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Ab dem 1.Juli dieses Jahres wird die Bundesregierung den Regelsatz
für 6- bis 13-Jährige auf 70% des Eckregelsatzes (246 Euro) erhöhen; bisher wurden
nur 60% (211 Euro) gezahlt.
Bis zum Schluss hatten SPD und
CDU/CSU mit Zähnen und Klauen verteidigt, dass es richtig war, ab 2005 den Bedarf von
Schulkindern unter 14 Jahren auf den Bedarf von Säuglingen herunterzukürzen. Dann
schwenkten sie plötzlich um.
Der Reihe nach: Seit 2007 hat die
Kampagne „Reiches Land — Arme Kinder!” überall in der Bundesrepublik Aktionen
für kostenlosen Schulbedarf und freies Mittagessen für Schulkinder bedürftiger Eltern
veranstaltet; die Kampagne richtete sich an die Verantwortlichen in den Kommunen. Dass vom 1.Januar
2009 an Kinder aus Hartz-IV-Familien von der 1. bis zur 10.Klasse 100 Euro pro Schuljahr für
Schulbedarf bekommen, ist auch ein Zugeständnis, das sich diese Kampagne hartnäckig
erstritten hat.
Ein wichtiges Ziel der
Erwerbslosenbewegung besteht aber darüber hinaus seit der Einführung von Hartz IV darin,
die zu niedrigen Regelsätze selbst anzugreifen. Am 1.Mai 2008 lancierten deshalb fünf
Erwerbslosenorganisationen und -verbände die „Bündnisplattform gegen Kinderarmut
durch Hartz IV”, für die Rücknahme der „vorsätzlichen Kürzungen bei
Schulkindern”
Nicht einmal ein Dreivierteljahr
später hat nun das Bundessozialgericht am 27.Januar 2009 die Überprüfung der
Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze für Kinder unter 14 Jahren in Auftrag
gegeben; kurz vorher beschloss die Bundesregierung die erneute Anhebung dieses Regelsatzes von 60
auf 70%.
Die Aufhebung der Kürzung ist
ein klarer Erfolg der Kampagne, und es ist offenkundig, dass die Bundesregierung sich nicht dem
Vorwurf aussetzen wollte, auf Kosten der Kinder die Verfassung zu brechen. Der nächste Schritt
müsste nun die Wiederanhebung der Regelsätze für Jugendliche zwischen 14 und 17
Jahren; davon spricht die Regierung aber nicht.
Arbeitsminister Scholz (SPD) und
Familienministerin von der Leyen (CDU) erklärten im Februar dieses Jahres, vor 2010 werde es
bei den Regelsätzen keine Veränderungen mehr geben. Sie weigern sich also weiterhin
anzuerkennen, dass Jugendliche im Alter von 14—17 Jahren einen höheren Regelsatz brauchen
als erwachsene Haushaltsangehörige. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen wachsen sie noch und
brauchen deshalb wieder 90% statt nur 80% des Eckregelsatzes.
Die Deutsche Gesellschaft für
Ernährung, die hierzulande anerkannten Instanz für Ernährungsfragen, errechnet
für 14- bis 17-Jährige einen durchschnittlichen Kalorienbedarf von 2700 kcal am Tag,
für Erwachsene nur von 2200 kcal. Diese 500 kcal pro Tag Mehrbedarf an Energie gehen auf das
Konto des Wachstums und höheren Bewegungsbedürfnisses von Jugendlichen. Die
Bundesregierung streitet das ab, wenn sie verfügt, es gebe keinen Änderungsbedarf bei den
Regelsätzen.
Die niedrigen Sozialleistungen
werden offiziell mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit begründet. Mit höheren
Kinderregelsätzen „würde Kinderarmut zementiert, weil der Anreiz fehle, Arbeit
aufzunehmen”, erklärte Ministerin von der Leyen im Tagesspiegel vom 2.2.2009. Den
Wachstumsbedarf von Kindern wischt sie beiseite, ihn anzuerkennen fördere nur die Faulheit der
Eltern.
Während die Arbeitslosenzahlen
steigen, weil Banken sich verzockt und Konzerne Überkapazitäten aufgebaut haben,
lässt sich „Familien"ministerin von der Leyen im Verein im Verbund mit der FDP erneut
über die „Faulheit der Arbeitslosen” aus. Ihre Logik ist zutiefst inhuman, denn
darin werden die Kinder für etwas bestraft, was die Eltern angeblich verbrochen haben.
Das Bündnis gegen Kinderarmut
durch Hartz IV wird sich als nächstes deshalb auf den Regelsatz für Jugendliche
konzentrieren. Scholz, von der Leyen, Müntefering und Merkel sollen sich nicht länger
weigern können, das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen anzuerkennen: dass
Kinder die Eigenschaft haben zu wachsen, bis sie erwachsen sind.
Der Kampf für höhere
Regelsätze für Kinder und Jugendliche kann ein Beitrag dazu sein, dass der Bedarf von
Menschen endlich wieder an ihren realen Bedürfnissen, also dem Warenkorb, gemessen wird und
nicht daran, wie viel Lohn die Arbeitgeber zu zahlen bereit sind. Er ist ein Weg, um auch Druck
für einen deutlich höheren Eckregelsatz (Regelsatz für einen allein stehenden
Erwachsenen) zu machen. Denn dieser ist der Dreh- und Angelpunkt der Sozialleistungen — von
den Kinderregelsätzen bis zur Grundsicherung im Alter und zum Grundsteuerfreibetrag, dessen
Höhe für Menschen mit niedrigen Einkommen von großer Bedeutung ist.
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