SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2008, Seite 21

Georges Debunne (1918—2008)

Kämpfer für ein soziales Europa

von ANGELA KLEIN

Der frühere Vorsitzende des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB), Georges Debunne, ist am 22.September im Alter von 90 Jahren gestorben.
Georges Debunne, geboren am 2.Mai 1918 in Flandern in eine traditionsreiche sozialistische Familie, war ein Gewerkschafter der ersten Stunde. Mit 20 Jahren führte er den Vorsitz der sozialistischen Lehrergewerkschaft in Halle (Flämisch-Brabant); mit 31 Jahren, vier Jahre nach Kriegsende, wurde er an die Spitze des Allgemeinen Verbands Öffentliche Dienste (CGSP) gewählt — einer der am weitesten links stehenden Gewerkschaftsverbände Belgiens.
1968 wurde er Vorsitzender der FGTB. In dieser Eigenschaft trieb er maßgeblich die Gründung des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) 1973 voran, dessen Vorsitz er von 1982 bis 1985 innehatte. 1993 gründete er im EGB die Seniorenorganisation FERPA, die für die Formulierung von Mindeststandards für Renten- und Sozialleistungsbezüge in Europa wesentliche Anstöße gegeben hat. Am 25.April wurde er in Gent mit dem Preis für Demokratie ausgezeichnet.
Georges Debunne gehört zu den historischen Führern der belgischen Arbeiterbewegung. Er repräsentierte zugleich die Kontinuität und den Bruch mit der kämpferischen Gewerkschaftsbewegung, die aus der Résistance und aus dem Großen Streik im Winter 1960/61 hervorgegangen ist. Unter seiner Führung verabschiedete die FGTB — anknüpfend an das Programm antikapitalistischer Reformen von 1954—56, das sich auf die Verstaatlichung der Energie- und der Montanindustrie stützte — 1971 ein Grundsatzprogramm „für Strukturreformen, soziale Demokratie und Arbeiterkontrolle” Die antikapitalistische Dimension trat zurück zugunsten eines „oppositionellen Reformismus” Auch seine Konzeption der Arbeiterkontrolle kam dem Konzept der Mitbestimmung näher als Vorstellungen einer von den staatlichen Institutionen unabhängigen Arbeiterdemokratie. Debunne hat einen wichtigen Beitrag zur Mobilisierung gegen die Abschaffung der gleitenden Lohnskala geleistet, in letzter Minute aber einen Rückzieher gemacht, als die Regierung mit der Abwertung des belgischen Franc drohte.
Debunne gehörte zu der Generation von Sozialisten, für die die Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg, Europa müsse zur Einigung finden und dürfe nie mehr in nationalstaatliche Kriege versinken, ein Leben lang Leitstern seines Wirkens geblieben ist. Gegen Ende seines Lebens focht er immer leidenschaftlicher gegen die neoliberale EU, die Arbeitslosigkeit und Armut schafft. Er scheute sich nicht, gegen den Vertrag von Lissabon aufzutreten, als der EGB noch dafür war; er versuchte Einfluss zu nehmen auf den Konvent, um dem EU-Verfassungsvertrag die schlimmsten Zähne zu ziehen; und er hat den Europäischen Märschen gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung ein wertvolles Instrumentarium für die Bestimmung einer sozialen Politik auf europäischer Ebene an die Hand gegeben.
2003 veröffentlichte er in der Pariser Editions Syllepse sein letztes Buch, das man als sein Vermächtnis bezeichnen kann: A quand l‘Europe sociale? Darin bekannte er, dass er mit seinen Vorstellungen im EGB gescheitert ist.
Der Neue ISP-Verlag hat Auszüge veröffentlicht in: A.Klein/P.Kleiser, Die EU in neoliberaler Verfassung, Köln 2006.


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