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Die „Wobblies”, wie die Mitglieder der IWW auch
genannt werden, bildeten die erste moderne Industriegewerkschaft der USA, auch die erste, die
afroamerikanische ArbeiterInnen organisierte und deren rassistischer Diskriminierung
entgegentrat. In Deutschland fand Mitte November die zweite Jahreskonferenz ihrer Sektion im
deutschsprachigen Raum statt.
Die IWW, wie die mit ihr
verbundene Western Federation of Miners (WFM), folgt bis heute marxistisch geprägten,
programmatischen Prinzipien. Ihr Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass „die
Arbeiterklasse und die ausbeutende Klasse keine gemeinsamen Interessen” haben; dies war
in den letzten hundert Jahren ein wichtiger Orientierungspunkt für Millionen
Arbeiterinnen und Arbeiter. Die Geschichte der IWW ist nicht frei von Widersprüchen,
internen Fraktionskämpfen und Spaltungen, aber sie ist inspirierend und noch lange nicht
abgeschlossen.
Historisch hatten die Wobblies
ihren Schwerpunkt in den USA und Kanada, verfügten jedoch zeitweilig über Sektionen
in bis zu 23 Ländern, darunter Mexiko, Chile, Südafrika, Australien, Neuseeland,
Großbritannien und Deutschland. Die meisten dieser regionalen Organisationsansätze
wurden zwar früh und gründlich zerschlagen (in Neuseeland etwa wurden 1916 mehrere
tausend IWW-Mitglieder in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verhaftet und nach Australien
deportiert), doch der praktische Internationalismus der IWW drückte sich dauerhaft nicht
nur in ihrer Offenheit gegenüber rassistisch diskriminierten Migranten (denen die US-
Gewerkschaftsföderation AFL lange die Mitgliedschaft verwehrte) und afroamerikanischen
Arbeiterinnen und Arbeitern aus, sondern auch in einem weltweiten Netz von Industriesektionen
und regionalen Gruppen und Stützpunkten. Zeitungen der IWW erschienen noch bis in die
30er Jahre in knapp 30 verschiedenen Sprachen und wurden international verbreitet.
Auch in Deutschland gab es gut
14 Jahre lang in den 20er und frühen 30er Jahren in verschiedenen Küstenstädten
aktive IWW-Gruppen. Die deutsche Sektion der IWW in Stettin bestand bis zu ihrer Zerschlagung
1933 durch den Faschismus. Die Welle des Naziterrors spülte auch diesen
revolutionären Gewerkschaftsansatz hinweg, für den es nach 1945 kein Wiederaufleben
mehr gab.
Auch international geriet die
IWW, die 1927 mit 250000 Mitgliedern den Höchststand ihrer zahlenmäßigen
Entwicklung erreichte, in eine tiefe Krise. Bereits die Auseinandersetzung mit der unter
anderem auch von bisherigen IWW-Mitgliedern in den USA neu gegründeten Kommunistischen
Partei führte in den frühen 20er Jahren zu einem Aderlass. In den 30er Jahren stand
der unter Mitwirkung der KP von der AFL abgespaltene Congress of Industrial Organizations
(CIO) im Zentrum der Klassenauseinandersetzungen; er übernahm das IWW-Prinzip der
Industriegewerkschaft. Spätestens Mitte der 50er Jahre langte die IWW an einem
historischen Tiefpunkt an, ihre Auflösung wurde nur durch einen bescheidenen
Mitgliederaufschwung infolge des Auflebens neuer Bewegungen und Kämpfe in den USA und
international ab Mitte der 60er Jahre verhindert. Seit den 90er Jahren hat die IWW sich wieder
im kleinen Rahmen konsolidiert; erfolgreiche Organisierungskampagnen, etwa bei Starbucks in
New York und Chicago, oder bei den Transportarbeitern der amerikanischen Westküste
verliehen ihr ein Profil als kleine, aber effektive linke, militante Basisgewerkschaft.
Sektionen bestehen inzwischen wieder in den USA, Kanada, Großbritannien, Australien,
Finnland, Portugal und seit zwei Jahren auch im deutschsprachigen Raum.
Seit der Neugründung in
Köln in 2006 gibt es in Deutschland aktive IWW-Gruppen unter anderem in Frankfurt,
Köln und Berlin; sie verstehen sich als strömungsübergreifende Netzwerke von
Arbeiterinnen und Arbeitern innerhalb wie außerhalb der DGB-Gewerkschaften und versuchen,
Solidarität branchen- und gewerkschaftsübergreifend zu organisieren, quer auch zu
allen politischen Strömungen und Fraktionen. Im September organisierten die Wobblies in
Deutschland eine Veranstaltungstour mit einer Vertreterin der IWW-Lagerarbeiter aus der
Lebensmittelbranche in New York; in dieser Branche arbeiten überwiegend Migranten aus
Lateinamerika, die um gewerkschaftliche Rechte kämpfen.
Sich in Deutschland jenseits
des DGB gewerkschaftlich zu organisieren, scheint immer noch ein gewagtes Unterfangen und
löst bei nicht wenigen Linken Ängste vor politischer Isolation aus. Die IWW kann
selbstverständlich die DGB-Gewerkschaften nicht ersetzen. Aber angesichts dessen, dass in
immer mehr Bereichen die institutionalisierten Formen traditioneller gewerkschaftlicher
Interessenvertretung nicht mehr greifen, wird es für die Beschäftigten immer
dringlicher, sich Formen der Selbstorganisation zu schaffen und auch mit Mitteln der direkten
Aktion praktisch zu intervenieren, um diese Lücke zu schließen. Auch der Bedarf nach
gewerkschaftlichen Organisationsformen jenseits bürokratischer Hindernisse, nationaler,
Standort- und Organisationsgrenzen ist unzweifelhaft groß. Hier könnte ein
Organisationsansatz wie der der IWW, basierend auf „solidarity unionism” —
Basisdemokratie, Ablehnung von Stellvertreterpolitik und internationaler Vernetzung —
ein sinnvoller Beitrag sein.
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