SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 06

Klassenkampf oder modernes Management?

Die Kehrseite des Organizing in den USA

von CHRISTIAN FRINGS

Organizing ist eine Methode, neue Gewerkschaftsmitglieder zu gewinnen, die in Deutschland von Ver.di und in Teilen von der IG Metall nutzbar gemacht wurde. Wie zwiespältig sie in den USA eingesetzt wird, beschreibt das neue Buch von Kim Moody.
Als die kleine und gewiss nicht unter linkem Einfluss stehende Lokführergewerkschaft GDL letztes Jahr mit Warnstreiks und einer plakativen Lohnforderung von 30% das Eisenbahnnetz in Deutschland lahmzulegen drohte, strömten ihr massenhaft neue Mitglieder zu — mehr als ihr vielleicht lieb waren. Mit Fug und Recht hätte die GDL ihren Tarifkampf als erfolgreiche „Organizing"-Kampagne darstellen können — sehr viel erfolgreicher als einige Pilotprojekte von Ver.di, die sich an Vorbildern aus den USA orientieren.
In seinem neuen Buch US Labor in Trouble and Transition* untersucht Kim Moody in kritischer Weise die gewerkschaftliche Erneuerung in den USA. Um die aktuellen gewerkschaftlichen Strategien beurteilen zu können, hinterfragt er zunächst die gängigen Erklärungen oder Entschuldigungen für die Krise der Arbeiterbewegung: Globalisierung, Deindustrialisierung, Standortkonkurrenz usw. Mit ausführlichen Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung belegt er seine These, dass allein die ökonomische Entwicklung den Niedergang nicht erklären kann. Wenn z.B. die Beschäftigung in der US-Automobilindustrie zwischen 1980 und 2000 von 575000 auf 770000 angestiegen ist, dann kann die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer nicht der Hauptgrund für die Schwäche der UAW sein. Viel entscheidender ist die Verlagerung innerhalb der USA in die Südstaaten und die Neuzusammensetzung der Belegschaften durch ihr Outsourcing zu Zulieferern. Das bedeutet aber auch, dass die Gewerkschaften mehr Optionen hatten, als nur auf die negativen Effekte der Globalisierung hinzuweisen. Um dies zu verdeutlichen kontrastiert Kim Moody im zweiten Schritt die heutige Gewerkschaftspolitik mit historischen Erfahrungen.
In diesem Kapitel schreibt er unter der thesenartigen Überschrift „Das Ende der Militanz, die Aufgabe des Arbeitsplatzes und die Ursprünge des Niedergangs": „Diskussionen über den gewerkschaftlichen Niedergang stellen meistens die Schrumpfung und/oder die Umstrukturierung der alten Basisindustrien in den Mittelpunkt ... Dazu ist anzumerken, dass die Gewerkschaften in den Zeiten wuchsen, in denen sie kämpferisch auftraten. Sie wuchsen, als sie um etwas kämpften, und insbesondere, wenn sie wie in den 60er und frühen 70er Jahren darum kämpften, die Macht am Arbeitsplatz zu festigen oder auszuweiten. Heutzutage wird die Vorstellung von einem Zusammenhang zwischen Wachstum und Militanz ausgerechnet von jenen wütend zurückgewiesen, die den größten Anspruch darauf erheben, die richtigen Strategien für gewerkschaftliches Wachstum zu haben — namentlich den Führern des Change-To-Win-Dachverbands, insbesondere denen der SEIU."

Die SEIU

Der Seitenhieb auf die SEIU, die Service Employees International Union, mag überraschen. Ist doch gerade sie für ihre „Justice for Janitors"-Kampagne bekannt geworden, nicht zuletzt durch den Film Brot und Rosen von Ken Loach, und Vorbild für hiesige „Organizing"-Projekte. Kim Moody setzt sich detailliert mit diesen Kampagnen auseinander. Ihr äußerer Glanz lebte davon, dass es tatsächlich darum ging, schwer Organisierbare wie Einwanderer und Teilzeitbeschäftigte mit den unkonventionellen Methoden und Mobilisierungstechniken sozialer Bewegungen für die Gewerkschaft zu gewinnen. Im Rahmen solcher Kampagnen kam es durchaus zur Selbstermächtigung und breiten Beteiligung vor allem der aus Lateinamerika Eingewanderten. Aber für die SEIU blieb es eine „Reform von oben”, die auf den Erhalt und die Ausweitung der Organisation als solcher zielten. Die Verkehrung der Organisation vom Mittel für den Kampf zum Selbstzweck, die Robert Michels in seiner Soziologie des Parteiwesens schon 1911 an den Parteien der Arbeiterbewegung entdeckt und als „ehernes Gesetz der Oligarchie” beschrieben hatte, kritisiert Kim Moody gerade an Gewerkschaften wie der SEIU. Er sieht in ihren „Organizing"-Kampagnen keine Abkehr von einer Politik der Konzessionen und des Co-Managements, sondern die Verstärkung der Tendenz, Gewerkschaften wie kapitalistische Konzerne von oben herab mit modernen Managementmethoden zu führen: Corporate Unionism. Eben daran hat sich in den letzten Jahren eine zunehmende Kritik von der Basis her entwickelt, bis hin zur offenen Konfrontation, z.B. wenn aufmüpfige Ortsverbände kurzerhand unter die Zwangsverwaltung der Zentrale gestellt werden. In vielen dieser Konflikte ging und geht es um „Sweathart Deals”, bei denen die SEIU sich durch die Zurückstellung materieller Verbesserungen von großen Konzernen ihre Anerkennung als gewerkschaftliche Vertretung „erkaufte”
In den abschließenden Kapiteln seines Buchs diskutiert Kim Moody einige Beispiele von Mobilisierungen, die tatsächlich von unten ausgingen, wie z.B. dem „Tag ohne Immigranten” am 1.Mai 2006, an dem sich Zigtausende beteiligten und an einigen neuralgischen Punkten wie den Seehäfen auf ihr vorhandenes Machtpotenzial hinweisen konnten. Er sieht sie als Beispiele dafür, dass eine andere Politik möglich wäre. Als Materialist und Kenner der amerikanischen Geschichte weiß er, dass durch eine andere Politik oder die Verbindung verschiedener Bewegungen keine grundlegende Veränderung herbeigeführt werden kann. Massenhafte soziale Eskalationen ("upsurge") lassen sich nicht voraussehen oder durch geduldige Organisationsarbeit vorbereiten. Sie verlaufen sprunghaft, und erst durch sie kann es zu einer radikalen Änderung auch der Organisationen kommen.
Sein abschließender Rat an Organisationen und soziale Bewegungen ist es daher, sich darauf vorzubereiten, im Falle eines solchen allgemeinen Aufruhrs an ihm bestmöglich mitwirken zu können. Angesichts der Verschärfung der globalen Krise stehen die Zeichen dafür gar nicht mal so schlecht.

*Kim Moody, US Labor in Trouble and Transition. The Failure of Reform from Above, the Promise of Revival from Below, London/New York 2007.


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