SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 06

Spätabtreibungen

Neue Zwänge und Schikanen

von Gisela Notz

Einige Jahre war es still um die Debatte des §218, der seit 1871 im Strafgesetzbuch steht. „Weg mit dem §218” ist aus dem Vokabular der Frauenbewegungen verschwunden. Man hat sich mit der Dreimonatsfrist mit Pflichtberatung arrangiert. Johannes Singhammer, Familienpolitiker der CSU, hat die emotional aufgeladene Diskussion nun neu eröffnet, indem er gemeinsam mit Volker Kauder wenige Wochen vor Weihnachten einen Gesetzentwurf zu Spätabtreibungen vorlegte.
Im vergangenen Jahr gab es 229 Spätabtreibungen. Als Spätabtreibung gelten Schwangerschaftsabbrüche ab der 23.Woche. Laut §218 StGB gilt ein Abbruch nur unter bestimmten Bedingungen nicht als Straftat. So reicht eine pränatale Diagnose, die ein voraussichtlich krankes oder behindertes Kind voraussagt, nicht für eine Spätabtreibung. Der Arzt darf die medizinische Indikation zur Abtreibung nur stellen, „um Lebensgefahr oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der schwangeren Frau abzuwenden”
Singhammer fordert eine gesetzlich vorgeschrieben Frist von drei Tagen zwischen Diagnose und Entscheidung und eine Verpflichtung des behandelnden Arztes, die Schwangere nach der Pränataldiagnostik auf psychosoziale Beratungsangebote hinzuweisen. Tut er das nicht, muss er 10000 Euro Strafgeld bezahlen. Besonders problematisch ist die geforderte präzise statistische Erfassung der einzelnen „Fälle” Datenschutz ist da kaum zu gewährleisten. Bei der ersten Lesung am 18.Dezember 2008 berief sich Singhammer auf „Ärzte und Kirchen”, die Handlungsschritte forderten.
Der Bundesverband der Frauenärzte hat sich ebenso wie der Bundesverband Pro Familia entschieden gegen den Antrag zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ausgesprochen. Sie sehen keinen Änderungsbedarf. Singhammer bezog sich in seiner Rede im Bundestag auch darauf, dass „menschliches Leben von Gott gegeben” und deshalb zu schützen sei.
Die vorgeschlagenen Änderungen werden keinen Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation verhindern. Langjährige Erfahrungen in der Schwangerenberatung zeigen, dass sich keine Frau die Entscheidung leicht macht. Betroffene Frauen brauchen keine politischen Übergriffe in ihr Privatleben und keine von Bußgeld bedrohten Ärzte, die nun auch im späten Stadium einer Schwangerschaft nach staatlicher Vorschrift beraten müssen. Sie brauchen qualifizierte und freiwillige Beratung, damit sie selbst entscheiden können.
Vor allem brauchen Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen mehr Hilfe und gesellschaftliche Akzeptanz. Eine Mutter sollte nicht Angst davor haben müssen, von ihrer Nachbarin dafür verachtet zu werden, dass sie ein behindertes Kind ausgetragen hat, das dem Staat möglicherweise Kosten verursacht. Und deshalb sollten Schwangere darüber aufgeklärt werden, dass sie auch das Recht haben, zu einer pränatalen Diagnostik „Nein” zu sagen.
Über Singhammers Antrag gab es keine Einigung mit dem Koalitionspartner SPD. Der hat selbst zwei Anträge zum Thema vorgelegt. Frauenpolitikerinnen von SPD und Grünen wollen das Schwangerschaftskonfliktgesetz nicht ändern und lehnen jeden weiteren Zwang ab. So tut es auch die Linke und fordert in ihrem Antrag zusätzlich eine bessere Behindertenpolitik. Thilo Hoppe (Grüne) hat Unterschriften von Abgeordneten aus allen Fraktionen für einen Antrag gesammelt, der eine Pflichtberatung der Schwangeren vorsieht. Andere Grüne wollen für die zweite Lesung weitere Änderungen vorschlagen. Bevor es so weit ist, werden sich die zuständigen Ausschüsse mit dem Thema befassen.
Bis dahin ist noch Zeit für Frauen und Männer, die außerhalb der Parlamente Politik machen, ihre „Anträge” und Anliegen zu formulieren. Die Angst, dass der Kompromiss von 1995, der für die Frauen aus der DDR eine wesentliche Verschlechterung bedeutete, denn sie kannten keinen Beratungszwang, nun wieder zurückgedreht werden soll, ist berechtigt.


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