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Organizing ist eine Methode, neue Gewerkschaftsmitglieder zu
gewinnen, die in Deutschland von Ver.di und in Teilen von der IG Metall nutzbar gemacht wurde.
Wie zwiespältig sie in den USA eingesetzt wird, beschreibt das neue Buch von Kim Moody.
Als die kleine und gewiss
nicht unter linkem Einfluss stehende Lokführergewerkschaft GDL letztes Jahr mit
Warnstreiks und einer plakativen Lohnforderung von 30% das Eisenbahnnetz in Deutschland
lahmzulegen drohte, strömten ihr massenhaft neue Mitglieder zu — mehr als ihr
vielleicht lieb waren. Mit Fug und Recht hätte die GDL ihren Tarifkampf als erfolgreiche
„Organizing"-Kampagne darstellen können — sehr viel erfolgreicher als
einige Pilotprojekte von Ver.di, die sich an Vorbildern aus den USA orientieren.
In seinem neuen Buch US Labor
in Trouble and Transition* untersucht Kim Moody in kritischer Weise die gewerkschaftliche
Erneuerung in den USA. Um die aktuellen gewerkschaftlichen Strategien beurteilen zu
können, hinterfragt er zunächst die gängigen Erklärungen oder
Entschuldigungen für die Krise der Arbeiterbewegung: Globalisierung,
Deindustrialisierung, Standortkonkurrenz usw. Mit ausführlichen Zahlen zur
wirtschaftlichen Entwicklung belegt er seine These, dass allein die ökonomische
Entwicklung den Niedergang nicht erklären kann. Wenn z.B. die Beschäftigung in der
US-Automobilindustrie zwischen 1980 und 2000 von 575000 auf 770000 angestiegen ist, dann kann
die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer nicht der Hauptgrund für die
Schwäche der UAW sein. Viel entscheidender ist die Verlagerung innerhalb der USA in die
Südstaaten und die Neuzusammensetzung der Belegschaften durch ihr Outsourcing zu
Zulieferern. Das bedeutet aber auch, dass die Gewerkschaften mehr Optionen hatten, als nur auf
die negativen Effekte der Globalisierung hinzuweisen. Um dies zu verdeutlichen kontrastiert
Kim Moody im zweiten Schritt die heutige Gewerkschaftspolitik mit historischen Erfahrungen.
In diesem Kapitel schreibt er
unter der thesenartigen Überschrift „Das Ende der Militanz, die Aufgabe des
Arbeitsplatzes und die Ursprünge des Niedergangs": „Diskussionen über den
gewerkschaftlichen Niedergang stellen meistens die Schrumpfung und/oder die Umstrukturierung
der alten Basisindustrien in den Mittelpunkt ... Dazu ist anzumerken, dass die Gewerkschaften
in den Zeiten wuchsen, in denen sie kämpferisch auftraten. Sie wuchsen, als sie um etwas
kämpften, und insbesondere, wenn sie wie in den 60er und frühen 70er Jahren darum
kämpften, die Macht am Arbeitsplatz zu festigen oder auszuweiten. Heutzutage wird die
Vorstellung von einem Zusammenhang zwischen Wachstum und Militanz ausgerechnet von jenen
wütend zurückgewiesen, die den größten Anspruch darauf erheben, die
richtigen Strategien für gewerkschaftliches Wachstum zu haben — namentlich den
Führern des Change-To-Win-Dachverbands, insbesondere denen der SEIU."
Der Seitenhieb auf die SEIU, die Service Employees International Union, mag
überraschen. Ist doch gerade sie für ihre „Justice for Janitors"-Kampagne
bekannt geworden, nicht zuletzt durch den Film Brot und Rosen von Ken Loach, und Vorbild
für hiesige „Organizing"-Projekte. Kim Moody setzt sich detailliert mit diesen
Kampagnen auseinander. Ihr äußerer Glanz lebte davon, dass es tatsächlich darum
ging, schwer Organisierbare wie Einwanderer und Teilzeitbeschäftigte mit den
unkonventionellen Methoden und Mobilisierungstechniken sozialer Bewegungen für die
Gewerkschaft zu gewinnen. Im Rahmen solcher Kampagnen kam es durchaus zur
Selbstermächtigung und breiten Beteiligung vor allem der aus Lateinamerika
Eingewanderten. Aber für die SEIU blieb es eine „Reform von oben”, die auf
den Erhalt und die Ausweitung der Organisation als solcher zielten. Die Verkehrung der
Organisation vom Mittel für den Kampf zum Selbstzweck, die Robert Michels in seiner
Soziologie des Parteiwesens schon 1911 an den Parteien der Arbeiterbewegung entdeckt und als
„ehernes Gesetz der Oligarchie” beschrieben hatte, kritisiert Kim Moody gerade an
Gewerkschaften wie der SEIU. Er sieht in ihren „Organizing"-Kampagnen keine Abkehr
von einer Politik der Konzessionen und des Co-Managements, sondern die Verstärkung der
Tendenz, Gewerkschaften wie kapitalistische Konzerne von oben herab mit modernen
Managementmethoden zu führen: Corporate Unionism. Eben daran hat sich in den letzten
Jahren eine zunehmende Kritik von der Basis her entwickelt, bis hin zur offenen Konfrontation,
z.B. wenn aufmüpfige Ortsverbände kurzerhand unter die Zwangsverwaltung der Zentrale
gestellt werden. In vielen dieser Konflikte ging und geht es um „Sweathart Deals”,
bei denen die SEIU sich durch die Zurückstellung materieller Verbesserungen von
großen Konzernen ihre Anerkennung als gewerkschaftliche Vertretung „erkaufte”
In den abschließenden
Kapiteln seines Buchs diskutiert Kim Moody einige Beispiele von Mobilisierungen, die
tatsächlich von unten ausgingen, wie z.B. dem „Tag ohne Immigranten” am 1.Mai
2006, an dem sich Zigtausende beteiligten und an einigen neuralgischen Punkten wie den
Seehäfen auf ihr vorhandenes Machtpotenzial hinweisen konnten. Er sieht sie als Beispiele
dafür, dass eine andere Politik möglich wäre. Als Materialist und Kenner der
amerikanischen Geschichte weiß er, dass durch eine andere Politik oder die Verbindung
verschiedener Bewegungen keine grundlegende Veränderung herbeigeführt werden kann.
Massenhafte soziale Eskalationen ("upsurge") lassen sich nicht voraussehen oder durch
geduldige Organisationsarbeit vorbereiten. Sie verlaufen sprunghaft, und erst durch sie kann
es zu einer radikalen Änderung auch der Organisationen kommen.
Sein abschließender Rat
an Organisationen und soziale Bewegungen ist es daher, sich darauf vorzubereiten, im Falle
eines solchen allgemeinen Aufruhrs an ihm bestmöglich mitwirken zu können.
Angesichts der Verschärfung der globalen Krise stehen die Zeichen dafür gar nicht
mal so schlecht.
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