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Wenn man den
Darstellungen rechtskonservativer Kreise folgt, ist es gelungen, große politische Gefahr
für Hessen abzuwenden. Am Dienstag, den 4.November, nach der Wahl von Andrea Ypsilanti
zur Ministerpräsidentin, hätte sie die Gründung der Sozialistischen
Volksrepublik Hessen verkündet. Tausende Kommunisten wären aufmarschiert und
hätten rote Fahnen geschwenkt.
Das Verdienst, diesen
drohenden Einbruch in die deutsche Geschichte und den Absturz der Demokratie verhindert zu
haben, kommt nicht etwa der Bundeswehr oder den Notstandsgesetzen zugute. Es waren vier
Schröder-Getreue und den Belangen der deutschen politischen Ordnung und Wirtschaft
ergebene Sozialdemokraten, die die politische Notbremse zogen und den Zug zum DDR-
Nachfolgestaat zum Halten brachten. Es waren also wieder mal Sozialdemokraten, die — wie
einst Ebert, Noske und Scheidemann — sich tapfer und nur ihrem Gewissen folgend, der
aufkommenden roten Flut entgegen gestellt haben.
Was hat diese sog.
„Viererbande” — (Dagmar Metzger, Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen
Everts) — nun wirklich zu ihrem „Aufstand” getrieben? War es
ausschließlich die kritische Unterstützung der Regierung durch die LINKE? Auf der
Presse-Konferenz am Montag, den 3.November, beriefen sich die „Aussteiger” auf die
„quälerisch zustandegekommene Gewissensentscheidung” Der Zeitpunkt der
„Offenbarung” war allerdings zu vordergründig und die Mimik zu leidend
verkrampft, um glaubwürdig zu erscheinen.
Konkreter wäre krimiartig
zu fragen: Wem diente die Tat? Die Antwort liegt nahe. Aber ist sie auch schlüssig, oder
löst sie nur spekulative Vermutungen aus? Die politische und persönliche Biografie
der abtrünnigen Vier liefert dazu einige interessante Anhaltspunkte.
Der Schwiegervater von Dagmar Metzger, Günther Metzger, ist ein führender Kopf
des „Seeheimer Kreis” Der bündelt bundesweit die SPD-Rechte ideologisch und
personell. Dem gehört auch Dagmar Metzger seit längerem an. Auch ihr Ehemann und
Schwager sind auf dieses rechtskonservativ-neoliberale SPD-Spektrum fixiert.
Jürgen Walter, der
eigentliche Organisator des politischen Torpedo-Unternehmens, hatte seine politische Lebens-
und Karriereplanung bereits seit längerem auf einen Aufstieg zum hessischen Parteivorsitz
und von dort aus weiter in ein maßgebliches Ministeramt in Hessen oder in Berlin
angelegt. 2003 kam ihm unerwartet die bis dahin wenig bekannte Genossin Andrea Ypsilanti in
die Quere.
Ypsilanti wurde mit knapper
Mehrheit statt seiner auf dem Landesparteitag 2006 zur Landesvorsitzenden gewählt. Sie
hatte es geschickt verstanden, überdauerte Linkstraditionen in der hessischen SPD wieder
zu wecken. Der seitdem tief gekränkte Jürgen Walter, der nicht nur als Anwalt
intensive Kontakte zu Wirtschaftskreisen pflegt, orientierte sich seitdem erkennbar in
Richtung Große Koalition, von der er doch noch persönlichen Erfolg erhoffte. Im
Inneren der SPD arbeitete er deshalb unermüdlich auf eine Niederlage von Ypsilanti hin,
um danach die hessische SPD auf seinen Weg zu bringen. Es gelang ihm als Stellvertreter im
Landes- und Fraktionsvorstand, seine eigentlichen Intentionen sorgfältig hinter einer
scheinbar einsichtsvollen Konzilianz gegenüber der Ypsilanti-Mehrheit in den hessischen
SPD-Führungsgremien zu verbergen.
Der Industriekauffrau Silke
Tesch gelang im Januar 2008 erstmals der Einzug in den Hessischen Landtag, im Kreis Marburg-
Biedenkopf überrollte sie mit ihrer Direktkandidatur den CDU-Fraktionsvorsitzenden
Christian Wagner, einen ultrarechten Antikommunismus-Kämpen. Tesch hatte im Wahlkampf
keine Hemmungen, sich dabei einer vor allem im Marburger Raum noch erhaltenen linken
Grundstimmung zu bedienen.
Gleich nach der Wahl
avancierte sie aber zur Sprecherin der auf eine Große Koalition (ohne Koch!) fixierten
rd. 20-köpfigen „Aufwärts-Runde” in der SPD-Fraktion; das
„Aufwärts-Logo” bezieht sich auf die von Schröder hinterlassene Legende
2010.
Carmen Everts, Politologin,
hat ihre Dissertation über „Extremismus” in Zwickau an der dortigen TH
geschrieben. Darin folgte sie ihrem Doktorvater Prof. Eckard Jesse. Dessen Grundthese ist die
„Erkenntnis”, die SED/PDS sei, was ihren (extremistischen), d.h.
antidemokratischen und autoritären Gehalt angehe, mit rechten, faschistoiden Gruppen und
Strömungen gleichzusetzen.
Bevor Everts Abgeordnete
wurde, arbeitete sie für Walter, den sie von früher Jugend her kennt, als
wissenschaftliche Assistentin in der SPD-Fraktion im Landtag.
Allen vier, die der Wahl von
Ypsilanti eine explosiv platzierte Absage erteilten, ist eine grundsätzliche und
weitgehende Aversion gegenüber einer kritischen Gesellschaftstheorie und
Geschichtsauffassung zu eigen. Sie ist zudem durchdrungen von einem zum Teil wahnhaft-
manischen Antikommunismus. Für solche Leute ist tendenziell alles LINKE nur eine
verkleidete Variante des weiter bedrohlich operierenden Weltkommunismus. Was darüber
hinaus die vier politischen Mineure und ihresgleichen eint, ist ein stark ausgeprägtes
subjektives Aufstiegsbedürfnis, und Aufstieg ist für sie eben nur im neoliberalen
Milieu möglich.
Diese geradezu manische
Aversion, ja der Hass gegen die und das Linke in unterschiedlichen Stufungen und
Ausprägungen, hat sich besonders in Deutschland im Laufe seiner Geschichte entwickelt und
entfaltet. Die rechte Hegemonie der herrschenden Oberschicht von Kapital, Industrie und
obrigkeitsstaatlicher Administration hat sich bislang erfolgreich durch die gelungene Abwehr
jeder demokratischen Strömung erhalten. Die Minimierung der Ausbreitung rationaler
Aufklärung beeinträchtigte dauerhaft die kritische Denkfähigkeit bis in weite
Kreise der Bevölkerung hinein; auch wenn dies im krassen Gegensatz zur realen sozialen
Klassenlage der Beherrschten stand.
Die hessische SPD hat in der Gesamtpartei, eine mehrheitlich nach links tendierende
Position inne. Sie hat dies periodisch, immer wieder augenfällig gemacht. Das reicht vom
Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) über die Sozialistische Arbeiterpartei
(SAP) bis zur Gestaltung der Hessischen Verfassung nach 1945 und zum „Reformentwurf
eines konstruktiven Sozialismus”, verfasst unter der federführenden Mitwirkung des
SPD-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Georg-August Zinn und noch lange Zeit
darüber hinaus. Dazu kommt der orientierende Einfluss von linken Persönlichkeiten
wie Willi Birkelbach, Phillip Pless, Wolfgang Abendroth, Heinz-Joachim Heydorn, Otto Brenner,
Hans Matthöfer und manch anderen.
Zum Godesberger Programm
brachten die südhessischen Parteitagsdelegierten einen sozialistisch orientierten
Gegenentwurf ein, dem immerhin rund ein Drittel der damaligen Parteitagsdelegierten
zustimmten.
Es ist nicht zu
übersehen, dass der Schwenk hin zum Neoliberalismus auch in Hessen gravierende Folgen
zeitigte und eine Neuorientierung der ideologischen Substanz programmatisch, organisatorisch
und personell kräftig mitbestimmte. Aber die gegenwärtige ökonomische und
finanzielle Systemkrise hat mindestens rudimentär in der hessischen SPD wieder einige
kritische Einlagerungen geweckt. Das kommt, wenn auch verklausuliert, in dem programmatischen
Text Soziale Moderne von Andrea Ypsilanti zum Vorschein. Eine nicht geringe Reihe von daraus
resultierenden progressiven Positionen sind in den Koalitionsentwurf von SPD/Grüne
eingegangen. Manches davon war auch kompatibel mit einer Reihe von Wahlforderungen der LINKEN.
Dies war es in Wirklichkeit, was die heftigen, politisch und persönlich aggressiven
Angriffe der Vertreter der herrschenden Politik und Meinungsmacher auslöste.
Es wäre nun allerdings eine schlimme Sache, wenn dieser quasi linke Ansatz in der
geteilten hessischen SPD wieder erstickt würde. Deshalb lautet meine Empfehlung: Keine
Feindschaft und auch kein überhebliches Niedermachen, sondern strategisch klug angelegte
Erkundung und evtl. daraus resultierende Offerten für eine weitere partielle Kooperation
mit dem links tendierenden Flügel der SPD.
Die Blickrichtung nach vorn
auf parallele, aber auch unterschiedliche Wegabschnitte kann beispielhaft in einen Bezug
gesetzt werden mit dem, was in den leider gescheiterten SPD/Grüne-Koalitionsvertrag
bereits eingegangen ist. Dessen programmatischer Inhalt wurde von unseren Parteigremien
erkennbar und nachvollziehbar mitgestaltet. Deshalb muss im anstehenden Wahlkampf auch immer
deutlich gemacht werden, durch wen und was das Projekt „Neue Politik in Hessen”
gescheitert ist und was der hessischen Bevölkerung dadurch (vorerst) verloren gegangen
ist.
Heiner Halberstadt war bis
1995 Mitglied der SPD Frankfurt am Main. Als der Unterbezirk ein Parteiordnungsverfahren gegen
ihn eröffnete, trat er aus der SPD aus. 1998 trat er in die PDS ein, war Mitarbeiter von
Fred Gebhardt im Bundestag und Stadtverordneter in Frankfurt. Am 17.Mai dieses Jahres ist
Halberstadt 80 geworden.
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