SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 19

Feminismusdebatte

"Emmas oder Alphas"? Beide keinen Streit wert!

"Alphamädchen, Hygienefanatikerinnen, altbackene Gestrige, Krach zwischen Alt und Jung ... Was ist uns von den aufgeregten Feuilletondebatten des Frühjahrs geblieben?”, fragt das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung auf deren Internetseite. Gemeint ist die Debatte um Charlotte Roches Bestseller Feuchtgebiete. „Welche geschlechterpolitischen Veränderungen brauchen wir heute?”, fragt das Institut weiter und fordert zu einer „Online-Debatte zu feministischen Perspektiven auf” HANNA BEHREND und MADELAINE PORR antworten mit nachstehendem Beitrag.

So sinnvoll es ist, wenn sich die Öffentlichkeit immer wieder aufs Neue der emanzipatorischen Tradition der feministischen Bewegung erinnert, so wenig produktiv erscheint uns das periodisch wiederkehrende Wedeln des roten Tuches mit dem Aufdruck „Neuer vs. alter Feminismus?”, wann immer sich junge, in den Mainstream drängende Frauen zu Wort melden. Wir wünschen uns stattdessen Bemühungen, die alten Ausgrenzungsmechanismen aufzulösen. Dazu ist es sicherlich hilfreich, wenn wir einen kurzen Exkurs in die oben genannte emanzipatorische Tradition unternehmen.Im Verlauf der Geschichte haben unterdrückte, benachteiligte, verfolgte Menschengruppen immer wieder versucht, sich von ihren Bedrückern zu befreien. Waren sie erfolgreich, d.h. hatte sich die betreffende Gruppe von entscheidenden politischen, sozialen und kulturellen Fesseln befreit, dann verschwand mit der Zeit die besondere Form der Unterdrückung und der Unterdrücker und machte neuen Formen der Ausbeutung und Diskriminierung und schließlich neuem Widerstand Platz.
Im 19. und bis etwa zur Mitte des 20.Jahrhunderts sahen viele Menschen in der Arbeiterbewegung und den aus ihr hervorgegangenen zwei großen Richtungen, Sozialdemokratie und Kommunismus, das Instrument zur Befreiung von Ausbeutung. Obwohl diese Bewegungen weder Armut noch Ausbeutung abschafften, haben sie ein paar Schritte in die richtige Richtung getan: Sie haben den Ausgebeuteten das Bewusstsein vermittelt, dass sie sich wehren können, dass sie gemeinsam handelnd eine Macht sind. Ja, sie haben sogar vielfältige Visionen hervorgebracht, wie ein ausbeutungsfreies Leben aussehen könnte.

Unterschiede unter den Ausgegrenzten

Allerdings ist bei alledem stets die grundlegende Ungerechtigkeit ungelöst geblieben: das patriarchalische, besser gesagt das androzentrisch-androkratische Wesen der menschlichen Gesellschaft, das im Laufe der Geschichte immer mehr Raum besetzte und bekanntlich in der „Hexenverfolgung” des Mittelalters einen seiner Höhepunkte erreichte.
Am Ausschluss der halben Menschheit von einem „ganzen Leben”, das selbstbestimmte Teilhabe an allen menschlichen Aktivitäten und am geschaffenen Eigentum umfasst, hat die Arbeiterbewegung nur halbherzig gerüttelt. Der „Familienlohn”, der auch dem Arbeiter eine aus „Liebe” 24 Stunden am Tag einsetzbare Haus- und Kinderfrau ermöglichte, entsprach seinen Interessen; an dem unfreien fremdbestimmten Leben der überwältigenden Mehrheit der Frauen änderte er nichts.
So entwickelten sich ab dem Ende des 18.Jahrhunderts die erste, und die als Teil der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre hervorgegangene zweite Frauenbewegung, die der „anderen Hälfte der Menschheit” das Bewusstsein ihrer Unterdrückung vermittelte. Vor allem im letzten halben Jahrhundert gelang es dieser Bewegung, gewaltige Veränderungen im Denken und Handeln von Frauen, aber auch von Männern auszulösen.
Doch war diese zweite Frauenbewegung im Wesentlichen weiß und mittelständisch und grenzte Frauen aus, die nicht weiß und nicht bürgerlich waren. Diese Beschränktheit veranlasste vor allem schwarze Frauen in den USA und in Afrika, aber auch andere Frauen aus nichtdominanten sozialen und nationalen Gruppen, Fragen zum Zusammenhang von Gender und Ethnie zu stellen. Sich mit den bürgerlichen weißen Frauen zu solidarisieren ließ sich ihrer Meinung nach nur vertreten, wenn diese zugleich auch die Diskriminierung von Frauen und Männern bekämpfen, die eine andere Hautfarbe und einen anderen ethnischen Hintergrund haben. Die ethnischen, sozialen, politischen und kulturellen Differenzen unter den Ausgegrenzten wurden als etwas hervorgehoben, das in Solidarität zelebriert und nicht borniert ignoriert oder verachtet werden sollte, so dass diese Unterschiede im gemeinsamen Interesse liegende Ziele befördern könnten, anstatt sie zu konterkarieren.
Damit waren diese Frauen zugleich Teil der feministischen und der antikolonialen Befreiungsbewegungen, die in den 60er und 70er Jahren zur Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer und asiatischer Völker führten. In Kuba waren sie selbstverständlicher Bestandteil der Revolutionsbewegung von 1959.

Emanzipatorische Anliegen

Es gelang den verschiedenen Befreiungsbewegungen, immer neue Gruppen von Ausgegrenzten zum Widerstand zu mobilisieren. Bis heute gibt es jedoch noch keine Bewegung, die die Interessen aller Ausgebeuteten, Diskriminierten, Benachteiligten vertritt und dabei keine Gruppe und kein Individuum ausgrenzt.
Wir brauchen politische und Gewerkschaftsbewegungen, die sozial — und damit nichtsexistisch und nichtrassistisch — sowie ökologisch sind, kurzum: nationale und supranationale Bewegungen mit Frauen und Männern an der Spitze, die sich nicht nur mit allen diesen emanzipatorischen Zielstellungen identifizieren, sondern sie offensiv in ihre Arbeit integrieren.
Die folgenden sind die entscheidenden emanzipatorischen Anliegen, die im gemeinsamen Interesse der menschlichen Gattung, also aller Frauen, Männer und Kinder, in allen Teilen der Welt liegen: soziale, wie die Abschaffung von Hunger und Armut; politische, wie die Verbreitung von echter Mit- und Selbstbestimmung von Individuen und Gemeinschaften; kulturelle, wie die Überwindung tradierter klassenmäßiger, religiöser und ethnischer Ausgrenzungen; und ökologische wie die Erhaltung der Biodiversität und die sparsame und effiziente Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich der menschlichen Arbeitskraft. In der Menschheitsgeschichte gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, diese Aufgaben erfolgreich zu lösen. Die Wissens- und Technikentwicklung hat der Menschheit — auch ökonomisch — einen solchen Produktivitätsschub gebracht, dass Hunger und Armut, Unterdrückung und Ausbeutung, Unwissenheit und soziale Ausgrenzung überflüssig und überwindbar geworden sind. Dass all diese Missstände nach wie vor existieren, hat keinen rationalen Grund, außer dass mit und an ihnen einige wenige Menschen sehr viel Geld verdienen.
Für viele unserer Probleme gibt es längst brauchbare Lösungsansätze. Es geht vor allem darum, sie durchzusetzen. Deshalb sollten wir in der nächsten Zukunft in den Mittelpunkt unser aller Aufmerksamkeit stellen, wie wir — ohne politische, soziale, ethnische, nationale und geschlechtliche Ausgrenzungen — bei der Durchsetzung menschengerechter Lösungen kooperieren, wie wir mit allen, in deren Interesse die jeweilige Lösung ist, gleichberechtigt zusammenarbeiten können.

Hanna Behrend ist Herausgeberin der Reihe Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft. Madeleine Porr arbeitet als Autorin und Projektentwicklerin zu nachhaltiger Entwicklung unter Gendergesichtspunkten.


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