SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2009, Seite 21

Antifaschismus im besten Sinn

Vor 70 Jahren wagte Georg Elser ein Attentat auf Adolf Hitler

von Jochen Gester

2009 wird ein Jahr prominenter Jubiläen sein. Die Bundesrepublik wird 60 und auch die Rückholung der ehemaligen DDR in die beste aller Welten wird auf der Feieragenda ganz oben stehen. Doch schon die Jährung des Jahres 1939, dem Beginn des von den Nazis entfesselten „totalen Krieges” wird die Frage aufwerfen, wie man es mit den politischen Leichen im Keller hält.
Um eine dieser Leichen soll es hier gehen. Die Rede ist von Georg Elser, der vor 70 Jahren auf den damals von den Eliten ins Amt beförderten und von der Mehrheit der Deutschen verehrten Nazi-Führer Adolf Hitler ein Attentat verübte. Nicht erst 1944, als sich die Kriegsniederlage abzeichnete, sondern schon vor Kriegsbeginn hatte Elser den Entschluss dazu gefasst. Wohl der wichtigste Grund für diese mutige Aktion war eine höchst realistische Vorstellung davon, was die NS-Herrschaft für die Zukunft bedeutete. In den Gestapo-Protokollen wird Elser mit den Worten zitiert: „Ich war bereits voriges Jahr [1938] um diese Zeit der Überzeugung, dass es bei dem Münchner Abkommen nicht bleibt, dass Deutschland sich andere Länder einverleiben wird und dass deshalb Krieg unvermeidlich ist ... Die von mir angestellten Betrachtungen zeitigten das Ergebnis, dass die Verhältnisse in Deutschland nur durch die Beseitigung der augenblicklichen Führung geändert werden können."
Elser hoffte, damit einer Regierung von politisch Verantwortlichen zum Durchbruch zu verhelfen, „die an das Ausland keine untragbaren Forderungen stellen, die kein fremdes Land einbeziehen wollen und die für eine Besserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft Sorge tragen werden”
Georg Elser hat den Anschlag allein und ohne direkte Einbeziehung anderer vorbereitet und durchgeführt. Er hat eine Bombe mit Zeitzünder in einem Pfeiler hinter der Rednertribüne des Bürgerbräukellers in München deponiert. Den Ort hat er gewählt, weil Hitler mit seinen engsten Kampfgefährten hier am 8./9. November immer den Jahrestag seines Putsches von 1923 zelebrierte. Die Bombe detonierte nach Plan, doch sie verfehlte Hitler um 13 Minuten, weil dieser auf Grund der Witterungsverhältnisses vorzeitig seine Rede beendete, um statt in ein Flugzeug in einen Sonderzug zu steigen, was kurzfristig entschieden wurde und nur Nazi-Insider wussten.
Elser hatte das Attentat drei Monate lang vorbereitet und sich im Sommer 1939 eine kleine Werkstatt angemietet. Allein um den Pfeiler auszuhöhlen und hier die Sprengvorrichtung nicht sichtbar zu deponieren, hatte er dreißig Nächte in mühevoller Kleinarbeit verbracht, nachdem es ihm gelungen war, sich in einer Besenkammer des Gasthauses zu verstecken. Die für die Konstruktionen erforderlichen Fachkenntnisse erwarb er durch seine Berufserfahrung als Dreher, Schreiner und im Uhrenbau. Den Sprengstoff besorgte sich Elser durch Aufnahme einer Arbeit im Steinbruch. Den Umgang mit dem hochexplosiven Material erprobt er selbst. Da er armen Verhältnissen entstammte, war er gezwungen und motiviert, sich vielfältigste Fachkenntnisse ohne entsprechende Schulausbildung autodidaktisch anzueignen. Er tat dies mit großem Erfolg, und alle, die mit ihm zu tun hatten, bestätigten, dass er ein sehr talentierter Handwerker war.
Der im schwäbischen Königsbronn aufgewachsene Arbeiter war in hohem Maße fähig und gewohnt, selbständig und eigenverantwortlich zu arbeiten. Und er entwickelte eigene Wertvorstellungen, die getragen waren von der Haltung, dass der Einzelne für das, was um ihn geschieht, Verantwortung trägt, die sich auch durch praktisches Tun erweisen muss. Seine Sozialisation war von vielfältigen Einflüssen geprägt. Er hatte religiöse Überzeugungen. Gleichzeitig war er mit Jungkommunisten befreundet und später Mitglied des Rotfrontkämpferbundes. Doch ein starkes Freiheitsbedürfnis hinderte ihn daran, ein Parteisoldat zu werden. Er engagierte sich bei den Abstinenzlern, in einem Wanderverein, und er war musisch interessiert. Die Nazis waren ihm von Anbeginn zuwider. Bei Hitlerreden verließ er die Gaststätte, verweigerte den Hitlergruß. Auch boykottierte er die „Wahlen” während des Dritten Reiches.
Georg Elser wurde beim Grenzübertritt in die Schweiz verhaftet und kurz vor Kriegsende als „Sonderhäftling des Führers” durch den SS-Oberscharführer Heinrich Bongartz per Genickschuss getötet.
Unter den damaligen politischen Verhältnisse, die durch hierarchische Massenorganisationen geprägt waren, schien es für die meisten unvorstellbar, dass jemand aus eigenem Entschluss solch eine Aktion durchführen konnte. Die Nazis glaubten an eine gesteuerte Aktion des englischen Geheimdienstes oder ein Komplott ihres innerparteilichen Dissidenten Gregor Strasser. Mehr als ein Jahr lang wurde nicht nur Elser immer wieder stundenlang von der Gestapo verhört. Die ganze Familie und Teile der Königsbronner Bevölkerung gerieten bei der Suche nach Hintermännern in die Mühlen der Nazi-Dienste.
Doch auch im Lager des Widerstands wurde Elser Opfer von falschen Verdächtigungen und der Verleumdung, in Wirklichkeit ein Werkzeug der SS zu sein. Martin Niemöller hielt bis weit in die Nachkriegszeit an diesem Elser-Bild fest, und auch die SZ erklärte noch 1946, Elser habe eine führende Stellung in der SA gehabt. Auch die sowjetische Botschaft drückte damals ihre „Entrüstung über den ruchlosen Anschlag” und ihre „Freude über die glückliche Errettung Adolf Hitlers” aus.
Zum völligen Zusammenbruch all dieser Selbstentlastungszeugnisse kam es erst mit der Entdeckung des 203- seitigen Vernehmungsprotokolls der Gestapo 1964. Bis zur Rehabilitation und öffentlichen Ehrung vergingen jedoch noch Jahrzehnte.


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