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Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise erfordert dringender
denn je eine sichtbare weltweite Antwort in Form eines internationalen Aktionstags, wie der
15.Februar 2003 einer gegen den Irakkrieg war. Die sozialen Bewegungen in Europa,
einschließlich der Gewerkschaften, tun sich allerdings schwer damit. Die politische Diskussion
kommt nur schleppend in Gang, auf Bündnistreffen dominieren organisatorische Fragen, die
Schnittmenge für gemeinsame Aktionen ist groß, doch kommen die unterschiedlichen
organisatorischen Interessen nur schwer überein. Das zeigt die Suche nach einem gemeinsamen
europäischen und deutschen Aktionstag. Nachstehend zwei Berichte.
Am 10.Januar fand in Paris das
Treffen „der Zivilgesellschaft” mit dem umständlichen Namen „European Cross
Network/Sectorial Civil Society Meeting"statt.
Als Teilnehmende gekommen waren mehr
als 140 Leute aus verschiedenen europäischen Ländern (markante Präsenz zeigten
Frankreich, Deutschland, England, Spanien, Italien) und verschiedenen Organisationen wie Attac (aus
Deutschland, Frankreich und anderen Ländern), Friends of the Earth/BUND, Via Campesina,
Entwicklungs-NGOs und Stiftungen, sowie NGOs und Netzwerke wie WEED, TNI, Transform usw.
Die linkeren Gewerkschaften zeigten
ebenfalls Präsenz mit Vertretern von Ver.di, CGT-F, CGIL-I, Gewerkschaften aus Belgien und
Spanien und vereinzelte Vertreter basisgewerkschaftlicher Netzwerke. Städtische Basisbewegungen
z.B. von Menschen mit prekären Existenzen waren nur schwach vertreten. Kaum anwesend waren auch
Gruppen aus dem Milieu der alternativen Ökonomie oder der Wiederaneignungsbewegungen
(Hausbesetzer). Auffallend war schließlich die weitgehende Abwesenheit linksradikaler und
dezidiert marxistischer Positionen.
Ziel des Treffens war, die
überfällige Mobilisierung zivilgesellschaftlicher Bewegungen zur Finanzkrise nach vorn zu
bringen. Den konkretesten Anlass dazu mochte man im zweiten Finanzkrisengipfel der sog. G20-
Regierungen sehen, der Anfang April in London stattfinden wird. Zu den G20 gehören neben den
G7/8 auch Schwellenländer wie China, Indien, Brasilien, Mexiko, jedoch nicht die armen und
ärmsten Länder.
Der erste G20-Gipfel im November in Washington hat keine besonderen Ergebnisse gebracht, auf den
zweiten konzentrieren sich größere Hoffnungen, wegen der Anwesenheit des neuen US-
Präsidenten Obama. Außerdem hat sich inzwischen die Krise weiter zugespitzt; neben den
staatlichen Rettungsaktionen für die Banken nehmen jetzt auch Konjunkturprogramme zur
Stützung der Nachfrage, der Infrastruktur, der Autoindustrie Kontur an.
Krisenursachen und systemische
Perspektiven wurden in Paris nicht besonders tiefschürfend analysiert. Damit wurden
unfruchtbare ideologische Kapitalismusdiskussionen weitgehend vermieden. Nur zu Beginn keimte
ansatzweise eine Diskussion auf, ob das Ziel eine generelle Alternative zum Kapitalismus sei oder ob
es nur um die Überwindung des gescheiterten neoliberalen Finanzkapitalismus zugunsten eines
geläuterten Akkumulationsmodells gehe. Die salomonische Antwort von Peter Wahl (WEED und Attac
Deutschland und sicher einer der Chefideologen des Treffens) darauf war: Der Kapitalismus tritt
immer in einer konkreten Form auf, und kritische Bewegungen arbeiten sich an dieser konkreten Form
ab. Ideologische Diskussionen über Antikapitalismus auf der Grundlage eines theoretischen
Modells von Kapitalismus seien unfruchtbar. Dem wurde nicht vernehmbar widersprochen. Im Vordergrund
stand der Wille, ein breites Bündnis sozialer Bewegungen zustande zu bringen und Differenzen
hinan zu stellen.
Wichtiger als die Differenzen in der
Analyse waren die allerdings ganz offensichtlichen Unterschiede der Interessen und Ziele z.B.
zwischen Umweltbewegungen, die ein Ende des Wachstumsparadigmas fordern, und Gewerkschaften, die von
den staatlichen Hilfsprogrammen gerade Wachstumsförderung erwarten. Es wurde deutlich, dass die
Gewerkschaften bei der Kritik des Wachstumsparadigmas nicht ungebrochen mitziehen können.
Dieser Widerspruch müsste differenzierter bearbeitet werden, dazu wäre allerdings auch
etwas mehr Krisenanalyse erforderlich. Das Treffen blieb arg im allgemein zu Wünschenden
befangen.
Deutlich brachten dagegen gleich zu
Anfang verschiedene Redner einige Gefahren auf den Punkt, die in den gegenwärtigen staatlichen
Reaktionen auf das Scheitern des Neoliberalismus liegen. Neben der „Sozialisierung der
Kosten” durch die Bankenrettungsaktionen stellt sich auch die Frage, was neokeynesianische
Ausgabeprogramme bringen werden. Die von vielen herbeigesehnte Neuauflage des New Deal — in
Form eines „grünen” New Deal — wurde vielfach mit gemischten Gefühlen
betrachtet: Ist er ohne massive Mobilisierung der Zivilgesellschaft überhaupt denkbar, und wenn
ja, um welchen Preis? Gibt es dann eine „grüne Spekulationsblase” und werden
weitere Naturressourcen in Waren verwandelt?
Das wichtigste Ergebnis war die gemeinsame Orientierung auf breite Proteste aus Anlass der G20 in
London Anfang April.
Konkret soll es am 28.März eine
große Demonstration mit internationaler Beteiligung in London geben. Das ist der Samstag vor
dem Beginn des offiziellen G20-Gipfels. Es ist auch der Samstag der Großdemonstrationen in
Deutschland. In England ist es gelungen ein Bündnis aus Gewerkschaften, Eine-Welt- und einige
Umweltgruppen hinter die Demo zu bringen. Die Zusammenarbeit mit lokalen Basisbewegungen scheint
hingegen wenig entwickelt zu sein. Organisationen aus anderen Ländern sollen Delegationen
schicken, was einige auch zusagten.
Auf diese zentrale Demo sollen
parallel zum G20-Gipfel dezentrale Aktionstage sowie ein kleiner „Gegengipfel” mit
akademischer Prominenz folgen. In London münden die Aktionstage in eine große
Antikriegsdemo am 2.April; ihre Organisatoren sind mit denen der G20-Demonstration am 28.März
nicht identisch. Sie steht auch potenziell in Konkurrenz zur europäischen Anti-NATO-Demo in
Straßburg am 4.April, zu der manche, aber nicht alle der Anwesenden aufrufen wollten.
All diese Pläne sollen nicht
nur in den Netzwerken und Organisationen in Europa diskutiert werden, sondern auch global, vor allem
beim kommenden WSF in Belem.
Einen einheitlichen Aufruf zu den Aktionen gibt es bislang nicht, nur eine Pariser
Erklärung, die bekräftigt, dass es wie bisher nicht weiter gehen darf, dass Alternativen
möglich sind, und dass die arbeitenden Menschen und die Benachteiligten nicht für die
Krise zu zahlen haben. Die Erklärung trägt den Titel: „Wir zahlen nicht für
eure Krisen! Zeit für die Wende!"
Der politische Inhalt ist
zugegebenermaßen ein wenig dünn. Viele waren damit unzufrieden und es hätte in
Anbetracht der teilnehmenden Personen und Organisationen durchaus politischere und klarere Aussagen
geben können.
In zwei Arbeitsgruppen wurde
inhaltlich gearbeitet: Eine Arbeitsgruppe befasste sich mit den öffentlichen Gütern (wozu
das Kreditwesen gehört), ihrer demokratischen Kontrolle und der Umverteilung; eine zweite
befasste sich mit der Infragestellung des Wachstumsparadigmas, der ökologischen Nachhaltigkeit,
der Ernährungssouveränität sowie den sozialen und Menschenrechten.
Einige, wie auch der Autor, fanden
die in den Arbeitsgruppen erarbeiteten Grundsätze unzureichend. Sie entwickelten deshalb den
Vorschlag, auf der Grundlage solcher Prinzipien Kriterien für die Bewertung der Rettungs- und
Konjunkturprogramme zu entwickeln.
Damit könnte eine Art Rahmen
für die kritische Auseinandersetzungen mit den sich abzeichnenden Gefahren einer neuen
Tonnenideologie und Top-down-Subventionierung geschaffen werden, es könnte auch angeregt
werden, sich auf örtlicher Ebene mit Fragen zu beschäftigen wie: „Was brauchen wir
vorrangig bei uns vor Ort, um Ziele wie Nachhaltigkeit, Bedarfsdeckung und Gerechtigkeit zu
erreichen?” Einige Deutsche haben diese Frage gut verstanden, bei den übrigen weiß
man es nicht so genau. Vielleicht gelingt es, diesen Ansatz zu vertiefen — z.B. im Rahmen des
Folgetreffens, das in Frankfurt geplant ist.
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