SoZ - Sozialistische Zeitung |
Leise und flockig hat die Beschneiung der Skigebiete in den
Alpen in den letzten zwanzig Jahren Naturschützer, Politiker und Öffentlichkeit
überrumpelt. Eine sich immer schneller drehende Investitionsspirale ist trotz nationaler
und völkerrechtlicher Regelungen kaum noch aufzuhalten. Doch langsam regt sich
Widerstand.
Künstlicher Schnee,
Skifahren — ein Randproblem angesichts des stets kleiner werdenden Prozentsatzes der
Leute, die sich das überhaupt noch leisten können? Mitnichten. Laut Wikipedia gibt
es europaweit 3100 Schneekanonen, die pro Jahr und Hektar eine Million Liter Wasser und 260000
Kilowattstunden Strom verbrauchen. Zum Vergleich: Soviel Wasser braucht eine Stadt mit 1,5
Millionen Einwohnern, der Energieverbrauch entspricht einer 150000-Einwohnerstadt.
Doch die Wachstums- und
Investitionsspirale dreht sich rasant. Derzeit werden in Südtirol rund 90% der Pisten
beschneit, in Österreich zwischen 60 und 70%, in der Schweiz 20%, und in Frankreich
wurden 2004 rund 4000 Hektar der insgesamt mehr als 25000 Hektar Pistenfläche beschneit.
Diese Zahlen sind Schätzungen, denn flächendeckende Bestandsaufnahmen gibt es noch
nicht.
Die Gesetzgebungen in den
einzelnen Ländern variieren. Die meisten Alpenländer haben die Alpenkonvention
ratifiziert. Darin steht folgendes über Beschneiungsanlagen: „Die innerstaatlichen
Rechtsvorschriften können die Erzeugung von Schnee während der jeweiligen
örtlichen Kälteperioden zulassen, insbesondere um exponierte Zonen zu sichern, wenn
die jeweiligen örtlichen hydrologischen, klimatischen und ökologischen Bedingungen
es erlauben.” (Tourismusprotokoll Art.14 Abs.2.) Offenbar ist das leider ein sog.
„Gummiparagraf”
Wie schnell und mit welchen
Auswirkungen Frau Holle von ihrem Arbeitsplatz verdrängt wird, zeigen wir anhand kleiner
Momentaufnahmen konkreter Beispiele im Salzburger Land in Österreich, in Flachau und Zell
am See.
Im Oktober 2008 reichte eine deutsche Urlauberin, die seit den 70er Jahren ein Zweithaus im
Bereich der Weltcup-Abfahrt in Flachau besitzt, Klage wegen der großen
Lärmbelästigung durch die Schneekanonen ein. Kurz vor Weihnachten wurde ihr Schritt
publik. Große Aufregung. 1000 Arbeitsplätze wären dadurch allein in Flachau
gefährdet, so der Chef der Flachauer Bergbahnen, Ernst Brandstätter.
Ferdinand Eder von der
Salzburger Seilbahnwirtschaft sah noch weitreichendere Folgen: „In dieser Form, wie wir
ihn und unsere Gäste kennen, wäre der Wintertourismus nicht mehr machbar. Die
technische Beschneiung ist notwendig, um den Wintertourismus abzusichern. Wir stehen mit
anderen Destinationen im Wettbewerb, die sehr wohl auf diese Technik auch setzen, wie etwa
Südtirol."
In der Nacht wird beschneit,
weil es dann kalt genug ist. Bemerkbar macht sich das beim Stromverbrauch: Wenn in
Winternächten flächendeckend beschneit wird, dann verbraucht das 20% der
elektrischen Energie des Bundeslands Salzburg, so die grüne Landtagsabgeordnete Heidi
Reiter.
Das Flachauer Skigebiet ist
beispielhaft für die rasante Entwicklung der künstlichen Beschneiung in den letzten
Jahren: 2001 — Bau des Speicherteichs Grießbach, 12000 Kubikmeter Wasser. 2003
— Bau eines Speicherbeckens für 20000 Kubikmeter; 2004 — 100 Schneekanonen
beschneien 95% der Pisten; 2005 — 130 Kanonen beschneien 100%; 2007 — Aufstockung
auf 200 Schneekanonen.
Flachau ist eines jener
Skigebiete, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, da es in einer sog. mittleren Lage
liegt, also auf 800—2000 Meter Seehöhe. Seit 1960 nahm die Temperatur in Salzburg
um 1,2 Grad zu, besonders schnell ab 1995. Die Jahre 1994, 2000, 2002 und 2003 waren laut
einem OECD-Bericht die wärmsten der letzten 500 Jahre. Es wird immer weniger sog.
„schneesichere” Skigebiete geben, folgert die OECD.
In Flachau wurde
pünktlich zum Weihnachtsfest der Frieden wieder hergestellt. Bürgermeister Thomas
Oberreiter und Jakob Kaml, der Obmann des Tourismusverbandes, besuchten die deutsche
Urlauberfamilie und sprachen mit ihr. „Die mediale Diskussion ... hat für die
Familie eine große Belastung dargestellt ... Die Familie hat gesehen, dass der ganze Ort
hinter der künstlichen Beschneiung steht und hat sogar Drohbriefe erhalten. Daher hat
sich die Familie jetzt entschlossen, die Klage zurück zu ziehen."
Wenn das nicht mal gelungene
Überzeugungsarbeit ist.
Künstlicher Schnee spielt auch bei unserem zweiten Beispiel eine wichtige Rolle. Worum
geht es?
Seit mehr als drei Jahren
verweigert Bauer Anton Lackner im kleinen Ort Piesendorf den Verkauf von Grundstücken,
die für die Errichtung von drei neuen Sesselliften benötigt werden. Seine
Begründung: Das Gelände ist ungeeignet als Skihang, weil er südseitig liegt und
der Schnee dort höchstens zwei Tage liegen bleibt. Außerdem soll Wald gerodet
werden, was die Erosions- und Murengefahr erhöht; Sportrasen soll gesät werden, und
zudem ist der Berg Auerhahngebiet.
Piesendorf ist eine Art Vorort
der kleinen Stadt Zell am See, das am Fuß der Schmittenhöhe liegt. 1927 wurde dort
die erste Seilbahn Salzburgs (die fünfte in Österreich) errichtet. Das Projekt
„Hochsonnberg”, das Piesendorf an das Skigebiet Schmittenhöhe anbindet, gibt
es laut Piesendorfer Bürgermeister Johann Warter schon seit den 60er Jahren, jetzt wurde
es aktuell, weil man mehr Pisten braucht. Der Hochsonnberg liegt ja sehr hoch, so der
Bürgermeister, nur die Abfahrt ins Tal müsste man eventuell beschneien. Er
erzählt auch, dass Piesendorf eine florierende Gemeinde ist, die Zuzug zu verzeichnen
hat, Gewerbe und Industrie entwickeln sich gut. Aber, so der Bürgermeister, gerade
„in Zeiten wie diesen” sind Investitionen nötig, man muss Perspektiven
für die Jugend schaffen. Noch dazu tätigt diese Investition das Unternehmen
Schmittenhöhebahn; die Gemeinde, die einstimmig das Projekt beschlossen hat, würde
Parkplätze und andere Infrastruktur liefern.
Anton Lackner fühlt sich
allein gelassen, der Bürgermeister grüßt ihn schon längst nicht mehr. Seit
die Geschichte kurz vor Weihnachten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, steht
er nicht mehr so allein da, erzählt die Frau von Anton Lackner. Die Arbeitsgruppe
Skianlagen des Landes Salzburg aber hat das Projekt abgesegnet. Auch der neue Leiter der
Schmittenhöhebahn, Dr. Erich Egger, erklärt, das Projekt „Hochsonnberg”
bedeute nur eine notwendige Erweiterung des Skigebiets Schmittenhöhe.
Ob ihm denn angesichts einer
Investition von 65 Mio. Euro bei 23 Mio. Jahresumsatz nicht doch ein bisschen mulmig
wäre, frage ich ihn. Egger lenkt ein und betont, dass das Projekt ja noch nicht
vollständig bewilligt ist. Als nächstes gibt es eine
Umweltverträglichkeitsprüfung, die zwei Jahre dauern wird. Die Realisierung
hängt stark von den Rücklagen und den Entwicklungen der nächsten Jahre ab, 75
Arbeitsplätze werde man damit schaffen. Angesprochen auf den unwilligen
Grundverkäufer meint Egger, er respektiert, wenn ein Grundbesitzer keine Piste will, wenn
das so ist, wird es diese Piste auf seinem Grundstück nicht geben.
David gegen Goliath also.
Heidi Reiter, die Grünenabgeordnete, hofft, dass die Familie Lackner hart bleibt. Die
Argumentationsstrategien der Befürworter solcher Erweiterungen seien stets gleich, es
gebe keinen anderen Ausweg, man könne weder von Wanderern oder von einem Nationalpark
leben, sondern nur vom hochtechnisierten Wintertourismus. Bereits jetzt sind die
Tourismusbetriebe hoch verschuldet, den Rückgang der Gästezahlen aus Deutschland
haben bislang die vielen Touristen aus dem Osten abgefangen. Aber auch hier ist es nur eine
Frage der Zeit, bis auch diese Touristen mehr und mehr ihre eigenen Skigebiete entdecken.
Überraschenderweise findet man auf der Ebene der NGOs relativ wenig Reaktionen auf die
sich immer schneller drehenden Investitionsspiralen. Die Schweizer Organisationen Pro Natura
und Mountain Wilderness bekennen, das Thema etwas „verschlafen” zu haben. CIPRA,
die internationale Alpenschutzkommission, hat zur Zeit noch keine offizielle Meinung.
Klare Worte finden Vertreter
des Alpenvereins. Der deutsche Alpenverein warnte angesichts der Olympiapläne
Münchens nachdrücklich vor einem Ausbau von Beschneiungsanlagen, „nachhaltiger
Klimaschutz in den Alpen wären ein Widerspruch in sich” Peter Hasslacher, Leiter
der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des österreichischen Alpenvereins, nennt die
Dinge beim Namen. „Es gibt eine gegenseitige Aufschaukelung [der Skigebiete], zuerst die
Betten, dann die Pistenfläche und jetzt die künstliche Beschneiung.” All das
hat nunmehr eine alpenweite Dimension erreicht. Vor 20 Jahren gab es punktuelle Beschneiung,
mittlerweile gibt es Anträge für Beschneiung ab Oktober. Besonders die aus dem Boden
sprießenden Speicherseen bringen potenziell den Wasserhaushalt der Alpen massiv
durcheinander. Der Alpenverein will das zum Thema machen, so Hasslacher. Seit 2005 kann sich
der Alpenverein an Umweltverträglichkeitsprüfungen beteiligen, im Fall von
Piesendorf will man dieses Recht in Anspruch nehmen.
Vereinzelt brechen Orte aus
der Spirale aus, wenn auch der Not gehorchend. Die Liftanlagen des Hausbergs der Kärntner
Stadt Villach (am Dreiländereck von Österreich, Italien und Slowenien), der
Dobratsch, leidet seit den 80er Jahren massiv an Schneemangel. Man zog die Reißleine und
investierte statt in teure Beschneiungsanlagen, die möglicherweise das Trinkwasser der
Stadt gefährdet hätten, in einen Naturpark. Die Liftanlagen wurden 2002 samt und
sonders abgebaut, und nach einigen Anfangsschwierigkeiten wurde der Park 2008 mit dem Titel
„Österreichs Naturpark des Jahres” ausgezeichnet.
Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten
und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo
Sozialistische Hefte für Theorie und Praxis Sonderausgabe der SoZ 42 Seiten, 5 Euro, |
||||
Der Stand der Dinge Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität |