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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 15

USA

Selbsthilfe gegen Zwangsräumungen

Das US-Rettungspaket hilft nur den Banken, nicht den Häuslebesitzern. Die machen jetzt mobil.
Organizing ist das Wort der Stunde in den USA. Monatelang wütete der Finanzsturm, ohne dass die Regierung Bush darauf reagiert hätte. Als sie es mit dem Paulson-Plan tat, waren es 700 Milliarden Dollar für die Banken, für die Millionen kleiner Hausbesitzer, die auf die Straße gesetzt wurden und werden, gab es nichts. Die Demonstrationen an der Wall Street und in mehreren anderen Städten des Landes Ende September waren zwar klein, aber sie drückten eine Bewegung aus — die Häuslebesitzer greifen zur Selbsthilfe.

PICO

Eine Initiative geht von kirchlichen Gemeinden in der Bay Area von San Francisco aus. Etwa 500 Gemeindemitglieder versammeln sich an einem Montagabend im Oktober in der Kirche von Antioch, einer Gemeinde an der Mündung des Sacramento; sie beraten, wie den Familien geholfen werden kann, denen die Zwangsvollstreckung droht. Betroffene Gemeindemitglieder berichten, wie es dabei zugeht. Zorn staut sich auf, weil das 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket von Finanzminister Paulson keine Maßnahmen für notleidende Hausbesitzer vorsieht. Es muss etwas getan werden.
Die Versammlung wird per Webcasting in zwanzig weitere Städte übertragen; das ist der Startschuss für eine landesweite Kampagne von PICO (People Improving Communities Through Organizing).
PICO ist ein Netzwerk von gläubigen Basisgemeinden; sein Ziel ist die Stärkung der Familien und die Wiederbelebung des Gemeindelebens. Über eintausend Religionsgemeinschaften und eine Million Familien gehören ihm an; das Netzwerk arbeitet in 150 Städten und Gemeinden der USA. Es ist eine der größten Graswurzelbewegungen im Land. Die Zentrale sitzt in Oakland, Kalifornien.
PICO fordert, dass das Problem der Zahlungsunfähigkeit der Hausbesitzer im Ganzen angegangen wird, nicht Fall für Fall. „Der Blutfluss muss gestoppt werden!” 1,2 Millionen Häuser wurden landesweit bereits zwangsversteigert, im Laufe des nächsten Jahres werden weitere 2,2 Millionen hinzukommen, wenn nichts getan wird.
Ähnliche Versammlungen sind in Missouri, Florida, New York und Massachussetts geplant; vom 17. bis 19.November soll ein Treffen in Washington mit Mitgliedern des Kongresses, des Finanzministerium und der Einlagenversicherung (Federal Deposit Insurance) folgen. „Hunderte werden sich dann auf nach Washington DC machen, um eine Forderung vorzutragen: Die Familien müssen in ihren Häusern bleiben.” Das Schatzamt soll die Banken, die Rettungsgelder beanspruchen, dazu verpflichten, in Notfällen die Hypothekenzinsen zu senken oder die Wertstellungen zu berichtigen.
Die Idee wurde inzwischen auch von der Einlagenversicherung aufgegriffen. Es tun sich jedoch Schwierigkeit auf. Eine davon ist, dass die Kredite häufig auf komplexe Finanzinstrumente aufgeteilt wurden, so dass es inzwischen mehrere Gläubiger gibt, nicht nur die kreditgebende Bank. Die Abzahlung der Kredite ist häufig auch deshalb ins Stottern gekommen, weil die Familien an die Kreditgeber nicht mehr rankamen, sie fanden keinen Ansprechpartner, mit dem sie eine Umschuldung hätten aushandeln können.

Cook County

Nicht nur Hausbesitzer sind betroffen, auch Mieter, wenn die Vermieter im Zahlungsrückstand sind — das gilt auch dann, wenn die Mieter ihre Miete pünktlich gezahlt haben. Ein Drittel der Zwangsräumungen betrifft Mieter.
In Chicago haben Bewohner des Stadtteils Albany Park den Bezirkssheriff Tom Dart gezwungen, die Zwangsräumungen einzustellen. Dart musste in diesem Jahr in seinem Bezirk Cook County bereits 4500 Zwangsräumungen durchführen. Am 8.Oktober verkündete er ein Moratorium: „Ein Drittel der Menschen, die wir räumen sollten, waren in sehr fragwürdigen Zuständen. Ich bin zur Auffassung gelangt: Genug ist genug.” Die Banker werfen dem Sheriff Gesetzesbruch vor und wollen ihn vor Gericht zerren.
Dart ist als Sheriff kein besonderer Menschenfreund, er hat es gern auf Latinos, Schwarze und Jugendliche abgesehen. „Aber er ist ein Politiker, der den Druck von unten spürt”, heißt es auf der Homepage von Socialist Worker, und die Bewohner von Albany Park, die geräumt werden sollten, saßen ihm heftig im Nacken. Sie sind aktiv geworden, als einer der Bewohner von einem Makler schikaniert wurde, damit er auszieht. Dann entdeckte die ganze Nachbarschaft, dass sie geräumt werden sollten, obwohl sie ihre Miete gezahlt hatten.

Neue Gesetze

Das Repräsentantenhaus hat im Herbst ein Gesetz verabschiedet, das auch im Senat Chancen hat durchzukommen: Danach sollen die bestehenden Hypotheken durch neue ersetzt werden, deren Wert bei 85% des Verkehrswerts der Immobilie liegt und von der Federal Housing Administration abgesichert wird (die FHA wurde in der Zeit des New Deal in den 30er Jahren gegründet). Dafür sollen 300 Milliarden Dollar zur Verfügung gestellt werden; es heißt, damit könnten 1,5 Millionen Hausbesitzern geholfen werden. Das Gesetz hat einen Pferdefuß: Es basiert auf der Freiwilligkeit der Banken, die Hypotheken auf diese Weise umzuschulden.
Ein weiteres Gesetz will den Konkursrichter wieder einführen, der 1993 per Gesetz abgeschafft worden war. Konkursrichter hatten die Möglichkeit, Hypothekenverträge zu ändern; dagegen sind die Hypothekenbanken Sturm gelaufen. Gewerkschaften und Verbraucherschutzorganisationen unterstützen das Gesetz. Als dritte Variante ist im Gespräch, die Familien als Mieter statt als Besitzer in den Häusern zu lassen.
Das Hauptproblem für notleidende Häuslebesitzer besteht inzwischen nicht mehr in den variablen Zinsen, sondern im anhaltenden Wertverlust ihrer Häuser. Mittlerweile übersteigt die Zinsbelastung den Wert der Häuser um ein Vielfaches.


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