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Nach Bayern plant nun auch Baden-Württemberg ein eigenes
Versammlungsgesetz, und es ist der politischen Großwetterlage geschuldet, dass ein
solches nur auf einen massiven Abbau des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit hinauslaufen
kann.
BKA-Gesetz, biometrischer
Reisepass, Luftsicherheitsgesetz, verschärfte Polizeigesetze, Debatten über eine
Aufweichung des Folterverbots und den Einsatz der Bundeswehr im Inneren — längst
ist der Umbau des bürgerlichen Rechtsstaats in einen Obrigkeitsstaat in vollem Gange.
Dieser ist jedoch keinesfalls auf den politischen Bereich beschränkt, vielmehr ging der
Aushöhlung bürgerlicher Freiheiten ein rabiaterer und diskriminierender Umgang des
Staates mit sozial Schwachen sowie die fortschreitende Entrechtung der abhängig
Beschäftigten voraus. Der Staat soll der Wirtschaft billige Arbeitskräfte
bereitstellen und gleichzeitig die damit unvermeidlich verbundenen verstärkten sozialen
Verwerfungen durch polizeiliche Repression in Schach halten. Hartz-IV-Gesetze und die De-
facto-Abschaffung des Asylrechts und die neuen Versammlungsgesetze sind zwei Seiten einer
Medaille.
Der Staat sieht sich in der
Aufgabe, den gläsernen Bürger zu verwalten und durch unmittelbaren Zwang in den
Produktionsprozess zu drängen bzw. Revolten zu vermeiden. Er erhält als reines
Vollzugsinstrument der Wirtschaft eine neue Qualität. Seine veränderte Rolle
resultiert aus dem Wandel der Nachfrage- zur Angebotsökonomie. Es ist nicht mehr
entscheidend, wie umfangreich die Bürger eines Staates konsumieren können, sondern
wo sich am billigsten und ungestörtesten produzieren lässt. Was Lidl vermittels
Überwachungskameras im eigenen Konzern veranstaltet, übernimmt im Fall von
Arbeitslosigkeit die Arge. Vom mündigen Bürger fehlt in diesem Konzept jede Spur.
Dabei tragen bereits die
aktuellen Verhältnisse nicht eben zur Emanzipation der Bevölkerung bei. Ein Mensch,
über den verfügt wird, wird sich kaum als Gestalter seiner Gesellschaft erleben.
Wachsende soziale Ängste sowie Vereinzelungstendenzen, die durch Ausgrenzung und den
Verfall tradierter Arbeitsverhältnisse hervorgerufen sind, haben in vielen Menschen ein
Bedürfnis nach mehr Sicherheit geweckt, an das die forcierten gesetzlichen
Verschärfungen anknüpfen können. Gerade in den Ländern, in denen der
wenigste Widerstand zu erwarten war, wurden die neuen Versammlungsgesetze folglich als erste
eingeführt. Die Bestimmungen beider Gesetze ähneln sich weitgehend. Sowohl in Bayern
als auch in Baden-Württemberg kann die Versammlungsbehörde demnächst einen
Versammlungsleiter oder Ordner ablehnen, wenn dieser „nicht zuverlässig”
erscheint, also Vorstrafen in relevanten Bereichen aufweist. Die persönlichen Daten der
OrdnerInnen sind der Polizei im Voraus mitzuteilen, die Anmeldefrist wird auf 72 Stunden vor
Beginn der Mobilisierung heraufgesetzt.
Wie das Bayrische
Versammlungsgesetz auch, verbietet das Baden-Württembergische Gesetz
„Militanz”, worunter neben dem Tragen einheitlicher Kleidung auch
„militantes Auftreten” verstanden wird — darunter fällt beispielsweise,
dass von einer Demonstration eine „einschüchternde Wirkung” ausgeht. Der
Paragraf ist so schwammig, dass er der Polizei weitreichende Befugnisse verleiht, gewaltsam
einzuschreiten. Versammlungen in geschlossenen Räumen sind künftig
anzeigenpflichtig. Die Polizei kann Teilnehmende, von denen eine Gefahr ausgehen könnte,
die zur Auflösung der Versammlung führen würde, kontrollieren und ihre
Identität feststellen. Zur Abwehr einer Gefahr kann sie im Vorfeld andere Beteiligte
befragen. Kontrolle durch den Staat rangiert nunmehr vor dem Recht auf ungestörtes
Wahrnehmen der Versammlungsfreiheit.
Die Einschränkung des
Versammlungsrechts in Bayern und Baden-Württemberg ist ebenso eine Niederlage im
Klassenkampf wie die Hartz-Gesetze, Lohndumping oder die Auslandseinsätze von Bundeswehr
und Bundespolizei, die in Afghanistan ohne Einschränkungen durch hinderliche Grundrechte
die Aufstandsbekämpfung üben. Dieses demokratische Recht muss verteidigt werden!
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