SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 13

Frankreich

Das war erst der Anfang

von Bernard Schmid (Paris)

Die französischen Gewerkschaftsverbände rufen, nach der gelungenen Mobilisierung vom 29.1., zu einem neuen Streik- und Aktionstag am 19.3. auf.
Reichlich spät, finden viele. Doch in der Zwischenzeit halten weitere Mobilisierungen den sozialen Druck aufrecht: der Arbeitskampf der Hochschullehrer (inzwischen mit Unterstützung der Studierenden), der Generalstreik auf den französischen Karibikinseln Guadeloupe und La Martinique u.a. Die Regierung darf sich in den kommenden Wochen warm anziehen.
"Wir haben es mit einer Krise zu tun, wie die Welt sie seit einem Jahrhundert nicht gekannt hat. Ich verstehe die Besorgnis der Franzosen. Ich muss zudem so stark wie möglich jene beschützen, die schon bisher vom weltweiten Wachstum ausgeschlossen blieben."
Beruhigend klangen sie nicht unbedingt, die Worte, mit denen Präsident Nicolas Sarkozy sich am 5.Februar auf im Fernsehen an die Nation wandte. Paradoxerweise sollten sie gerade dafür sorgen, die soziale Unruhe im Zaum zu halten, die sich vor dem Hintergrund der Wirtschafts- und Finanzkrise Bahn gebrochen hat. Indem er nicht den Eindruck erweckt, die Probleme zu verharmlosen, sondern sie im Gegenteil noch dramatisch überzeichnet, möchte Sarkozy vermeiden, in den Augen des Publikums als „typischer Politiker, der den Leuten nur gut zuredet” zu erscheinen. Über 15 Millionen Zuschauer verfolgten die Sendung.
Ob die Übung Erfolg hatte, ist eine offene Frage. Laut ersten Umfragen zeigten sich nur rund 35% der Franzosen von seinem Auftritt überzeugt, über die Hälfte der Befragten erklärten das Gegenteil. Zudem ergab eine wenige Tage später veröffentlichte Umfrage, dass 53% bereit wären, „einer sozialen Bewegung zu folgen”, also bspw. in den Streik zu treten.
Die enormen Demonstrationen vom Streik- und Aktionstag der Gewerkschaften am 29.Januar dürften also nicht die letzten bleiben. Anderthalb bis zwei Millionen Menschen protestierten an jenem Donnerstag in ganz Frankreich gegen Sarkozys „unsoziale” Politik zur Bewältigung der Krisenlasten. Die Polizei sprach von 1,08 Millionen Teilnehmenden — keine runde Zahl, damit es so aussieht, als habe man gerechnet —, die Gewerkschaften ihrerseits von 2,5 Millionen.
Alle acht gewerkschaftlichen Dachverbände und -zusammenschlüsse in Frankreich, die sich seit Anfang Februar zwei Mal zusammen gesetzt haben, möchten gemeinsam am 19.März zu einem neuen Streik- und Aktionstag aufrufen. Spät, sehr spät, finden viele Beobachter und Aktive — immerhin lässt man damit sechs Wochen ins Land gehen.
Dem Vernehmen nach hatte sich die größte Gewerkschaft, die „postkommunistische” CGT für einen Aktionstag schon kurz nach dem „Sozialgipfel” ausgesprochen, zu dem Präsident Sarkozy die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände am 18.Februar in den Elysée- Verband einlud. Ohnehin wird von dem „Gipfel” nicht viel erwartet, was das Schicksal der Lohnabhängigen und Ärmeren verbessern könnte. Aber die an der Spitze rechtssozialdemokratische und pro-neoliberale CFDT, der zweitstärkste Dachverband, wollte nicht vor „Mitte März” demonstrieren. Und, ginge es nach dem Willen der CFDT-Führung, auch noch ohne begleitende Streiks.
Unterdessen halten einige sehr starke soziale Mobilisierungen den Kessel unter Druck. So wird die französische Karibikinsel Guadeloupe seit dem 20.Januar durch einen Generalstreik in Atem gehalten. Die Bevölkerung fordert u.a. eine wirksame Armutsbekämpfung, die Anhebung des Mindestlohns und eine Aufstockung aller Niedriglöhne um 200 Euro. Inzwischen hat der Generalstreik auch auf die andere französische Antilleninsel, La Martinique, übergegriffen, und ab dem 5.März wird auch in La Réunion, einem französischen „Überseebezirk” im Indischen Ozean, zum Generalstreik aufgerufen.
Auch die Hochschullehrer sind seit nunmehr fast einem Monat im Ausstand. Ihnen droht eine Verlängerung der Arbeitszeiten (bis zur Verdreifachung ihrer Unterrichtszeit auf Kosten ihrer Forschungstätigkeit), über die die Universitätspräsidenten der Regierung zufolge relativ willkürlich entscheiden können sollen. Seit Anfang Februar begleitet und unterstützt sie nun ein Studierendenstreik.
Warme Zeiten also für die Regierung der sozialen Kälte.


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