwa 30 Genossen von Sinaltrainal aus dem ganzen Land vor Ort, um
den Streik zu unterstützen. Sie bleiben, solange ihre Freistellung dauert. Sie fahren
jeden Tag in die Plantagen zu den Streikenden, um sie zu informieren und in ihrer Organisation
zu unterstützen. Sinaltrainal macht zudem logistische Arbeit und versucht, die Menschen
in den umliegenden Dörfern über den Streik zu informieren und Solidarität zu
organisieren.
Das Ziel von Sinaltrainal ist,
dass durch eine breite Mobilisierung der Bevölkerung aus dem reinen Arbeitskonflikt ein
sozialer Konflikt wird, der von der Bevölkerung auch als solcher wahrgenommen wird.
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