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Das Zustandekommen einer von der Partei DIE LINKE tolerierten Landesregierung in Hessen ist zu Fall gekommen, nachdem vier Landtagsabgeordnete der SPD, die zum rechten Flügel gehören, einen Tag vor der Abstimmung im Landtag erklärt haben, sie würden Andrea Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen.Für DIE LINKE war der Beschluss, Ypsilanti zu wählen, um Koch abzulösen, mit etlichen Fallstricken versehen: Sie durfte nicht für das Scheitern des Vorhabens verantwortlich gemacht werden — das ist ihr gelungen, sie musste zugleich gegenüber einer rot-grünen Regierung Eigenständigkeit bewahren.
Ihr habt ja schon
Glück gehabt, dass es so gelaufen ist, wie es jetzt gelaufen ist?
Es war sicher problematisch, dass wir, weil wir den Widerspruch in der SPD gesehen haben,
nicht ernsthaft glauben konnten, dass eine solche Regierung tragfähig sein würde.
Man hat aber immer wieder den Versuch unternommen, uns dafür den schwarzen Peter
zuzuschieben. Man baute immer höhere Hürden auf, da war die Stasi-Frage, die
Demokratiefrage, wie stehen Sie zum Verfassungsschutz — um uns ja über irgendwelche
Stöckchen springen zu lassen, die wir aber genüsslich ausgelassen haben. Das zwang
die SPD dann, sich neu zu bewegen, auf die Grünen zu. Es war der resistente Flügel
in der SPD, der es für eine bösartige politische Entgleisung hielt, wenn wir in
irgendeiner Form politischen Einfluss gewinnen würden — schon gar angesichts der
drohenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Das war der Punkt, wo Koch und die SPD gemeinsam die
Reißleine gezogen haben.
Meinst du damit, Andrea Ypsilanti ist in letzter Minute an der heraufziehenden
Wirtschaftskrise gescheitert?
Das wäre eine Erklärung, aber man hätte es sicher schon vorher gerne
bereinigt, sozusagen mit einer Schuldzuweisung an uns. Sicherlich gab es in den herrschenden
Kreisen die Meinung, dass so eine linke und vielleicht labile Regierung nicht geben darf. Als
nichts mehr anderes möglich war, um politisch begründen zu können, warum eine
Landesregierung in Hessen nicht unter unserem Einfluss stehen darf, musste man dann diese vier
Menschen an die Front schicken,.
Das heißt, es hat Einfluss von außerhalb der SPD gegeben?
Ja, das hat es mit Sicherheit. In Hessen war sicher die Flughafenfrage entscheidend. Das
ging bis hinein in die Gewerkschaften, die als Antipoden aufgetreten sind gegen das von uns
sehr klar benannte Nein zum Ausbau der Flughäfen Frankfurt und Kassel — die haben
dann auch die Grünen zum großen Teil mitgetragen. Mit einer zeitlichen
Verzögerung fand das auch Eingang in die Koalitionsvereinbarung. Hieran kann man klar
erkennen, welchen Einfluss es gegeben hat. Sicher spielte auch die Finanzkrise eine Rolle, die
wir jetzt zu spüren kriegen — wenn ich nur an die Automobilindustrie hier in Hessen
denke, die auch bundesweit jetzt den Notstand ausgerufen hat.
Die Tatsache, dass das Vorhaben einer linkeren Regierung von rechts aufgekündigt
wurde, müsste für euch doch positiv sein?
Ob es positiv ist, das weiß ich noch nicht zu sagen. Ich gehe davon aus, dass wir
erst mal mit in den Sog geraten, weil uns eine gewisse Nähe zur Sozialdemokratie
unterstellt wird. Wir werden kämpfen müssen, dass wir den Einfluss, den wir in
Hessen aufgebaut haben, auch weiterhin halten können. Aber ich gehe davon aus, dass uns
das gelingen wird.
Wo siehst du Anzeichen, dass euer Einfluss schwächer geworden sein
könnte?
Viele in der LINKEN hatten Angst, dass es eine Sozialdemokratisierung der LINKEN geben
wird. Das war die eine Seite. Andererseits galten wir auch als Hoffnungsträger, es wurden
Erwartungen damit verbunden, dass so eine neue Formierung in der Bundesrepublik zustande
kommt, und wir werden natürlich, ob wir wollen oder nicht, mitverantwortlich für das
Scheitern gemacht.
Von welcher Seite?
Vor allem von Seiten derjenigen, die Hoffnungen in eine solche Regierung hatten. Es ist ja
nicht nur die Behauptung einer linken Position massgeblich, sondern auch das Zutrauen, dass
sich politisch was ändern kann — das war der Motor, der die Hoffnungen der Menschen
hier in Hessen angetrieben hat.
Diese Hoffnungen haben sich an einigen wichtigen Punkten kristallisiert: die
Flughäfen Frankfurt und Kassel, keine Privatisierung, die Frage eines Mindestlohns...
Der Mindestlohn spielte zwar eine große Rolle, das ging auch durch das Parlament,
wenn auch nicht in der Höhe, in der wir ihn wollten (wir wollten die Initiative dann aber
nicht abbrechen). Jedenfalls waren SPD und Grüne bereit, eine solche Bundesratsinitiative
anzusteuern. Zudem wollten wir die Abschiebung von Afghanistanflüchtlingen verhindern,
wir wollten die Rückkehr in den Tarifvertrag der Länder und die Abschaffung der
Studiengebühren — das ist passiert. Das war ganz wesentlich, weil das die Leute
direkt gespürt haben, ebenso die Abschaffung der Studiengebühren. Das waren so
Marksteine, die die Hoffnung begründet haben, dass bei diesem Prozess für die
Menschen konkret was herumkommt.
Mit der Finanzkrise wäre ja schon noch einmal eine Bugwelle auf euch zugerollt,
bei der man nicht weiß, ob der Geist dieses Koalitionsvertrags gehalten hätte. Wie
siehst du das?
Ja, der Koalitionsvertrag selber ist ein sehr labiles Gerüst, mit sehr vielen
Absichtserklärungen. Wir haben immer gesagt, dass man ihn konkretisieren muss, bspw. in
Form von Haushaltsberatungen, bei denen man dann deutlicher sieht, ob das in die richtige
Richtung geht oder nicht, oder durch die Gesetzesvorhaben, die jetzt anstehen. Dann hätte
man klarer gesehen, wohin die Reise gehen soll. Das war aus dem Koalitionsvertrag alleine so
nicht erkennbar.
Wie war denn eure Marschrichtung in Bezug auf die Haushaltsverhandlungen? Hattet ihr
euch da auf etwas festgelegt?
Wir hatten vier zentrale Punkte klar gestellt: Es darf keinen Sozialabbau und keine
Privatisierungen geben, es darf im ökologischen Bereich kein weiteren Abbau im weitesten
Sinne geben. Das waren unsere grundsätzlichen Positionen. Wenn es sich um erkennbare
Verbesserungen für die Menschen in Hessen gehandelt hätte, dann hätten wir
natürlich zugestimmt. Das betraf auch die Bildungspolitik: Längere gemeinsam lernen
war z.B. so eine Position, die von den Grünen nur schwer angenommen wurde, von der SPD
und uns jedoch deutlicher getragen wurde. Das sind so Punkte, an denen wir glaubten deutlich
machen zu können, dass eine Linke im hessischen Parlament auch SPD und Grüne in
solidarische Gesellschaftszusammenhänge einbinden kann.
Gewinnt ihr ein bisschen was aus dem Desaster der SPD oder nicht?
Ich gehe schon davon aus, das wir unser Ergebnis von 5,1% steigern können. Aber dazu
muss es jetzt Anstrengungen geben, dazu muss sich die Partei bewegen, dazu müssen sich
Menschen bewegen, dazu müssen die sozialpolitischen Forderungen eine größere
Rolle spielen, und wir brauchen natürlich auch den außerparlamentarischen Kampf. In
diesem Zusammenhang ist es sehr gut, dass die Schüler in den letzten Tagen massiv eine
andere Bildungspolitik auf die Straße gegangen sind. Wir hätten uns gewünscht,
dass die Umverteilungsfrage bei der IG Metall mit den 8% realer angegangen wird als mit den
4,2%, die dann dabei herausgekommen sind. Das sind alles Dinge, die wir jetzt weiter
stabilisieren müssen. Denn ohne dass die Menschen ihre resignative Stimmung, dass alles
schlechter wird und dass man nichts machen kann, überwinden, werden wir uns nicht
großartig weiterentwickeln können.
Da scheint mir der Hase im Pfeffer zu liegen. Wie wird die LINKE sichtbar, wenn sie mal
nicht in parlamentarische Spielchen verwickelt ist?
Na gut, wir werden jetzt natürlich auch mit Aktionen in der Finanzkrise aktiv sein.
Wir werden andererseits unsere zuverlässigen politischen Positionen noch einmal deutlich
machen. Wir sind zuverlässig sozial, und treten zuverlässig für die Armen und
die Geschundenen dieser Gesellschaft ein. Das werden Erkennungszeichen sein, die wir auch
außerhalb des Parlaments und auf verschiedenen Ebenen vertreten. Auf der lokalen und der
kommunalen Ebene müssen wir genauso aktiv sein wie auf der Landesebene, um deutlich zu
machen, dass wir uns für die einsetzen, die am meisten unter den Krisenerscheinungen
leiden werden.
Habt ihr dafür schon ein Konzept?
Wir haben mehrere Ideen entwickelt. Im Grunde genommen geht es darum, wie man auf der
einen Seite diejenigen, die Weihnachten kaum Möglichkeiten haben zu feiern, mit einer
zusätzlichen Subvention oder Alimentation unterstützen kann — bspw. indem man
jedem Hartz-IV-Empfänger 50 Euro gibt, damit auch sie ein Weihnachtsfest feiern
können; das ist die eine Seite. Und wie man auf der anderen Seite politisch gegen die
soziale Spaltung vorgeht. Wir werden eine Kampagne machen, dass es jetzt
Millionärsabgaben geben muss. Damit wollen wir deutlich machen, dass das Geld ja nicht
alles vergraben oder verbrannt ist, sondern dass es Leute gibt, die an der Zockerei subjektiv
verdient haben. Die müssen zur Kasse gebeten werden.
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