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Die besten Krimis schreibt das Leben. Vier Jahre nach dem Tod von Stieg Larsson (2004),
dessen Krimis posthum die Bestsellerlisten stürmen, berichtete das schwedische Fernsehen
über ein bislang unbekanntes Testament aus dem Jahre 1977. In ihm vererbt Stieg Larsson
all sein „Vermögen in reinem Geld” der Ortsgruppe Umeå der schwedischen
Sektion der IV. Internationale.
Das Testament wirft ein Schlaglicht auf weithin unbekannte
Facetten des so vielfältigen und intensiven Lebens von Stieg Larsson. In den wilden 70er
Jahren war er Mitglied der schwedischen Sektion der IV.Internationale, die damals noch
Kommunistiska Arbetarförbundet (KAF — Kommunistischer Arbeiterbund) hieß. Man
demonstrierte gegen den Vietnamkrieg und Atomkraft, gründete Ökologiegruppen
(darunter die Freunde der Erde, in Deutschland vertreten durch den BUND) und organisierte
Krankenschwestern gewerkschaftlich.
Nach seinem Wehrdienst, bei
dem er zum Präzisionsschützen ausgebildet worden war, ging er 1977 nach Eritrea, wo
er bei der Ausbildung der Guerilla helfen wollte. Unmittelbar vor seiner Abreise verfasste er
ein Testament zugunsten seiner KAF-Ortsgruppe in Umeå, das später in Vergessenheit
geriet.
Nach seiner Rückkehr
ließ er sich in Stockholm nieder, arbeitete zunächst bei der Post und versuchte sich
nebenbei als freier Journalist und Schriftsteller. 1979 nahm er eine Stelle bei der
Nachrichtenagentur Tidningarnas Telegrambyrå an, wo er für Grafiken zuständig war,
aber auch Features schrieb und sich um die Nutzung des Internets bemühte.
Politisch konzentrierte er
sich auf antirassistische und antifaschistische Arbeit und wurde zum anerkannten Experten
für Rechtsextremismus in Schweden. Seit 1982 schrieb er Artikel für die
antifaschistische britische Zeitschrift Searchlight. Mitte der 80er Jahre war er aktiv beim
Aufbau von Stoppa Rasismen. Ende der 80er Jahre trat er aus der Sektion aus, die sich 1982 in
Socialistiska Partiet (SP) umbenannt hatte. Entgegen anderslautenden Gerüchten war er
übrigens (leider) nie Redakteur oder gar Herausgeber ihrer Theoriezeitschrift.
Er blieb der IV.Internationale
trotz inhaltlicher Differenzen, vor allem in der Bewertung der osteuropäischen
Gesellschaften, freundschaftlich verbunden und war häufiger Autor der Wochenzeitung ihrer
schwedischen Sektion, Internationalen. 1990 konnte er für den Sammelband über den
Aufschwung des Rechtsextremismus in Europa Sie sind wieder da (Neuer ISP Verlag) gewonnen
werden — es war praktisch seine erste Buchveröffentlichung. Zusammen mit Anne-Lena
Lodenius verfasste er anschließend das Buch Extremhögern (1991, 1994) und gemeinsam
mit Mikael Ekman Sverigedemokraterna — den nationella rörelsen (2001), jeweils
Bestandsaufnahmen der extremen und populistischen Rechten in Schweden.
Nachdem Neonazis sieben
Menschen umgebracht hatten, gründete er 1995 die antirassistische Stiftung Expo. Seit
1999 war er hauptamtlicher Redakteur der gleichnamigen Zeitschrift.
Neben seiner Arbeit bei Expo begann er 2001 abends „zur Entspannung” Krimis zu
schreiben: „Ich kam auf die Idee mit Pippi Langstrumpf. Was wäre aus ihr geworden?
Wie wäre sie heute als Erwachsene? Wie würde man sie nennen? Soziopath? Lieschen
Dampf in allen Gassen? Sie sieht die Gesellschaft anders als andere. Ich schuf sie als Lisbeth
Salander, 25 Jahre alt, von enormer Extrovertiertheit. Sie nimmt niemanden wahr, hat keinerlei
soziale Kompetenz. So brauchte man ein Gegengewicht zu ihr. Das wurde Mikael Kalle
Blomkvist, ein 45-jähriger Journalist. Ein Bruder Tüchtig, der bei einer eigenen
Zeitung mit Namen Millennium arbeitet. Die Handlung kreist um die Zeitungsredaktion, aber auch
um Lisbeth Salander, die wenig von ihrem eigenen Leben hat."
Stieg erlebte den großen
Erfolg seiner Bücher nicht mehr. Nach der Rückkehr von der Mittagspause erlitt er im
Büro von Expo einen Herzinfarkt und starb am 9.November 2004 im Alter von nur 50 Jahren.
Alle drei Bücher der Millennium-Reihe, die er vor seinem Tod noch fertiggestellt hat,
erhielten posthum hohe Auszeichnungen, darunter zweimal den skandinavischen Krimipreis
Glasnyckeln, und erlebten hohe Auflagen — weltweit 6 Millionen. Die Rechte wurden in
dreißig Länder verkauft; eine Verfilmung ist in Arbeit. Davon müssten dem Autor
schätzungsweise 100 Millionen Kronen (etwa 10 Millionen Euro) zufallen.
Mit seiner
Lebensgefährtin Eva Gabrielsson, die er mit 18 Jahren im Vietnamkomitee von Umeå
kennengelernt hatte, lebte er seit dreißig Jahren zusammen, war aber aus
Sicherheitsgründen nicht mit ihr verheiratet, da er wegen seiner Arbeit häufig von
Nazis bedroht wurde und zeitweise im Untergrund lebte.
Da es auch kein Testament gab,
fiel Stiegs gesamtes Vermögen an seinen Vater und seinen Bruder, mit denen er zu
Lebzeiten kaum Kontakt hatte. Eva durfte gerade das behalten, was sich in der Wohnung befand.
Ihr drohte die Familie sogar mit Rauswurf, wenn sie nicht den Laptop mit dem begonnenen
Manuskript des vierten Bandes herausrücke. Sie erwiderte, man könne die Serie nicht
fortsetzen, ebenso wenig wie man einen angefangenen Picasso zu Ende malen könne. Sie
wolle kein Geld, aber die Verwertungsrechte an den Büchern, an deren Entstehung sie durch
viele Gespräche entscheidend beteiligt war. Bei den Sachbüchern gibt es inzwischen
ernste Schwierigkeiten, weil Aktualisierungen nur noch mit Zustimmung der Familie möglich
sind.
Bei der Durchsicht von Stiegs
Hinterlassenschaften stieß Eva dann auf das 1977 von Stieg verfasste Testament:
„Ich bin ja kaum ein reicher Mann, aber mein Vermögen in reinem Geld (und in dem
Punkt bin ich sehr bestimmt) soll der Umeå-Ortsgruppe des Kommunistischen Arbeiterbunds
zufallen.” Sie ließ es unbeachtet, weil es nach schwedischem Recht ohne notarielle
Beglaubigung unwirksam ist.
Das schwedische TV-
Nachrichtenmagazin Uppdrag granskning bekam von der Sache Wind und machte es als große
Sensation auf, die gehörig durch den schwedischen und teilweise sogar internationalen
Blätterwald wirbelte. Die Familie kam unter Druck, wurde auf der Straße beschimpft
und deutete schließlich an, Stiegs Willen vielleicht doch freiwillig folgen zu wollen
— womit sie meinte, wie sie später präzisierte, dass sie Eva auch das Wenige,
was sie bekommen hatte, noch nehmen und es „den Kommunisten” geben wollte.
Die Ortsgruppe Umeå der
schwedischen Sektion, die heute Socialistiska Partiet (SP) heißt, erklärte dazu:
"Unsere Partei beteiligt
sich an keinem Erbstreit und feilscht nicht um Geld. Wir haben keine Beziehung zu
irgendjemandem persönlich und wollen niemandem schaden. Wir halten an unseren Idealen der
Gerechtigkeit und Gleichbehandlung fest, die auch Stieg Larssons Ideale waren. Wir meinen,
dass Stiegs lebenslange Beziehung mit Eva Gabrielsson respektiert werden sollte. Die
unzeitgemäße schwedische Gesetzgebung, welche die Ehe über andere
Paarbeziehungen — seien sie gleich- oder gemischtgeschlechtlich — stellt, muss von
Grund auf reformiert werden. Menschen sollen nach eigener Entscheidung zusammenleben
können, ohne Unsicherheit und Rechtlosigkeit zu riskieren. Wir bewahren Stiegs Erinnerung
am besten, indem wir den Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus fortsetzen, für eine
Gesellschaft, die gleichen Wert und gleiche Rechte aller Menschen respektiert."
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