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"Diese offene Situation und die in ihr sichtbare
Neuzusammensetzung der sozialen Konflikte war Ausgangspunkt meiner Neugier auf eine intensive
Beschäftigung mit der Geschichte der wilden Streiks. Die Arbeitskonflikte schienen mir
ein Thema zu sein, das einen anderen Blick auf 1968 ermöglichen könnte
als in der bundesdeutschen Forschung üblich. Mich interessierte auf der einen Seite, wie
diese Konflikte jenseits der Fabrik wirkten, und auf der anderen Seite, wie die neuen sozialen
Bewegungen sich in den Fabriken geltend machten. Ich nahm an, dass es genügend Spuren und
Hinweise geben müsste, um diese Frage anhand der wilden Streiks zu untersuchen. Ich nahm
mir vor, dies nicht anhand des französischen oder italienischen Beispiels zu diskutieren,
sondern anhand zweier Länder, die eher ... für die repressive Trennung
[zwischen Studenten- und Arbeiterkämpfen] als für die organische
Verbindung der Proteste bekannt sind. Damit begannen die Probleme ... Das erste Problem:
Man könnte meinen, dass die 1968er zumindest in der Bundesrepublik so gut
beforscht sind, dass es irgendwo mal ein Projekt mit Namen 1968 in der
Fabrik gegeben haben müsste. Tatsächlich werden nicht nur die Verweigerung der
Arbeit und die Proteste der Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern das Thema Arbeit
überhaupt in der Debatte um 1968 fast nie berührt. Selbst die
Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, die das Leben der sagenhaften
Akteure des Aufstands bestimmt haben müssten, kommen so gut wie nicht vor.
Wilde Streiks? Ebenfalls ein blinder Fleck in der aktuellen Forschung. Die
vorliegende Arbeit ist leider die erste systematisch zusammenfassende Studie über die
illegalen Arbeitskämpfe in der Zeit von 1950 bis 1973."
So der Autor in seiner
Einleitung.
Die schlechte Gesellschaft, in
der sich die abhängig Beschäftigten mehr und mehr um ihr kritisches Bewusstsein
bringen ließen und lassen, hat schon lange auch die Sprache erreicht. „Wild”
ist alles, was ein Jäger vor die Flinte bekommen kann, dass ein Arbeitskampf
„wild” ist, wurde in Deutschland erst nach 1945 in den Sprachgebrauch
eingeführt. Wer als Verkäufer seiner Arbeitskraft diese verweigert, aus gutem Grunde
und leider viel zu selten, der ist dann ein „wilder” Streiker, wenn nicht eine der
im sozialpartnerschaftlichen Geschmuse eingebundene Gewerkschaft diesen „Kampf”
ausruft. Allein schon der Begriff „Tarifpolitik” sagt nur zu deutlich, dass es
hier gesittet zugeht. Verhandlung, Scheitern der Verhandlung, Urabstimmung und dann Streik.
Das ist der geregelte Ablauf. So muss das gehen, sonst wird es „wild”! Auch beim
Autor Peter Birke. „Wild” war und ist, bis zum heutigen Tage, die Vorgehensweise
des Kapitals gegen die, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.
Zu gut erinnere ich mich an
den Ausspruch des Neusser Polizeipräsidenten Knecht im Jahre 1973 vor dem Fabriktor der
Firma Pierburg : „Wilder Streik ist Revolution” — das Kapital hatte schon da
seine Bündnispartner, um Ruhe und Ordnung zu schaffen, damit die Profimaximierung klappt.
Die „Untersuchung”
der Arbeitskämpfe an denen sich die Gewerkschaften nicht beteiligen wollten, reicht bis
in das Jahr 1973/74 — warum da Schluss ist mit der „Beforschung”, das ist
nicht erkennbar. Warum man deutsche Arbeitskämpfe mit denen in Dänemark in einem
Buch untergebracht hat, ist mir auch ein Rätsel. Der Forschungsgegenstand, sich mit
solchen Arbeitskämpfen der BRD zu beschäftigen, die in der alleinigen Verantwortung
der Belegschaften stattfanden, hätte genauer untersucht werden können. So blieb viel
an der Oberfläche. Obwohl es deutliche Spuren gab, hätte man genauer gesucht!
Traurig ist, dass einer der
wichtigsten Kämpfe, die Betriebsbesetzung der Zementfarik Seibel & Söhne in
Erwitte bei Lippstadt nicht erwähnt wird. Weil Peter Birke seine Arbeit nicht bis zum
Jahr 1975 und darüber hinaus ausdehnte. Dabei war dies ein prachtvolles Beispiel für
eine Betriebsbesetzung, wie man sie heute wieder bräuchte. Wie fein Nokia abgewickelt
wurde, weil das Wissen um den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit fehlte!
Auch die Kämpfe der
ausländischen Frauen bei Pierburg in Neuss kommen in dieser Untersuchung am Rande vor,
gehen nicht in die Tiefe. Und es wäre auch lohnend gewesen, sich mit dem Ford-Streik in
Köln zu beschäftigen und zu dokumentieren, wie da ein rechter
„kölscher” Gewerkschaftsklüngel den Kampf zur Niederlage werden
ließ.
Ich hatte an dieses Buch die
Erwartung, dass es in die Tiefe geht, Möglichkeiten aufzeigt, wie man diese Kämpfe
organisiert hat, aber es bleibt leider bei ziemlich oberflächlichen Beschreibungen. Trotz
einer langen Literaturliste.
Deshalb seien hier einige
Beispiele gelungener Kampf- und Streikberichterstattung erwähnt:
Wir gehen nach vorn von Gerd
Höhne zu den Auseinandersetzungen bei Mannesmann im Jahre 1974; das Buch der Plakat-
Gruppe, das die Kämpfe bei Mercedes-Benz beschreibt, an denen Willi Hoss beteiligt war,
samt ihrer exemplarischen politischen Betriebsarbeit; die vielen Auseinandersetzung bei Opel
Bochum, an denen nicht nur das Kapital, sondern auch die IG Metall beteiligt war; Kampf um
Bosch von Eugen Eberle und Tilman Fichter; Berni Kelbs Betriebsfibel aus dem Jahre 1971...
Ich bin der Meinung, dass die
APO und die heute so seltsam fremd und unreal dargestellte 68er Bewegung gerade bei den
„echten” Kämpfen in den Jahre ab 1970 herum sehr viel bewirkte und auch bei
den Gewerkschaften Spuren hinterließ. Nicht die, nun zu kämpfen, sondern die Linken
zu schwächen. Besonders schlimm waren die Aktionen gegen jene Linken, die sich in kleinen
Parteien organisiert hatten. Unvereinbarkeitsbeschlüsse sorgten für den Ausschluss
aus der Gewerkschaft, dem bald darauf Kündigung und Berufsverbot folgte.
Das wäre ein Thema zur
„Beforschung”!
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