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Die Fraktion fordert den Parteivorstand auf zu prüfen, ob das linke
Grundsicherungskonzept den Namen „bedarfsdeckende soziale Mindestsicherung”
erhalten kann.
Als erster Schritt soll eine
Mindestsicherung auf besserem Niveau hergestellt werden: Der Eckregelsatz wird sofort auf 435
Euro für Alleinstehende erhöht.
Die Mindestsicherung umfasst
pauschalierte Regelleistungen, pauschalierte Mehrbedarfszuschläge sowie die Wohnkosten.
Zur Bemessung des Bedarfs wird eine Kommission eingerichtet, in der auch die Interessen
Betroffener angemessen vertreten sind. Die Bedarfsbemessungskommission passt den Eckregelsatz
jährlich der Preisentwicklung an.
Außerdem umfasst die
Mindestsicherung die Übernahme notwendiger Sozialversicherungsbeiträge, wobei die
Rentenbeiträge deutlich erhöht werden müssen.
Es gibt eine
eigenständige Mindestsicherung für Kinder und Jugendliche. Die Mindestsicherung
orientiert sich am Individualprinzip.
Die Bedarfsprüfung ist
unerlässlich, wird aber auf ein die Würde der Leistungsberechtigten achtendes
Maß zurückgeführt.
Als zweiter Schritt soll
für Langzeitarbeitslose eine steuerfinanzierte Absicherung geschaffen werden, in die
— im Sinne der originären Arbeitslosenhilfe — auch Erwerbslose ohne vorherige
Ansprüche aus Arbeitslosengeld einbezogen werden sollen. Eine solche „neue
Arbeitslosenhilfe” ist unerlässlich, um den Absturz nach 12 bzw. 18 Monaten
Erwerbslosigkeit an den untersten Rand zu verhindern. Leistungsberechtigte, die erwerbslos
sind oder zu geringen Einkommen erzielen, haben Zugang zu allen Angeboten der
Arbeitsförderung nach SGB III und sind grundsätzlich verpflichtet, sich um
Existenzsicherung durch eine entsprechende Erwerbstätigkeit zu bemühen. Es gelten
die Zumutbarkeitsbestimmungen des SGB III, die grundsätzlich zu reformieren sind
(existenzsicherndes Einkommen, Qualifikationsschutz u.a.).
Am Vorrang der
Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit wird festgehalten. Es liegt in der Verantwortung des
Staates, Rahmenbedingungen für ausreichend existenzsichernde Arbeitsplätze zu
schaffen. Es liegt in der Verantwortung des Einzelnen, zumutbare Arbeit zur
menschenwürdigen Gestaltung seines Lebens zu nutzen. 27.1.2009
Das Konzept der Linksfraktion zur „Überwindung von Hartz IV durch eine
bedarfsorientierte soziale Mindestsicherung” ist in weiten Teilen der
Erwerbslosenbewegung mit Erbitterung aufgenommen worden.
Die Kritik entzündet sich
dabei zunächst an der Höhe der vorgesehenen Leistungen. Mit 435 Euro Regelsatz
bleiben Erwerbslose weiter arm, auch wenn die Linksfraktion Sonderbedarfe, wie sie die
Sozialhilfe kannte, wieder einführen möchte. Von einer menschenwürdigen
materiellen Ausstattung, die auch Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht,
kann bei 14,50 Euro am Tag (bei 30 Tagen im Monat) wirklich nicht die Rede sein. Nicht einmal
die minimale Forderung der Erwerbslosenbewegung nach einem Regelsatz von 500 Euro hat die
Linksfraktion aufgenommen. Folgerichtig fühlen sich Erwerbslose durch die Fraktion der
Partei, die mit dem Slogan „Hartz IV ist Armut per Gesetz — Hartz IV muss
weg!” wirbt, verhöhnt.
Der Wechsel von Würdelosigkeit zu Würde hängt im Falle von Hartz IV nur
sekundär von der Höhe des Regelsatzes ab, primär ist er mit der
Überwindung der Hartz-Logik verknüpft.
Seit der Weimarer Republik bis
zur Einführung der Hartz-Gesetze bestand ein dreigliedriges System von Sozialleistungen.
Im Gegensatz zur Sozialhilfe, bei der individuelle Bedürftigkeit den Anspruch
begründete, bestand auf Arbeitslosenhilfe ein Anspruch, dessen Höhe von geleisteten
Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abhing. Den fundamentalen Unterschied zwischen
Bedürftigkeit und Anspruch hebt die Hartz-IV-Gesetzgebung auf. Ansprüche auf die
Grundsicherung ALG II können allein bei nachgewiesener Bedürftigkeit geltend gemacht
werden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe verallgemeinert die kommunale
Armenfürsorge auf alle Personen, die in der Lage sind, täglich drei Stunden zu
arbeiten und keinen Versicherungsanspruch auf ALG I (mehr) haben.
Das ist die Logik von Hartz
IV; unabhängig davon, ob der Regelsatz 351 oder 435 Euro im Monat beträgt. Jetzt hat
es der Staat nur noch mit bedürftigen Individuen zu tun.
Wenn man ungeachtet dieses
grundsätzlichen Einwands trotzdem eine Grundsicherung favorisiert, gibt es nur eine
Alternative: den Rechtsanspruch aller Bewohnerinnen und Bewohner der BRD auf Grundsicherung in
Höhe der Armutsschwelle. Sie ist als Pfändungsgrenze offiziell definiert (monatlich
985 Euro).
Ich finde es auch richtig, 500 Euro Regelsatz einzufordern, um Druck zugunsten einer
deutlichen Erhöhung der Regelsätze aufzubauen.
Ich rate allerdings davon ab,
eine Regelsatzfestsetzung durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluss für einen Betrag
(500 Euro) anzustreben, der nicht aus einem anerkannten Bedarfsbemessungsverfahren hergeleitet
ist. Das würde andere Mehrheiten legitimieren, andere (niedrigere) Beträge zu
beschließen. Deshalb dreht sich m.E. eine Mindestsicherungsreform, die mit dem Anspruch
auftritt, Gesetz werden zu können, hinsichtlich des Leistungsniveaus nicht vorrangig um
Beträge, sondern um die Durchsetzung eines anderen anerkannten Bedarfsmessungsverfahrens,
aus dem sich ein armutsfestes Leistungsniveau ergibt. Ich halte es deshalb für
vernünftig, eine Sofortanhebung vorzuschlagen, die auch eine deutliche Verbesserung
bringt, aber als sachgerechte Umsetzung des bislang geltenden Bedarfsbemessungsverfahrens
auftreten kann.
Es gibt einige „sehr harte” Kriterien für die Festlegung des individuellen
Bedarfs. Ein Kriterium wird in der Erwerbslosenbewegung gern herangezogen, um zu zeigen, wie
unmenschlich die Sozialgesetzgebung seit der Wende mit den Erwerbslosen verfährt. Es ist
die Kalorienzahl; da geht es um das Überleben. Die Initiativen rechnen vor, dass ein
Regelsatz von 435 Euro nur die Zufuhr von 1500 Kalorien am Tag erlaubt; Minimum für
Erwachsene sind aber 2550. Wenn man sich diese Zahlvergegenwärtigt wird sofort klar,
warum 500 Euro Regelsatz tatsächlich ein physisches Minimum sind, das nicht
unterschritten werden kann, nicht etwa ein dehnbares moralisches Minimum.
Ein weiteres Kriterium hat bis
zur Einführung des Statistikmodells 1991 gegolten und wurde von der Bundesregierung (mit
erkennbaren Hintergedanken) für die Berechnung der Sozialhilfe abgeschafft. Das ist der
Warenkorb. Das ist ein ziemlich objektives Kriterium. Es wäre von Vorteil gewesen,
hätte sich die Fraktion darauf wieder besonnen. Statt dessen zielt sie auf eine nicht
weiter beschriebene „Bedarfsmessungskommission”, ohne sich darauf festzulegen, wer
da drin ist noch wie sie arbeiten soll. Schlimmer noch: Die Fraktion operiert mit
pauschalierten Leistungen. Deren Berechnung fällt aber grundsätzlich zum Nachteil
der Erwerbslosen aus, weil Maßstäbe herangezogen werden, deren Niveau ständig
sinkt: z.B. das Durchschnittseinkommen, das verfügbare Haushaltseinkommen usw.
Wenn man in diese Falle des
„downgradings” nicht tappen will, und die oben genannten „harten”
Kriterien als zu „unhandlich” zurückweist, gibt es nur einen Maßstab:
Das ist das Bruttoinlandsprodukt. Alle ökonomischen Größen werden in Prozent
vom Bruttoinlandsprodukt ausgedrückt, nur nicht die Ermittlung von Mindesteinkommen
(Sozialhilfe, Mindestlohn, Grundrente etc). Wenn man das akzeptiert, akzeptiert man, dass
Menschen, die aus welchem Grund auch immer nicht mehr im Erwerbsleben stehen, kein Anrecht
mehr haben, an der Gesellschaft und ihrem Reichtum zu partizipieren. Das ist das Gegenteil
eines Ansatzes, der ein Leben in Würde für alle will.
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