SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 19

Winter im Salzburger Land - Frau Holle wird arbeitslos

Beschneiungsanlagen nehmen überhand

von Angela Huemer

Leise und flockig hat die Beschneiung der Skigebiete in den Alpen in den letzten zwanzig Jahren Naturschützer, Politiker und Öffentlichkeit überrumpelt. Eine sich immer schneller drehende Investitionsspirale ist trotz nationaler und völkerrechtlicher Regelungen kaum noch aufzuhalten. Doch langsam regt sich Widerstand.
Künstlicher Schnee, Skifahren — ein Randproblem angesichts des stets kleiner werdenden Prozentsatzes der Leute, die sich das überhaupt noch leisten können? Mitnichten. Laut Wikipedia gibt es europaweit 3100 Schneekanonen, die pro Jahr und Hektar eine Million Liter Wasser und 260000 Kilowattstunden Strom verbrauchen. Zum Vergleich: Soviel Wasser braucht eine Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern, der Energieverbrauch entspricht einer 150000-Einwohnerstadt.
Doch die Wachstums- und Investitionsspirale dreht sich rasant. Derzeit werden in Südtirol rund 90% der Pisten beschneit, in Österreich zwischen 60 und 70%, in der Schweiz 20%, und in Frankreich wurden 2004 rund 4000 Hektar der insgesamt mehr als 25000 Hektar Pistenfläche beschneit. Diese Zahlen sind Schätzungen, denn flächendeckende Bestandsaufnahmen gibt es noch nicht.
Die Gesetzgebungen in den einzelnen Ländern variieren. Die meisten Alpenländer haben die Alpenkonvention ratifiziert. Darin steht folgendes über Beschneiungsanlagen: „Die innerstaatlichen Rechtsvorschriften können die Erzeugung von Schnee während der jeweiligen örtlichen Kälteperioden zulassen, insbesondere um exponierte Zonen zu sichern, wenn die jeweiligen örtlichen hydrologischen, klimatischen und ökologischen Bedingungen es erlauben.” (Tourismusprotokoll Art.14 Abs.2.) Offenbar ist das leider ein sog. „Gummiparagraf”
Wie schnell und mit welchen Auswirkungen Frau Holle von ihrem Arbeitsplatz verdrängt wird, zeigen wir anhand kleiner Momentaufnahmen konkreter Beispiele im Salzburger Land in Österreich, in Flachau und Zell am See.

"Leise rieselt der Schnee”.. mitnichten

Im Oktober 2008 reichte eine deutsche Urlauberin, die seit den 70er Jahren ein Zweithaus im Bereich der Weltcup-Abfahrt in Flachau besitzt, Klage wegen der großen Lärmbelästigung durch die Schneekanonen ein. Kurz vor Weihnachten wurde ihr Schritt publik. Große Aufregung. 1000 Arbeitsplätze wären dadurch allein in Flachau gefährdet, so der Chef der Flachauer Bergbahnen, Ernst Brandstätter.
Ferdinand Eder von der Salzburger Seilbahnwirtschaft sah noch weitreichendere Folgen: „In dieser Form, wie wir ihn und unsere Gäste kennen, wäre der Wintertourismus nicht mehr machbar. Die technische Beschneiung ist notwendig, um den Wintertourismus abzusichern. Wir stehen mit anderen Destinationen im Wettbewerb, die sehr wohl auf diese Technik auch setzen, wie etwa Südtirol."
In der Nacht wird beschneit, weil es dann kalt genug ist. Bemerkbar macht sich das beim Stromverbrauch: Wenn in Winternächten flächendeckend beschneit wird, dann verbraucht das 20% der elektrischen Energie des Bundeslands Salzburg, so die grüne Landtagsabgeordnete Heidi Reiter.
Das Flachauer Skigebiet ist beispielhaft für die rasante Entwicklung der künstlichen Beschneiung in den letzten Jahren: 2001 — Bau des Speicherteichs Grießbach, 12000 Kubikmeter Wasser. 2003 — Bau eines Speicherbeckens für 20000 Kubikmeter; 2004 — 100 Schneekanonen beschneien 95% der Pisten; 2005 — 130 Kanonen beschneien 100%; 2007 — Aufstockung auf 200 Schneekanonen.
Flachau ist eines jener Skigebiete, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, da es in einer sog. mittleren Lage liegt, also auf 800—2000 Meter Seehöhe. Seit 1960 nahm die Temperatur in Salzburg um 1,2 Grad zu, besonders schnell ab 1995. Die Jahre 1994, 2000, 2002 und 2003 waren laut einem OECD-Bericht die wärmsten der letzten 500 Jahre. Es wird immer weniger sog. „schneesichere” Skigebiete geben, folgert die OECD.
In Flachau wurde pünktlich zum Weihnachtsfest der Frieden wieder hergestellt. Bürgermeister Thomas Oberreiter und Jakob Kaml, der Obmann des Tourismusverbandes, besuchten die deutsche Urlauberfamilie und sprachen mit ihr. „Die mediale Diskussion ... hat für die Familie eine große Belastung dargestellt ... Die Familie hat gesehen, dass der ganze Ort hinter der künstlichen Beschneiung steht und hat sogar Drohbriefe erhalten. Daher hat sich die Familie jetzt entschlossen, die Klage zurück zu ziehen."
Wenn das nicht mal gelungene Überzeugungsarbeit ist.

David gegen Goliath

Künstlicher Schnee spielt auch bei unserem zweiten Beispiel eine wichtige Rolle. Worum geht es?
Seit mehr als drei Jahren verweigert Bauer Anton Lackner im kleinen Ort Piesendorf den Verkauf von Grundstücken, die für die Errichtung von drei neuen Sesselliften benötigt werden. Seine Begründung: Das Gelände ist ungeeignet als Skihang, weil er südseitig liegt und der Schnee dort höchstens zwei Tage liegen bleibt. Außerdem soll Wald gerodet werden, was die Erosions- und Murengefahr erhöht; Sportrasen soll gesät werden, und zudem ist der Berg Auerhahngebiet.
Piesendorf ist eine Art Vorort der kleinen Stadt Zell am See, das am Fuß der Schmittenhöhe liegt. 1927 wurde dort die erste Seilbahn Salzburgs (die fünfte in Österreich) errichtet. Das Projekt „Hochsonnberg”, das Piesendorf an das Skigebiet Schmittenhöhe anbindet, gibt es laut Piesendorfer Bürgermeister Johann Warter schon seit den 60er Jahren, jetzt wurde es aktuell, weil man mehr Pisten braucht. Der Hochsonnberg liegt ja sehr hoch, so der Bürgermeister, nur die Abfahrt ins Tal müsste man eventuell beschneien. Er erzählt auch, dass Piesendorf eine florierende Gemeinde ist, die Zuzug zu verzeichnen hat, Gewerbe und Industrie entwickeln sich gut. Aber, so der Bürgermeister, gerade „in Zeiten wie diesen” sind Investitionen nötig, man muss Perspektiven für die Jugend schaffen. Noch dazu tätigt diese Investition das Unternehmen Schmittenhöhebahn; die Gemeinde, die einstimmig das Projekt beschlossen hat, würde Parkplätze und andere Infrastruktur liefern.
Anton Lackner fühlt sich allein gelassen, der Bürgermeister grüßt ihn schon längst nicht mehr. Seit die Geschichte kurz vor Weihnachten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, steht er nicht mehr so allein da, erzählt die Frau von Anton Lackner. Die Arbeitsgruppe Skianlagen des Landes Salzburg aber hat das Projekt abgesegnet. Auch der neue Leiter der Schmittenhöhebahn, Dr. Erich Egger, erklärt, das Projekt „Hochsonnberg” bedeute nur eine notwendige Erweiterung des Skigebiets Schmittenhöhe.
Ob ihm denn angesichts einer Investition von 65 Mio. Euro bei 23 Mio. Jahresumsatz nicht doch ein bisschen mulmig wäre, frage ich ihn. Egger lenkt ein und betont, dass das Projekt ja noch nicht vollständig bewilligt ist. Als nächstes gibt es eine Umweltverträglichkeitsprüfung, die zwei Jahre dauern wird. Die Realisierung hängt stark von den Rücklagen und den Entwicklungen der nächsten Jahre ab, 75 Arbeitsplätze werde man damit schaffen. Angesprochen auf den unwilligen Grundverkäufer meint Egger, er respektiert, wenn ein Grundbesitzer keine Piste will, wenn das so ist, wird es diese Piste auf seinem Grundstück nicht geben.
David gegen Goliath also. Heidi Reiter, die Grünenabgeordnete, hofft, dass die Familie Lackner hart bleibt. Die Argumentationsstrategien der Befürworter solcher Erweiterungen seien stets gleich, es gebe keinen anderen Ausweg, man könne weder von Wanderern oder von einem Nationalpark leben, sondern nur vom hochtechnisierten Wintertourismus. Bereits jetzt sind die Tourismusbetriebe hoch verschuldet, den Rückgang der Gästezahlen aus Deutschland haben bislang die vielen Touristen aus dem Osten abgefangen. Aber auch hier ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch diese Touristen mehr und mehr ihre eigenen Skigebiete entdecken.

Was sagen die NGOs dazu?

Überraschenderweise findet man auf der Ebene der NGOs relativ wenig Reaktionen auf die sich immer schneller drehenden Investitionsspiralen. Die Schweizer Organisationen Pro Natura und Mountain Wilderness bekennen, das Thema etwas „verschlafen” zu haben. CIPRA, die internationale Alpenschutzkommission, hat zur Zeit noch keine offizielle Meinung.
Klare Worte finden Vertreter des Alpenvereins. Der deutsche Alpenverein warnte angesichts der Olympiapläne Münchens nachdrücklich vor einem Ausbau von Beschneiungsanlagen, „nachhaltiger Klimaschutz in den Alpen wären ein Widerspruch in sich” Peter Hasslacher, Leiter der Abteilung Raumplanung und Naturschutz des österreichischen Alpenvereins, nennt die Dinge beim Namen. „Es gibt eine gegenseitige Aufschaukelung [der Skigebiete], zuerst die Betten, dann die Pistenfläche und jetzt die künstliche Beschneiung.” All das hat nunmehr eine alpenweite Dimension erreicht. Vor 20 Jahren gab es punktuelle Beschneiung, mittlerweile gibt es Anträge für Beschneiung ab Oktober. Besonders die aus dem Boden sprießenden Speicherseen bringen potenziell den Wasserhaushalt der Alpen massiv durcheinander. Der Alpenverein will das zum Thema machen, so Hasslacher. Seit 2005 kann sich der Alpenverein an Umweltverträglichkeitsprüfungen beteiligen, im Fall von Piesendorf will man dieses Recht in Anspruch nehmen.
Vereinzelt brechen Orte aus der Spirale aus, wenn auch der Not gehorchend. Die Liftanlagen des Hausbergs der Kärntner Stadt Villach (am Dreiländereck von Österreich, Italien und Slowenien), der Dobratsch, leidet seit den 80er Jahren massiv an Schneemangel. Man zog die Reißleine und investierte statt in teure Beschneiungsanlagen, die möglicherweise das Trinkwasser der Stadt gefährdet hätten, in einen Naturpark. Die Liftanlagen wurden 2002 samt und sonders abgebaut, und nach einigen Anfangsschwierigkeiten wurde der Park 2008 mit dem Titel „Österreichs Naturpark des Jahres” ausgezeichnet.


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