SoZ - Sozialistische Zeitung |
Eine Initiative geht von kirchlichen Gemeinden in der Bay Area von San Francisco aus. Etwa 500 Gemeindemitglieder versammeln
sich an einem Montagabend im Oktober in der Kirche von Antioch, einer Gemeinde an der Mündung des Sacramento; sie beraten,
wie den Familien geholfen werden kann, denen die Zwangsvollstreckung droht. Betroffene Gemeindemitglieder berichten, wie es dabei
zugeht. Zorn staut sich auf, weil das 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket von Finanzminister Paulson keine Maßnahmen für
notleidende Hausbesitzer vorsieht. Es muss etwas getan werden.
Die Versammlung wird per Webcasting in zwanzig weitere Städte
übertragen; das ist der Startschuss für eine landesweite Kampagne von PICO (People Improving Communities Through
Organizing).
PICO ist ein Netzwerk von gläubigen Basisgemeinden; sein Ziel
ist die Stärkung der Familien und die Wiederbelebung des Gemeindelebens. Über eintausend Religionsgemeinschaften und
eine Million Familien gehören ihm an; das Netzwerk arbeitet in 150 Städten und Gemeinden der USA. Es ist eine der
größten Graswurzelbewegungen im Land. Die Zentrale sitzt in Oakland, Kalifornien.
PICO fordert, dass das Problem der Zahlungsunfähigkeit der
Hausbesitzer im Ganzen angegangen wird, nicht Fall für Fall. „Der Blutfluss muss gestoppt werden!” 1,2 Millionen
Häuser wurden landesweit bereits zwangsversteigert, im Laufe des nächsten Jahres werden weitere 2,2 Millionen
hinzukommen, wenn nichts getan wird.
Ähnliche Versammlungen sind in Missouri, Florida, New York und
Massachussetts geplant; vom 17. bis 19.November soll ein Treffen in Washington mit Mitgliedern des Kongresses, des Finanzministerium
und der Einlagenversicherung (Federal Deposit Insurance) folgen. „Hunderte werden sich dann auf nach Washington DC machen,
um eine Forderung vorzutragen: Die Familien müssen in ihren Häusern bleiben.” Das Schatzamt soll die Banken, die
Rettungsgelder beanspruchen, dazu verpflichten, in Notfällen die Hypothekenzinsen zu senken oder die Wertstellungen zu
berichtigen.
Die Idee wurde inzwischen auch von der Einlagenversicherung
aufgegriffen. Es tun sich jedoch Schwierigkeit auf. Eine davon ist, dass die Kredite häufig auf komplexe Finanzinstrumente aufgeteilt
wurden, so dass es inzwischen mehrere Gläubiger gibt, nicht nur die kreditgebende Bank. Die Abzahlung der Kredite ist häufig
auch deshalb ins Stottern gekommen, weil die Familien an die Kreditgeber nicht mehr rankamen, sie fanden keinen Ansprechpartner, mit
dem sie eine Umschuldung hätten aushandeln können.
Nicht nur Hausbesitzer sind betroffen, auch Mieter, wenn die Vermieter im Zahlungsrückstand sind — das gilt auch dann,
wenn die Mieter ihre Miete pünktlich gezahlt haben. Ein Drittel der Zwangsräumungen betrifft Mieter.
In Chicago haben Bewohner des Stadtteils Albany Park den
Bezirkssheriff Tom Dart gezwungen, die Zwangsräumungen einzustellen. Dart musste in diesem Jahr in seinem Bezirk Cook County
bereits 4500 Zwangsräumungen durchführen. Am 8.Oktober verkündete er ein Moratorium: „Ein Drittel der
Menschen, die wir räumen sollten, waren in sehr fragwürdigen Zuständen. Ich bin zur Auffassung gelangt: Genug ist
genug.” Die Banker werfen dem Sheriff Gesetzesbruch vor und wollen ihn vor Gericht zerren.
Dart ist als Sheriff kein besonderer Menschenfreund, er hat es gern auf
Latinos, Schwarze und Jugendliche abgesehen. „Aber er ist ein Politiker, der den Druck von unten spürt”, heißt
es auf der Homepage von Socialist Worker, und die Bewohner von Albany Park, die geräumt werden sollten, saßen ihm heftig
im Nacken. Sie sind aktiv geworden, als einer der Bewohner von einem Makler schikaniert wurde, damit er auszieht. Dann entdeckte die
ganze Nachbarschaft, dass sie geräumt werden sollten, obwohl sie ihre Miete gezahlt hatten.
Das Repräsentantenhaus hat im Herbst ein Gesetz verabschiedet, das auch im Senat Chancen hat durchzukommen: Danach
sollen die bestehenden Hypotheken durch neue ersetzt werden, deren Wert bei 85% des Verkehrswerts der Immobilie liegt und von der
Federal Housing Administration abgesichert wird (die FHA wurde in der Zeit des New Deal in den 30er Jahren gegründet).
Dafür sollen 300 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden; es heißt, damit könnten 1,5 Millionen
Hausbesitzern geholfen werden. Das Gesetz hat einen Pferdefuß: Es basiert auf der Freiwilligkeit der Banken, die Hypotheken auf
diese Weise umzuschulden.
Ein weiteres Gesetz will den Konkursrichter wieder einführen, der
1993 per Gesetz abgeschafft worden war. Konkursrichter hatten die Möglichkeit, Hypothekenverträge zu ändern;
dagegen sind die Hypothekenbanken Sturm gelaufen. Gewerkschaften und Verbraucherschutzorganisationen unterstützen das
Gesetz. Als dritte Variante ist im Gespräch, die Familien als Mieter statt als Besitzer in den Häusern zu lassen.
Das Hauptproblem für notleidende Häuslebesitzer besteht
inzwischen nicht mehr in den variablen Zinsen, sondern im anhaltenden Wertverlust ihrer Häuser. Mittlerweile übersteigt die
Zinsbelastung den Wert der Häuser um ein Vielfaches.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |