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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2008, Seite 17

Ein Schiff für Gaza

Zum dritten Mal gelingt es, die israelische Blockade zu durchbrechen.

Das Schiff, das am 29.Oktober im Hafen von Gaza eintraf, hatte eine besondere Fracht geladen: 6 Kubikmeter Medikamente und 26 Passagiere, darunter Ärzte wie der palästinensische Parlamentarier Mustafa Barghouti und Menschenrechtsaktivisten wie die Friedensnobelpreisträgerin Mairead Maguire. Mit der Crew waren es 60 Personen aus 15 Ländern. Es war das dritte Schiff dieser Art — eine Initiative des Free Gaza Movement.

Anfang August dieses Jahres stachen zwei Schiffe mit Aktivisten des Free Gaza Movement von Zypern in See. Sie waren unterwegs nach Gaza, um die von Israel und der „Internationalen Gemeinschaft” über die Bevölkerung des Küstenstreifens verhängte Blockade zu durchbrechen. Zwei Jahre Vorbereitungen und eine im vergangenen Jahr abgeblasene Aktion dieser Art lagen da schon hinter ihnen. Nur wenige Monate später gelang es ihnen, das dritte Schiff nach Gaza zu steuern — mithin etwas, was alle arabischen Potentaten, die Vereinten Nationen, die EU und wer auch immer über Macht und Ressourcen gebietet und gerne von der „Sache der Palästinenser”, von Völker- und Menschenrechten redet, in den 40 Jahren, in denen die militärische Supermacht Israel die Küste von Gaza kontrolliert, nicht einmal versucht haben.
Weitaus mehr Jahre brauchte die palästinensisch-israelisch- internationale Bewegung, die sich Free Gaza Movement nennt, für die Vorbereitung, die Vernetzung und den gemeinsamen Lernprozess im konsequenten Widerstand gegen das israelische Besatzungsregime. Als 2002 die palästinensischen Siedlungen der Westbank von der israelischen Armee überfallen und wieder besetzt wurden, vereinbarten die beim Weltsozialforum in Porto Alegre versammelten Bewegungen, sich möglichst zahlreich an die Seite der Palästinenser zu stellen, um ihnen das Überleben, das Ausharren und den gewaltfreien Widerstand zu ermöglichen. Zu diesem Zeitpunkt etwa begann der gemeinsame Lernprozess und eine kontinuierliche Präsenz israelischer und internationaler Aktivisten in der Westbank und, solange dies noch möglich war, auch in Gaza.
Damals, im März/April 2002, waren es rund 500 internationale Aktivisten — viele von ihnen aus lateinamerikanischen Landlosenbewegungen und europäischen Bauernbewegungen, die der Organisation Via Campesina angehören, einer von ihnen José Bové. Prominente spielen in dieser Bewegung eine untergeordnete, dienende Rolle: Sie halten freiwillig her als Mittel zur Erzeugung von Medienaufmerksamkeit, die wiederum im wesentlichen eine Schutzfunktion hat.
Überhaupt ist der Umgang mit den Mächtigen, einschließlich der Medien, ein wohlüberlegter, illusions- und fast auch emotionsloser. Weder klagt man die Regierungen oder andere Machtinstanzen an, noch appelliert man an sie, noch rennt man — unüberlegt heroisch — gegen sie an. In einer Presseerklärung, die das Free Gaza Movement herausgab, ehe das dritte Schiff in See stach, wurden die israelischen Minister Aharon Abramovitz (Außen) und Ehud Barak (Verteidigung) eingeladen, mitzusegeln, um sich selber ein Bild von den verheerenden Auswirkungen des Belagerungszustands auf das Leben in Gaza zu machen. Die Einladung war allerdings mit einer Auflage verbunden: „Lassen Sie aber bitte Ihre Waffen zu Hause. Wir sind gewaltfrei."
Um sich mit einem kleinen Boot und wenigen Zivilisten aus Palästina, Israel und verschiedenen anderen Ländern gegen die Militärmacht durchzusetzen und die Belagerung durch die israelische Marine zu durchbrechen, kommunizierte die Bewegung öffentlich mit der israelischen Regierung in einer Weise, die es dieser schwermachte, die Schiffe nicht durchzulassen. Zugleich beharrte das Free Gaza Movement darauf, keinen Kompromiss einzugehen, wenn es darum ging, das Recht der Bewohner Gazas in Anspruch zu nehmen, jederzeit und auch auf dem Seeweg Besucher zu empfangen — anders als alle palästinensischen Machteliten (und ihre israelischen und internationalen Gönner), die jederzeit bereit waren und sind, Rechte zur Disposition zu stellen.
So heißt es in der zitierten Presseerklärung: Wir haben „Israel, die Besatzungsmacht im Gazastreifen, davon in Kenntnis gesetzt, dass wir beabsichtigen, am 29.Oktober in den Hafen von Gaza einzulaufen. Wir erwarten keine Behinderung durch die israelische Regierung. Obwohl unsere Bekanntgabe die Tatsache der israelischen Kontrolle über Gaza einräumt, gestehen wir Israel nicht das Recht zu, uns an der Einreise zu hindern”
Zuvor hatten die zypriotischen Hafenbehörden Passagiere und Ladung des Schiffes ordnungsgemäß geprüft; auch dies war den israelischen Behörden bekanntgegeben worden. Dennoch setzen diese die Aktivisten vor der Abreise unter Druck, die Marine ließ sie durch die israelische Presse wissen, dass sie das Einlaufen des Schiffes mit Gewalt unterbinden werde, falls es in israelisches Gewässer geraten sollte — was von den Aktivisten ausdrücklich nie beabsichtigt war.
Am Tag darauf konnte eine der Aktivistinnen, Huweida Araf, in Gaza angekommen, feststellen: „Einmal mehr ist es uns gelungen, uns gegenüber einer ungerechten und illegalen Politik zu behaupten, während der Rest der Welt zu eingeschüchtert ist, etwas zu tun.” Huweida Araf, Palästinenserin und US-Bürgerin und mit einem israelisch-amerikanischen Aktivisten verheiratet, war übrigens auch im Frühjahr 2002 dabei, als die Abgesandten des Weltsozialforums sich in der Westbank einfanden und als Zeugen und Schutz für die bedrohte palästinensische Bevölkerung fungierten.
Damals ging von den Dörfern der Westbank, wie jetzt wieder von Gaza eine starke Botschaft an die palästinensische Bevölkerung und an die arabischen Völker aus. Al Jazeera und andere Medien strahlten weltweit Berichte über die Aktivistenboote und über den gewaltfreien Widerstand in den Westbank- Dörfern Bil‘in und Nil‘in aus. Für Millionen Menschen in der arabischen Welt liegen die Schlussfolgerungen auf der Hand: Wir haben weltweit (auch in Israel) Verbündete, und es ist dieser gemeinsame Widerstand von unten, der legitim ist und funktioniert — anders als die Heuchelei unserer Regime.
Israel hat Gaza vollständig von der Außenwelt abgeriegelt. Kaum noch ein Zeuge wird hereingelassen und kann von innen berichten. Mohamed Omar, der diesjährige Preisträger des Martha Gelhorn Prize für Journalismus, versucht, täglich aus der Kriegszone zu berichten. Als ihm der Preis in London verliehen werden sollte, war seine Ausreise nur mit aufwendigster diplomatischer Hilfe möglich. Bei seiner Rückkehr wurde er vom israelischen Geheimdienst unter schweren Misshandlungen und Demütigungen verhört.
Israel ist der Akteur, doch die EU und die USA sind die Mitverantwortlichen.

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Zwei Gruppen, die an diesen Bewegungen einen wichtigen Anteil haben, werden am 7.12. in Berlin am Tag der Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet: das palästinensische Popular Committee of Bil‘in und die israelischen Anarchists Against the Wall (ab 11 Uhr im Haus der Kulturen der Welt).


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