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"Alphamädchen, Hygienefanatikerinnen, altbackene Gestrige, Krach zwischen Alt und Jung ... Was ist uns von den aufgeregten Feuilletondebatten des Frühjahrs geblieben?”, fragt das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung auf deren Internetseite. Gemeint ist die Debatte um Charlotte Roches Bestseller Feuchtgebiete. „Welche geschlechterpolitischen Veränderungen brauchen wir heute?”, fragt das Institut weiter und fordert zu einer „Online-Debatte zu feministischen Perspektiven auf” HANNA BEHREND und MADELAINE PORR antworten mit nachstehendem Beitrag.
So sinnvoll es ist, wenn sich die Öffentlichkeit immer
wieder aufs Neue der emanzipatorischen Tradition der feministischen Bewegung erinnert, so
wenig produktiv erscheint uns das periodisch wiederkehrende Wedeln des roten Tuches mit dem
Aufdruck „Neuer vs. alter Feminismus?”, wann immer sich junge, in den Mainstream
drängende Frauen zu Wort melden. Wir wünschen uns stattdessen Bemühungen, die
alten Ausgrenzungsmechanismen aufzulösen. Dazu ist es sicherlich hilfreich, wenn wir
einen kurzen Exkurs in die oben genannte emanzipatorische Tradition unternehmen.Im Verlauf der
Geschichte haben unterdrückte, benachteiligte, verfolgte Menschengruppen immer wieder
versucht, sich von ihren Bedrückern zu befreien. Waren sie erfolgreich, d.h. hatte sich
die betreffende Gruppe von entscheidenden politischen, sozialen und kulturellen Fesseln
befreit, dann verschwand mit der Zeit die besondere Form der Unterdrückung und der
Unterdrücker und machte neuen Formen der Ausbeutung und Diskriminierung und
schließlich neuem Widerstand Platz.
Im 19. und bis etwa zur Mitte
des 20.Jahrhunderts sahen viele Menschen in der Arbeiterbewegung und den aus ihr
hervorgegangenen zwei großen Richtungen, Sozialdemokratie und Kommunismus, das Instrument
zur Befreiung von Ausbeutung. Obwohl diese Bewegungen weder Armut noch Ausbeutung abschafften,
haben sie ein paar Schritte in die richtige Richtung getan: Sie haben den Ausgebeuteten das
Bewusstsein vermittelt, dass sie sich wehren können, dass sie gemeinsam handelnd eine
Macht sind. Ja, sie haben sogar vielfältige Visionen hervorgebracht, wie ein
ausbeutungsfreies Leben aussehen könnte.
Allerdings ist bei alledem stets die grundlegende Ungerechtigkeit ungelöst geblieben:
das patriarchalische, besser gesagt das androzentrisch-androkratische Wesen der menschlichen
Gesellschaft, das im Laufe der Geschichte immer mehr Raum besetzte und bekanntlich in der
„Hexenverfolgung” des Mittelalters einen seiner Höhepunkte erreichte.
Am Ausschluss der halben
Menschheit von einem „ganzen Leben”, das selbstbestimmte Teilhabe an allen
menschlichen Aktivitäten und am geschaffenen Eigentum umfasst, hat die Arbeiterbewegung
nur halbherzig gerüttelt. Der „Familienlohn”, der auch dem Arbeiter eine aus
„Liebe” 24 Stunden am Tag einsetzbare Haus- und Kinderfrau ermöglichte,
entsprach seinen Interessen; an dem unfreien fremdbestimmten Leben der
überwältigenden Mehrheit der Frauen änderte er nichts.
So entwickelten sich ab dem
Ende des 18.Jahrhunderts die erste, und die als Teil der Bürgerrechtsbewegung der 1960er
Jahre hervorgegangene zweite Frauenbewegung, die der „anderen Hälfte der
Menschheit” das Bewusstsein ihrer Unterdrückung vermittelte. Vor allem im letzten
halben Jahrhundert gelang es dieser Bewegung, gewaltige Veränderungen im Denken und
Handeln von Frauen, aber auch von Männern auszulösen.
Doch war diese zweite
Frauenbewegung im Wesentlichen weiß und mittelständisch und grenzte Frauen aus, die
nicht weiß und nicht bürgerlich waren. Diese Beschränktheit veranlasste vor
allem schwarze Frauen in den USA und in Afrika, aber auch andere Frauen aus nichtdominanten
sozialen und nationalen Gruppen, Fragen zum Zusammenhang von Gender und Ethnie zu stellen.
Sich mit den bürgerlichen weißen Frauen zu solidarisieren ließ sich ihrer
Meinung nach nur vertreten, wenn diese zugleich auch die Diskriminierung von Frauen und
Männern bekämpfen, die eine andere Hautfarbe und einen anderen ethnischen
Hintergrund haben. Die ethnischen, sozialen, politischen und kulturellen Differenzen unter den
Ausgegrenzten wurden als etwas hervorgehoben, das in Solidarität zelebriert und nicht
borniert ignoriert oder verachtet werden sollte, so dass diese Unterschiede im gemeinsamen
Interesse liegende Ziele befördern könnten, anstatt sie zu konterkarieren.
Damit waren diese Frauen
zugleich Teil der feministischen und der antikolonialen Befreiungsbewegungen, die in den 60er
und 70er Jahren zur Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer und asiatischer Völker
führten. In Kuba waren sie selbstverständlicher Bestandteil der Revolutionsbewegung
von 1959.
Es gelang den verschiedenen Befreiungsbewegungen, immer neue Gruppen von Ausgegrenzten zum
Widerstand zu mobilisieren. Bis heute gibt es jedoch noch keine Bewegung, die die Interessen
aller Ausgebeuteten, Diskriminierten, Benachteiligten vertritt und dabei keine Gruppe und kein
Individuum ausgrenzt.
Wir brauchen politische und
Gewerkschaftsbewegungen, die sozial — und damit nichtsexistisch und nichtrassistisch
— sowie ökologisch sind, kurzum: nationale und supranationale Bewegungen mit Frauen
und Männern an der Spitze, die sich nicht nur mit allen diesen emanzipatorischen
Zielstellungen identifizieren, sondern sie offensiv in ihre Arbeit integrieren.
Die folgenden sind die
entscheidenden emanzipatorischen Anliegen, die im gemeinsamen Interesse der menschlichen
Gattung, also aller Frauen, Männer und Kinder, in allen Teilen der Welt liegen: soziale,
wie die Abschaffung von Hunger und Armut; politische, wie die Verbreitung von echter Mit- und
Selbstbestimmung von Individuen und Gemeinschaften; kulturelle, wie die Überwindung
tradierter klassenmäßiger, religiöser und ethnischer Ausgrenzungen; und
ökologische wie die Erhaltung der Biodiversität und die sparsame und effiziente
Nutzung der natürlichen Ressourcen einschließlich der menschlichen Arbeitskraft. In
der Menschheitsgeschichte gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit, diese Aufgaben
erfolgreich zu lösen. Die Wissens- und Technikentwicklung hat der Menschheit — auch
ökonomisch — einen solchen Produktivitätsschub gebracht, dass Hunger und
Armut, Unterdrückung und Ausbeutung, Unwissenheit und soziale Ausgrenzung
überflüssig und überwindbar geworden sind. Dass all diese Missstände nach
wie vor existieren, hat keinen rationalen Grund, außer dass mit und an ihnen einige
wenige Menschen sehr viel Geld verdienen.
Für viele unserer
Probleme gibt es längst brauchbare Lösungsansätze. Es geht vor allem darum, sie
durchzusetzen. Deshalb sollten wir in der nächsten Zukunft in den Mittelpunkt unser aller
Aufmerksamkeit stellen, wie wir — ohne politische, soziale, ethnische, nationale und
geschlechtliche Ausgrenzungen — bei der Durchsetzung menschengerechter Lösungen
kooperieren, wie wir mit allen, in deren Interesse die jeweilige Lösung ist,
gleichberechtigt zusammenarbeiten können.
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