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Ende Januar brachen in der Ölraffinerie Lindsey des
französischen Konzerns Total in Lincolnshires Streiks aus, ihnen folgten
Solidaritätsstreiks in ganz England.
Was war der Auslöser? Die
sizilianische Firma IREM erhielt von Total den Zuschlag für den Bau einer neuen
Entschwefelungsanlage. Dafür wollte IREM 400 ihrer eigenen italienischen und
portugiesischen Arbeiter mitbringen. Während der Streiks waren 100 von ihnen bereits vor
Ort, untergebracht in einem Boot.
Nach Angaben von IREM und
Total werden diese Arbeiter zu denselben Konditionen wie ihre britischen Kollegen
beschäftigt, zudem würden keine Briten entlassen, weil es sich um neue
Arbeitsstellen handele. Rechtlich bewegen sich die Italiener im grünen Bereich. Nach EU-
Recht können sie ihre eigene Belegschaft für zeitlich begrenzte Projekte in ein
anderes EU-Land mitbringen. Die Bedingung: Der Vertrag muss zeitlich begrenzt sein und der
Arbeitgeber muss örtliche Regeln wie das Mindestgehalt befolgen — was, wohl
zurecht, nicht nur von den Streikenden bezweifelt wird, nicht zuletzt aufgrund der
entstehenden Zusatzkosten.
Am Tag nach dem Streik folgten
in ganz Großbritannien Solidaritätsstreiks. Der Streik in Lincolnshire endete Anfang
Februar, als IREM versprach, von den noch zu schaffenden Arbeitsstellen 102 an Briten zu
vergeben.
Die Geister die ich rief... Die Parole, bei den Streiks zu sehen war, war zuerst von Gordon
Brown geprägt worden — in seiner ersten Rede als Premierminister auf einem Labour-
Parteitag im September 2007. Sie war der Anlass, dass die Socialist Workers Party (SWP) den
Arbeitern ihre Unterstützung verwehrte, während die Socialist Party (SP) trotzdem
hinter ihnen stand. Die Parole war auch der Grund, warum die extreme Rechte, allen voran die
BNP, den Streik für sich ausschlachten wollte. Sie schickte Unterstützer und
eröffnete eine eigene Internetseite. Die Streikenden wehrten sich, sie würden gegen
ausländische Firmen kämpfen, nicht gegen ausländische Arbeitnehmer, und
für das Recht, nahe ihrem Heimatort arbeiten zu können.
Eklatant kam in der
Berichterstattung zutage, wie sehr Großbritannien noch eine Klassengesellschaft ist. Die
BBC musste sich entschuldigen, ein Arbeiter war verkürzt zitiert und so in die
rassistische Ecke gedrängt worden. In einer BBC-TV-Debatte fragte der Moderator den
Vertreter der Gewerkschaft Unite, Kenny Ward, ob denn Arbeiter von der Isle of Wight
willkommener wären als Italiener; das verneinte Ward. „Ihre Xenophobie ist also
ganz extrem, eine die sich gegen alle richtet, die von außerhalb kommen?”, hakte
der Moderator nach. „Absolut nicht. Es geht überhaupt nicht um
Fremdenfeindlichkeit, es geht um das Recht, einer Arbeit nachzugehen, die nahe am Wohnort
ist."
Die umstrittene Parole
„British Jobs for British Workers” wurde dann geändert in „Fair Access
for Local Labour”, fairer Zugang zu Arbeit vor Ort, was den eigentlichen Streit/k-Punkt
traf.
Im aktuellen Streik ging es um
eine relativ begrenzte Gruppe, spezialisierte Arbeiter nämlich, die von der jeweiligen
Firma/Subunternehmen mitgenommen werden. Nach Angaben des Labour-Ageordneten Pat McFadden gibt
es derzeit 47000 britische Entsendearbeiter in der EU, während nur 15000 davon in
Großbritannien arbeiten.
Ein Beispiel: Die beanstandete
sizilianische Firma IREM, die ihre Arbeiter nach Lincolnshire mitbrachte, beschäftigt auf
einer Baustelle in Italien rund 100 Engländer. Laut Guardian ist diese Zusammenarbeit
harmonisch, die derzeitigen „Troubles” werden einfach nicht erwähnt. Basis
der Harmonie: die gemeinsame Sprache sei Englisch, die Küche jedoch strikt italienisch.
Naturgemäß kochten die Gemüter in Italien hoch. Gianni Rinaldini von der
Gewerkschaft FIOM sprach sich für eine globale Gewerkschaft aus und bedauerte, dass ein
Arbeitskonflikt in einen Konflikt zwischen Arbeitern verwandelt wird.
Eigentlicher Hintergrund des Protests der britischen Arbeiter sind Urteile des
Europäischen Gerichtshofs, die eine Abwärtslohnspirale verstärken. Die EU-
Direktive von 1996 besagt, dass Arbeitern, die von Konzernen in andere EU-Länder
mitgenommen werden, das Äquivalent eines im Entsendeland üblichen Lohns gezahlt
werden soll. In zwei Fällen hat der EU-Gerichtshof die Richtlinie eklatant zugunsten der
Arbeitgeber novelliert: 2003 hisste das finnische Fährunternehmen Viking Line eine neue
Flagge, die estnische. Sie heuerte estnische Seeleute an und zahlte ihnen estnische
Löhne, womit sie 60% Arbeitskosten sparte. 2004 sandte eine lettische Firma, Laval, ihre
Arbeiter nach Schweden und zahlte sie nach lettischem Tarifvertrag. In beiden Fällen
wurde für zugunsten der Firmen und gegen die Arbeiter entschieden.
Das Motto „Fair Access
for Local Labour” führte am 11.Februar zum nächsten Streik, diesmal in
Staythorpe, gegen die französische Firma Alstom. Hier wurde ganz offensichtlich dem
gesetzlich vorgesehenen „resident labour market test” zuwidergehandelt. Dieser
Test besagt, dass lokal ansässige Arbeitsuchende die Chance haben müssen, sich zu
bewerben. Steve Syson von der Gewerkschaft „Unite” erklärte gegenüber
der BBC, dass obwohl sich tausend britische Arbeiter für Jobs bei Alstom beworben
hätten, keiner berücksichtigt worden sei. Der französische Energieriese Alstom
baut in Staythorpe, Nottinghamshire, für den deutschen Energieriesen RWE ein Gaskraftwerk
unter Zuhilfenahme spanischer Subunternehmer.
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