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Der frühere Vorsitzende des Europäischen
Gewerkschaftsbunds (EGB), Georges Debunne, ist am 22.September im Alter von 90 Jahren
gestorben.
Georges Debunne, geboren am
2.Mai 1918 in Flandern in eine traditionsreiche sozialistische Familie, war ein Gewerkschafter
der ersten Stunde. Mit 20 Jahren führte er den Vorsitz der sozialistischen
Lehrergewerkschaft in Halle (Flämisch-Brabant); mit 31 Jahren, vier Jahre nach
Kriegsende, wurde er an die Spitze des Allgemeinen Verbands Öffentliche Dienste (CGSP)
gewählt — einer der am weitesten links stehenden Gewerkschaftsverbände
Belgiens.
1968 wurde er Vorsitzender der
FGTB. In dieser Eigenschaft trieb er maßgeblich die Gründung des Europäischen
Gewerkschaftsbunds (EGB) 1973 voran, dessen Vorsitz er von 1982 bis 1985 innehatte. 1993
gründete er im EGB die Seniorenorganisation FERPA, die für die Formulierung von
Mindeststandards für Renten- und Sozialleistungsbezüge in Europa wesentliche
Anstöße gegeben hat. Am 25.April wurde er in Gent mit dem Preis für Demokratie
ausgezeichnet.
Georges Debunne gehört zu
den historischen Führern der belgischen Arbeiterbewegung. Er repräsentierte zugleich
die Kontinuität und den Bruch mit der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, die aus
der Résistance und aus dem Großen Streik im Winter 1960/61 hervorgegangen ist. Unter
seiner Führung verabschiedete die FGTB — anknüpfend an das Programm
antikapitalistischer Reformen von 1954—56, das sich auf die Verstaatlichung der Energie-
und der Montanindustrie stützte — 1971 ein Grundsatzprogramm „für
Strukturreformen, soziale Demokratie und Arbeiterkontrolle” Die antikapitalistische
Dimension trat zurück zugunsten eines „oppositionellen Reformismus” Auch
seine Konzeption der Arbeiterkontrolle kam dem Konzept der Mitbestimmung näher als
Vorstellungen einer von den staatlichen Institutionen unabhängigen Arbeiterdemokratie.
Debunne hat einen wichtigen Beitrag zur Mobilisierung gegen die Abschaffung der gleitenden
Lohnskala geleistet, in letzter Minute aber einen Rückzieher gemacht, als die Regierung
mit der Abwertung des belgischen Franc drohte.
Debunne gehörte zu der
Generation von Sozialisten, für die die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, Europa
müsse zur Einigung finden und dürfe nie mehr in nationalstaatliche Kriege versinken,
ein Leben lang Leitstern seines Wirkens geblieben ist. Gegen Ende seines Lebens focht er immer
leidenschaftlicher gegen die neoliberale EU, die Arbeitslosigkeit und Armut schafft. Er
scheute sich nicht, gegen den Vertrag von Lissabon aufzutreten, als der EGB noch dafür
war; er versuchte Einfluss zu nehmen auf den Konvent, um dem EU-Verfassungsvertrag die
schlimmsten Zähne zu ziehen; und er hat den Europäischen Märschen gegen
Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung ein wertvolles
Instrumentarium für die Bestimmung einer sozialen Politik auf europäischer Ebene an
die Hand gegeben.
2003 veröffentlichte er
in der Pariser Editions Syllepse sein letztes Buch, das man als sein Vermächtnis
bezeichnen kann: A quand lEurope sociale? Darin bekannte er, dass er mit seinen
Vorstellungen im EGB gescheitert ist.
Der Neue ISP-Verlag hat
Auszüge veröffentlicht in: A.Klein/P.Kleiser, Die EU in neoliberaler Verfassung,
Köln 2006.
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