SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 04

Deutsche Milch für Afrika und Indien

Die Exportoffensive und ihre Türöffner

von Armin Paasch

Die Agrarminister aus rund dreißig Ländern haben auf einem Treffen während der Grünen Woche am 17.Januar in Berlin beschlossen, die Exportsubventionen in der Landwirtschaft abzuschaffen. Eigentlich eine gute Nachricht. Zu dumm nur, dass EU-Agrarkommissarin Marianne Fischer-Boel just am Vortag die Wiedereinführung solcher Subventionen für Milchprodukte angekündigt hatte. Dies ist nur Spitze des Eisbergs. Auch sonst stehen in der europäischen und deutschen Landwirtschaftspolitik alle Zeichen auf Export.
Ausfuhren nach Afrika und in andere Entwicklungsländer sollten ausdrücklich nicht subventioniert werden, hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner während der Grünen Woche noch die Gemüter beruhigt. Wie sich jetzt herausstellt, war hier offenbar der Wunsch Vater des Gedankens. Auf der Ausnahmenliste der Kommission stehen zwar die USA, Australien und Neuseeland; die ärmsten Entwicklungsländer hingegen sucht man vergebens. Laut Ministerin Aigner hatte die Kommission zugesichert, die Entwicklungsländer zu verschonen. Die Kommission bestreitet das.
Die Wiedereinführung der Exporterstattungen kam nicht überraschend. Schon seit Monaten hatten der Raiffeisenverband, der Milchindustrie-Verband (MIV) und der Deutsche Bauernverband (DBV) darauf gepocht, weil die Weltmarktpreise seit Mitte 2008 eingebrochen waren. Daran war die EU jedoch nicht ganz unschuldig: Trotz stagnierender Binnennachfrage hatte sie im Frühjahr 2008 die Milchquote um zwei Prozent erhöht und im November im Rahmen des „Gesundheitschecks” eine weitere jährliche Erhöhung um je ein Prozent beschlossen.
Damit hat die EU die Abwärtsspirale der Milchpreise in der EU und auf dem Weltmarkt angeheizt und zugleich die Notwendigkeit geschaffen, die überschüssige Milch zu exportieren. Heute stellt die EU Ausfuhrerstattungen als ein unvermeidliches Übel zur Rettung der europäischen Milchbauern dar. Doch sie selbst hat die Bauern in die miserable Lage manövriert, die jetzt Rettungsmaßnahmen erfordert.
Unverdaulich ist dieser politische Milkshake aus Überschussproduktion, Schleuderpreisen und Exportsubventionen nicht nur für die Bauern im Süden, sondern auch in Europa. „Die damit verbundene Weltmarktorientierung bedeutet Erzeugerpreise, zu denen kein europäischer Milchbauer nachhaltig Milch erzeugen kann”, sagt Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverbandes deutscher Milchviehhalter (BDM).
Bedroht ist das Recht auf Nahrung umso mehr, weil die EU viele Entwicklungsländer zur gleichen Zeit zu einer radikalen Marktöffnung drängt. Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit Ländern wie Uganda, Ghana und Zambia waren nur der Auftakt. Neben Mittelamerika und Südostasien hat die EU nicht zuletzt Indien im Visier, wo weltweit die meisten Hungernden leben. Auf 90% seiner Importe aus Europa soll Indien die Zölle ganz abschaffen; die restlichen Zölle sollen auf dem derzeitigen Niveau gedeckelt werden. Für Indiens Milch- und Geflügelbauern ist dies ein Damoklesschwert. Bisher ist Indien nach der EU der zweitgrößte Milchproduzent weltweit.
Auch die Bundesregierung sieht die Zukunft der deutschen Landwirtschaft vor allem im Exportgeschäft. So lancierte das Landwirtschaftsministerium Ende letzten Jahres ein ambitioniertes Aktionsprogramm zur Exportförderung insbesondere für Milchprodukte, Schweine- und Hühnerfleisch. Zu den Zukunftsmärkten für Milchprodukte zählt sie neben Russland und China ausdrücklich auch Indien und Afrika. Laut Ministerin Ilse Aigner will die Bundesregierung damit im Ausland als „Türöffner” für die deutsche Agrarwirtschaft auftreten. Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) begrüßte das Programm. In einer Pressemitteilung beschwor sie den „Schulterschluss von Wirtschaft, Politik und Absatzförderung” zur „Eroberung neuer internationaler Märkte”
Kein Zweifel: Wie wenige andere Länder setzt sich Deutschland international für die Anerkennung und Verwirklichung des Menschenrechts auf Nahrung ein. Noch glaubwürdiger wäre sie dabei allerdings, wenn sie die eigene und die europäische Landwirtschafts- und Handelspolitik am Recht auf Nahrung ausrichten würde. Der „Gesundheitscheck” der europäischen Agrarpolitik hat die Probleme eher verschärft. Ein Menschenrechtscheck tut Not, damit die für 2013 angekündigte Reform ihren Namen verdient.

Der Autor ist Welthandelsreferent von FIAN Deutschland.


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