SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 02

Krise

Französisch lernen

von Angela Klein

Mit den deutsch-französischen Beziehungen steht es mal wieder nicht zum Besten. Merkel und Sarkozy konnten sich vor der NATO-Sicherheitskonferenz zwar darauf einigen, dass sie mehr militärischen Spielraum für die EU wollen. Eine europäische Antwort auf die Krise aber, wie sie Frankreich und auch Teile der EU- Kommission fordern, lehnt die Kanzlerin rundheraus ab. Deutschland sieht in den meisten Mitgliedstaaten der EU einen Hinterhof für die eigenen Großmachtpläne, keine gleichberechtigten Partner.
Länder wie Italien, Spanien, Griechenland und Osteuropa werden in schwere Wasser kommen; der Euro und die Stabilitätskriterien von Maastricht werden durch die enorme Zunahme der Staatsverschuldungen und den anhaltenden Inflationsdruck massiv unter Druck kommen.
So oder so wird es erforderlich sein, eine europäische Antwort auf die Krise zu finden. Es ist nicht möglich, dass jeder Mitgliedstaat für sich teure Konjunkturprogramme auflegt, und gleichzeitig im EU-Raum weiterhin der ungehinderte Wettbewerb regiert. In der EU gibt es eine gemeinsame Währung, aber keine gemeinsame Wirtschaftspolitik. Es besteht ein dringender Bedarf, die Konjunkturprogramme aufeinander abzustimmen, aber es gibt keine gemeinsame Steuerpolitik.
Es besteht Bedarf, die sozialen Standards in Europa zu verteidigen und nach oben anzugleichen, aber Urteile wie die des EuGH zu Viking/Laval machen Europa wieder zu einem Raum des sozialen Kriegs durch Lohndumping und Aufhetzung der Arbeitenden untereinander.
Die neue Welle der Staatsinterventionen widerspricht der wirtschaftsliberalen Struktur der Europäischen Union und stellt deren Struktur in Frage. Es ist deshalb mehr als nur ein isolierter politischer Tatbestand, dass die Zukunft des Lissabon-Vertrags unsicher scheint. Ihm fehlt noch die Zustimmung aus vier Ländern: Irland, Deutschland, Tschechien und Polen. Mindestens die erstens drei sind Wackelkandidaten.

Welche Strategie gegen Entlassungen?

Wenn schon die Herrschenden die Krise nicht mehr allein im nationalen Rahmen lösen können, so können das die abhängig Beschäftigten und die sozialen Bewegungen noch viel weniger. An allen Ecken des Kontinents sind Brandherde entstanden, die nicht unter Kontrolle sind: Fast schon europaweite Ausmaße hat die Revolte der Jugendlichen gegen das Bildungssystem, gegen ihre prekären sozialen Aussichten und ihre Entrechtung angenommen — im Juni steht auch in Deutschland ein bundesweiter Bildungsstreik ins Haus. In Island, Lettland und einigen osteuropäischen Staaten fordert eine aufgebrachte Menge politische Konsequenzen auf Regierungsebene. In unserm Nachbarland Frankreich sind die Gewerkschaften nicht besser als bei uns, aber sie haben es geschafft, Ende Januar 2 Millionen Menschen gegen Sarkozy auf die Beine zu bringen — und es wird bei einem einmaligen Dampfablassen nicht bleiben. Für den 19.März, also zehn Tage vor unseren Demonstrationen, ist ein neuer Aktionstag geplant — wiederum unter Beteiligung aller Gewerkschaften. Wie schon beim ersten Mal werden es sich die Demonstrierenden und Streikenden nicht nehmen lassen, Sarkozy mit seinen eigenen Worten auf die Schippe zu nehmen: „Von heute an wird niemand merken, wenn es einen Streik in Frankreich gibt — hier ist der Beweis!"
Da ist Dampf im Kessel, da wird nicht gekleckert, sondern geklotzt: „300 Euro Lohnanhebung für alle — jetzt!”, lautet eine zentrale Parole. Eine andere: „1600 Euro Mindestlohn! Verbot von Entlassungen!"
Da wird mächtig einheizt. Auf Initiative der gerade gegründeten Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) haben die NPA, die PCF und die neu gegründete Linkspartei (PG) von Jean-Luc Mélenchon zum 29.1. einen gemeinsamen Aufruf erstellt. Die NPA wollte ursprünglich einen starken Block schmieden, der eine Strategie gegen Entlassungen entwirft. Unter der Parole „Entlassungen verbieten” sollten die Beschäftigten aus den Betrieben, in denen es Kurzarbeit gibt und Entlassungen drohen, eine Koordination bilden, die eine nationale Demonstration gegen Entlassungen vorbereitet.
PCF und PG haben dieses Vorhaben soweit verwässert, dass in dem gemeinsamen Aufruf, auf den man sich am Ende einigen konnte, im Wesentlichen übrig blieb: „Eine andere Politik muss die Profite der Reichen und die Finanzspekulation angreifen."
Die Auseinandersetzung kommt uns bekannt vor; sie hat sich in Deutschland um den Aufruf zum 28.3. ähnlich abgespielt (siehe Aktionszeitung im Innenteil). Nur dass es bei uns noch gar keinen Boden gibt für eine Forderung wie die nach dem Verbot von Entlassungen, zu der auch die Vergesellschaftung der Banken und Versicherungen gehört. Es gibt dazu schlicht keinen Diskussionsprozess; der muss erst angeschoben werden.
Es gibt auch in Deutschland Bemühungen um einen antikapitalistischen Block zum 28.3.; dafür steht in vielen Fällen die Interventionistische Linke, die jedoch weit davon entfernt ist, ihre antikapitalistische Haltung in konkrete Schritte der sozialen Mobilisierung umsetzen zu können.
Die Aktionszeitung im Innenteil dieser SoZ versucht, aus dieser Lage das Beste zu machen und stellt die Agenda „30 — 10 — 500” in den Vordergrund — das ist das, was die Sozialproteste bisher in Antwort auf die Hartzgesetze erarbeitet haben. Die Antwort ist heute unzureichend; aber sie ist konkret und kann ein Fundament sein für weitergehende Schritte. Denn eins ist klar: Nach den Bundestagswahlen kommt die Welle von Massenentlassungen erst richtig ins Rollen. Bis dahin müssen wir ein Konzept haben.


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