SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 08

Regelsatzkürzung für Kinder zurückgenommen

Jetzt sind die Jugendlichen dran

Erfolgreiche Kampagne für höhere Regelsätze

von Edgar Schu

Ab dem 1.Juli dieses Jahres wird die Bundesregierung den Regelsatz für 6- bis 13-Jährige auf 70% des Eckregelsatzes (246 Euro) erhöhen; bisher wurden nur 60% (211 Euro) gezahlt.
Bis zum Schluss hatten SPD und CDU/CSU mit Zähnen und Klauen verteidigt, dass es richtig war, ab 2005 den Bedarf von Schulkindern unter 14 Jahren auf den Bedarf von Säuglingen herunterzukürzen. Dann schwenkten sie plötzlich um.
Der Reihe nach: Seit 2007 hat die Kampagne „Reiches Land — Arme Kinder!” überall in der Bundesrepublik Aktionen für kostenlosen Schulbedarf und freies Mittagessen für Schulkinder bedürftiger Eltern veranstaltet; die Kampagne richtete sich an die Verantwortlichen in den Kommunen. Dass vom 1.Januar 2009 an Kinder aus Hartz-IV-Familien von der 1. bis zur 10.Klasse 100 Euro pro Schuljahr für Schulbedarf bekommen, ist auch ein Zugeständnis, das sich diese Kampagne hartnäckig erstritten hat.
Ein wichtiges Ziel der Erwerbslosenbewegung besteht aber darüber hinaus seit der Einführung von Hartz IV darin, die zu niedrigen Regelsätze selbst anzugreifen. Am 1.Mai 2008 lancierten deshalb fünf Erwerbslosenorganisationen und -verbände die „Bündnisplattform gegen Kinderarmut durch Hartz IV”, für die Rücknahme der „vorsätzlichen Kürzungen bei Schulkindern”
Nicht einmal ein Dreivierteljahr später hat nun das Bundessozialgericht am 27.Januar 2009 die Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze für Kinder unter 14 Jahren in Auftrag gegeben; kurz vorher beschloss die Bundesregierung die erneute Anhebung dieses Regelsatzes von 60 auf 70%.
Die Aufhebung der Kürzung ist ein klarer Erfolg der Kampagne, und es ist offenkundig, dass die Bundesregierung sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, auf Kosten der Kinder die Verfassung zu brechen. Der nächste Schritt müsste nun die Wiederanhebung der Regelsätze für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren; davon spricht die Regierung aber nicht.
Arbeitsminister Scholz (SPD) und Familienministerin von der Leyen (CDU) erklärten im Februar dieses Jahres, vor 2010 werde es bei den Regelsätzen keine Veränderungen mehr geben. Sie weigern sich also weiterhin anzuerkennen, dass Jugendliche im Alter von 14—17 Jahren einen höheren Regelsatz brauchen als erwachsene Haushaltsangehörige. Denn im Gegensatz zu Erwachsenen wachsen sie noch und brauchen deshalb wieder 90% statt nur 80% des Eckregelsatzes.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die hierzulande anerkannten Instanz für Ernährungsfragen, errechnet für 14- bis 17-Jährige einen durchschnittlichen Kalorienbedarf von 2700 kcal am Tag, für Erwachsene nur von 2200 kcal. Diese 500 kcal pro Tag Mehrbedarf an Energie gehen auf das Konto des Wachstums und höheren Bewegungsbedürfnisses von Jugendlichen. Die Bundesregierung streitet das ab, wenn sie verfügt, es gebe keinen Änderungsbedarf bei den Regelsätzen.
Die niedrigen Sozialleistungen werden offiziell mit dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit begründet. Mit höheren Kinderregelsätzen „würde Kinderarmut zementiert, weil der Anreiz fehle, Arbeit aufzunehmen”, erklärte Ministerin von der Leyen im Tagesspiegel vom 2.2.2009. Den Wachstumsbedarf von Kindern wischt sie beiseite, ihn anzuerkennen fördere nur die Faulheit der Eltern.
Während die Arbeitslosenzahlen steigen, weil Banken sich verzockt und Konzerne Überkapazitäten aufgebaut haben, lässt sich „Familien"ministerin von der Leyen im Verein im Verbund mit der FDP erneut über die „Faulheit der Arbeitslosen” aus. Ihre Logik ist zutiefst inhuman, denn darin werden die Kinder für etwas bestraft, was die Eltern angeblich verbrochen haben.
Das Bündnis gegen Kinderarmut durch Hartz IV wird sich als nächstes deshalb auf den Regelsatz für Jugendliche konzentrieren. Scholz, von der Leyen, Müntefering und Merkel sollen sich nicht länger weigern können, das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen anzuerkennen: dass Kinder die Eigenschaft haben zu wachsen, bis sie erwachsen sind.
Der Kampf für höhere Regelsätze für Kinder und Jugendliche kann ein Beitrag dazu sein, dass der Bedarf von Menschen endlich wieder an ihren realen Bedürfnissen, also dem Warenkorb, gemessen wird und nicht daran, wie viel Lohn die Arbeitgeber zu zahlen bereit sind. Er ist ein Weg, um auch Druck für einen deutlich höheren Eckregelsatz (Regelsatz für einen allein stehenden Erwachsenen) zu machen. Denn dieser ist der Dreh- und Angelpunkt der Sozialleistungen — von den Kinderregelsätzen bis zur Grundsicherung im Alter und zum Grundsteuerfreibetrag, dessen Höhe für Menschen mit niedrigen Einkommen von großer Bedeutung ist.

Der Autor engagiert sich im Aktionsbündnis Sozialproteste. Für den 14.März ruft das Bündnis zu einem Aktionstag auf. Siehe auch www.kinderarmut-durch-hartz4.de
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