SoZ - Sozialistische Zeitung |
Die Bundesregierung hat sich in den vergangenen Jahren damit
gebrüstet, wie durch die Hartz-Gesetze die (offizielle) Arbeitslosigkeit gesunken sei.
Keine Rede war ihr der steile Anstieg der Niedriglöhner und prekär
Beschäftigten wert. Das Gespenst der Massenarbeitslosigkeit ist nicht verschwunden; es
wächst am unteren Rand die Schicht derer, die „arm trotz Arbeit” sind.
2,1 Millionen
Arbeitnehmer/innen müssen in Deutschland mit weniger als 50% des Durchschnittsverdienstes
auskommen — also mit einem Armutslohn. Das betrifft nicht nur Mini-Jobs und
ZeitarbeiterInnen, sondern auch 12% aller Vollzeitbeschäftigten!
Leider schützen auch
Tarifverträge nicht vor Niedrigeinkommen. 1,35 Millionen Erwerbstätige beziehen
ergänzendes Arbeitslosengeld II, das sind die sog. Aufstocker bzw.
Kombilohnbezieher/innen. Von ihnen sind eine halbe Million Vollzeit beschäftigt —
sie arbeiten 35 und mehr Stunden pro Woche mit durchschnittlichen Stundenlöhnen von 7
Euro im Westen und 6 Euro im Osten. 4,4 Milliarden Euro fließen dafür aus den Kassen
der Bundesagentur für Arbeit — d.h. aus den Taschen der Beitragszahler. Sie
gleichen aus, was die Unternehmer an Lohn einsparen.
Mini-Jobs und Zeitarbeit haben
die Ausweitung des Niedriglohnsektors vorangetrieben. Allein im Einzelhandel haben nach einer
Ver.di-Studie vom Dezember 2003 Mini-Jobs innerhalb eines Jahres 227000
sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vernichtet und eine finanzielle Lücke in
Höhe von 612 Mio. Euro in die Sozialkassen gerissen.
Mini- und Midi-Jobs (bis zu
400 bzw. 800 Euro) sind Arbeitszeitverkürzung mit erheblichem Lohnverlust. Den
Beschäftigten in Minijobs wird häufig das Recht auf bezahlten Urlaub und
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vorenthalten, und sie bekommen Lohnabschläge. Bei Mini-
Jobs wird der Unternehmer subventioniert: anstelle des regulären Arbeitgeberbeitrags
zahlt er nur eine Pauschale in die Sozialkassen; der Arbeitslosenbeitrag entfällt ganz.
Rund 70% der
Niedriglohnbeschäftigten sind Frauen. Der Anteil von unfreiwilliger Teilzeitarbeit von
Frauen hat sich zwischen 1990 und 2006 von 4,2% auf 20% erhöht. Fast jede dritte Frau
(30,5%) arbeitet für wenig Geld — 1995 galt das noch für ein Viertel. Auch bei
vollzeitbeschäftigten Frauen liegt der Niedriglohnanteil mit ca. 22% fast doppelt so hoch
wie unter vollzeitbeschäftigten Männern. Deutschland ist im EU-Vergleich
Spitzenreiter in der Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern.
Damit wird die
Dazuverdienerrolle von Frauen festgeschrieben; sie haben nach wie vor zum großen Teil
keine ausreichende eigenständige Altersversorgung. Und sie bilden die Mehrzahl der
„Armen trotz Arbeit": Über die Hälfte der sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten, die zusätzlich zum Arbeitseinkommen ALG II benötigen, sind
Frauen.
Wenn nicht alle betriebliche und gewerkschaftliche Willens- und Widerstandskraft darauf
konzentriert wird, dass krisenbedingte Entlassungen verboten werden und die Arbeitszeit
verkürzt wird, dann wird die Welle der Massenarbeitslosigkeit, die auf uns zurollt,
demnächst zu 6 Millionen Arbeitslosen und einer Aufblähung des Niedriglohnsektors
führen. Dann kann sich die Anzahl der Niedriglöhner leicht verdoppeln.
— Deshalb muss auch und
gerade in der Krise ein gesetzlicher, flächendeckender Mindestlohn her: die
Mindestlöhne nach Branchen per Entsendegesetz gelten nie für die gesamte Wirtschaft
und können deshalb Lohndumping nicht verhindern.
— Die Höhe des
Mindestlohns ist von großer Bedeutung; ein zu niedrig bemessener Mindestlohn zwingt zu
Arbeitszeitverlängerung, um den Lebensstandard zu halten.
— Ein Mindestlohn von
7,50 Euro, wie er von Ver.di, NGG und jetzt auch vom DGB gefordert wird, sichert trotz
Vollzeitbeschäftigung keine menschenwürdigen Lebensbedingungen. Wer 38,5 Stunden in
der Woche arbeitet und 7,50 Euro pro Stunde verdient, bekommt Brutto 1251,15 Euro im Monat.
Nach Abzug von Sozialversicherungen und Lohnsteuer sind diese Personen berechtigt,
ergänzend ALG II zu beantragen! Ein zu niedrig bemessener Mindestlohn ist ein Armuts- und
Kombilohn.
— Im Jahr 2001 forderten
Ver.di, NGG und IG BAU noch einen Monatslohn von mindestens 3000 Mark brutto. Das entspricht
heute 1516 Euro brutto monatlich und wäre der Verdienst bei 10 Euro Stundenlohn mit einer
35-Stunden-Woche.
10 Euro pro Stunde
gesetzlicher Mindestlohn setzt ein Zeichen gegen Lohndumping. Das ist die Mindestvoraussetzung
für eine Arbeitszeitverkürzung mit Allgemeinverbindlichkeit — die gesetzliche
Einführung der 35-Stunden-Woche als ersten Schritt. So kommen auch Erwerbslose wieder an
reguläre Arbeitsplätze und können einen Beitrag in die „leeren”
Sozialkassen einbringen.
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