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Fünfzig Jahre nach der Flucht des von den USA ausgehaltenen
Diktators und Menschenschlächters Batista und dem Einzug der barbudos, der
„Bärtigen”, in Santiago de Cuba und Havanna ist die Revolution in die Jahre
gekommen.
Dies gilt im doppelten
Wortsinn: 1959 hätte niemand einen Pfifferling darauf wetten wollen, dass die Revolution
im US-amerikanischen Hinterhof und Bordell länger als ein paar Monate überleben
würde. Doch der revolutionäre Eifer, das unglaubliche Engagement der großen
Mehrheit der Bevölkerung, die nach der Flucht der reichen Oberschicht fast geschlossen
hinter ihrer neuen Führung stand, bewirkte zusammen mit den radikalen Bewegungen der 60er
Jahre überall auf der Welt, dass die zahlreichen Versuche, die Revolution zu vernichten,
gescheitert sind.
Andererseits ist die Mehrheit
der heutigen Bevölkerung nach der Revolution geboren und hat durch sie einen enormen
sozialen Aufstieg erlebt. Nun sind viele unzufrieden, dass es nach der tiefen Krise der 90er
Jahre viel zu langsam vorangeht und die Mühen des Alltagslebens so beschwerlich sein
können. Viele scheinen müde zu werden, jungen Leuten sind ihre Konsumwünsche
oft wichtiger als die Zukunft des Landes.
Die Feiern zum 50.Jahrestag
gestalteten sich überall sehr bescheiden, es gab keinen großen propagandistischen
Aufwand. Man findet auf Kuba heute sehr viel weniger politische Parolen und Plakate als je
zuvor; nur in den (früher ärmeren) östlichen Provinzen, in denen die Revolution
geboren wurde und die noch nicht so geschäftig sind wie Havanna, gab es sie in
größerer Zahl. Zahlreiche Vertreter lateinamerikanischer sozialer Bewegungen waren
eingeladen, an den Feiern teilzunehmen, und die kubanische Revolution wurde betont in die
lateinamerikanische Geschichte eingeordnet.
Von „Sozialismus”
ist gegenwärtig auf Kuba wenig die Rede, und wenn, dann wird darunter neben den allgemein
anerkannten historischen Fortschritten in den Bereichen Gesundheitswesen, Bildung und
Erziehung, Gleichstellung der Geschlechter und Abbau des Rassismus (Kuba hat eine geringere
Kindersterblichkeit als Deutschland und fast schon die gleiche Lebenserwartung!) vor allem die
„Unabhängigkeit und Würde der Nation” verstanden, wie sie in der Parole
„Patria libre o muerte” zum Ausdruck kommt.
Nicht zufällig gilt eines
der beiden größten politischen Denkmäler des Landes (in Santiago) dem Dichter
und Kämpfer gegen den spanischen Kolonialismus, José Martí. In seiner
Verteidigungsrede vor Gericht nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne am
26.Juli 1953 antwortete Fidel Castro auf die Frage nach dem geistigen Urheber seiner Tat mit
eben diesem Dichternamen.
Das zweite große Denkmal
(in Santa Clara) gilt natürlich dem Arzt und Revolutionär Che Guevara und seinen
Mitkämpfern. 1997 wurden die in Bolivien entdeckten sterblichen Überreste des Che
dorthin überführt.
Der „Período
special”, der auf den Zusammenbruchs des Ostblocks folgte, war sehr entbehrungsreich
gewesen; seit den 70er Jahren hatte Kuba etwa 85% seines Handels mit dem Ostblock abgewickelt.
In den 90ern konnte die Nahrungsmittelversorgung gerade so aufrecht erhalten werden,
Engpässe in der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs bis hin zu langen
Stromabschaltungen waren die Regel.
In den vergangenen zehn Jahren
hat sich die Wirtschaft jedoch deutlich erholt, jährlich wächst sie durchschnittlich
um gut 6%. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet der Tourismus; vor allem in Zusammenarbeit
mit spanischen Unternehmen wurden große Hotelketten als Joint Ventures hochgezogen, an
denen kubanische Gesellschaften einen Anteil von 49% haben. Diese Gesellschaften gehören
indirekt der Armee, womit der Staat eine gewisse Kontrolle darüber ausübt, wer in
diesem Bereich arbeiten darf und wer nicht. Kuba verfügt mittlerweile über 50000
Hotelbetten; hinzu kommt eine wachsende Zahl von Privatunterkünften „auf eigene
Rechnung” (man kann heute problemlos auf eigene Faust durch das Land reisen), sodass das
Land jährlich über 2 Millionen Touristen beherbergt.
In der Zeit der Krise wurde ab 1993 der Dollar als Zweitwährung zugelassen, viele
Familien konnten nur mit Hilfe der Überweisungen von Freunden und Verwandten aus den USA
überleben. Die Dollarisierung führte — zusammen mit dem faktischen
Zusammenbruch der Wirtschaftsplanung — schnell zu einer Polarisierung der Wirtschaft in
die Bereiche, die über Devisen verfügten, und die anderen. Der Wert des Peso verfiel
rasch.
2004 wurde der konvertible
Peso, der CUC, eingeführt (1 CUC = 1,08 Dollar oder 0,84 Euro); er wurde zum allgemeinen
Zahlungsmittel der Touristen. Kubanische Beschäftigte können sich einen Teil ihres
Lohnes (20%) in CUC auszahlen lassen, was den Nachteil hat, dass der Umtauschkurs sehr
schlecht ist, aber den Vorteil, dass man für CUC alles kaufen kann. So haben sich
mittlerweile in der Nähe der großen Hotels im Westen Havannas fast alle
europäischen Nobelmarken angesiedelt.
Wegen der Trinkgelder oder
auch durch illegale Geschäfte (Währungstausch, Zigarrenhandel, Prostitution usw.)
kommen die im Tourismus Beschäftigten leicht an CUC heran, was dazu führt, dass eine
stark von Gleichheitssinn geprägte Gesellschaft immer deutlicher auseinanderdriftet.
Es gibt nun die NEP-Leute (wie
in der Sowjetunion nach dem Kriegskommunismus ab 1921), die es zu einigem Reichtum gebracht
haben; man hortet ihn (noch) zu Hause bei der Familie, da man den kubanischen Banken und dem
Staat misstraut, aber eine kleine Schicht verfügt bereits über Konten in Spanien
oder in lateinamerikanischen Ländern.
Ein Lehrer, der in Havanna mit
einem staatlichen Taxi unterwegs ist, erzählte uns, mit den Trinkgeldern komme er leicht
binnen zwei bis drei Tagen auf einen durchschnittlichen kubanischen Monatslohn; er habe sich
diesem Gewerbe zugewandt, weil sein Gehalt als Lehrer zur Versorgung seiner Familie kaum
ausreicht.
Die mausgraue
„Libreta”, ein Heftchen mit Lebensmittelrationen, das 1964 eingeführt wurde,
um die Bevölkerung mit sehr billigen, weil staatlich subventionierten Gütern des
täglichen Bedarfs zu versorgen, reicht heute kaum aus, um den monatlichen Lebensunterhalt
zu bestreiten. Für diejenigen, die auf diese Form der Versorgung angewiesen sind, weil
sie nicht an harte Währung herankommen (etwa Rentner), lebt es sich, zumal in den
Städten, nicht leicht.
In Havanna und anderen
Großstädten breiten sich zahllose Formen von „Dienstleistungen” an
Touristen aus, die den Zweck haben, an den begehrten CUC zu kommen: Alte Frauen mit riesigen
Zigarren oder Frauen in farbiger kreolischer Kleidung posieren fürs Foto für einen
CUC; Künstler und Karikaturisten porträtieren die Zahlungswilligen, und es gibt
originelles Kleingewerbe jeder Art. Nicht zu reden von den unzähligen Musikgruppen mit
zumeist erstaunlichem Niveau, die in fast allen Restaurants zur Stelle sind, wenn dort
Ausländer zu Abend essen (und die fast immer gleich ihre CD dabei haben).
Die CUC-isierung der kubanischen Wirtschaft hat deutlich sichtbare negative Auswirkungen
auf die medizinische Versorgung und das Bildungswesen.
Medizinische Behandlung kostet
in ganz Lateinamerika oft ein Vermögen und ist nur von Reichen zu bezahlen, auf Kuba gibt
es sie umsonst. Kuba hat die Qualität seiner Medizin auch als Devisenquelle entdeckt;
gegen Hartwährungen kann man sich dort Behandlungen unterziehen, die im eigenen Land
nicht möglich oder zu teuer sind.
Aber es schleicht sich immer
mehr ein, dass für die Behandlung Trinkgelder in CUC zu entrichten sind, für die es
anscheinend bereits so etwas wie eine „inoffizielle Tarifliste” gibt: Alle
scheinen zu wissen, wie hoch bestimmte Leistungen zu honorieren sind. Der Staat duldet diese
Entwicklung, weil er verhindern will, dass Fachkräfte ins Ausland oder in den Tourismus
abwandern — was natürlich trotzdem geschieht. Noch verfügt Kuba allerdings
über die größte Ärztedichte der Welt: hier kommt ein Arzt auf 160
Einwohner.
Unser Reiseleiter, der seine
hervorragenden Deutschkenntnisse von seinem Vater hat, der sich wiederum unter den ersten
Studenten befand, die in den 60er Jahren zum Studium in die DDR geschickt wurden, hätte
sicherlich eine Professur an einer Universität anstreben und bekommen können. Wegen
seiner guten Leistungen wurde er — wiewohl nicht Parteimitglied, was zunächst zu
Einsprüchen führte — zum Studium nach Brasilien geschickt. Er hatte den festen
Vorsatz, aus materiellen Gründen nicht auf die Insel zurückzukehren, sondern sein
Heil in Lateinamerika oder Spanien zu suchen. Zwei Gründe haben ihn schließlich
bewogen, in sein Heimatland zurückzukehren: eine schwere Nierenerkrankung seines Vaters,
deren acht Jahre lange Dialysebehandlung in einem anderen lateinamerikanischen Land 1—2
Millionen Dollar gekostet hätte, was niemand hätte aufbringen können; und die
Erfahrung der täglichen brutalen Gewalt in den gesellschaftlichen Beziehungen in
Brasilien, Venezuela oder Mexiko, mit jährlich Tausenden von Toten durch Banden- oder
Drogenkriege. Seine Kenntnisse und Dienste werden von den deutschsprachigen Touristen
allenthalben geschätzt, was sich in erheblichen Trinkgeldern niederschlägt, von
denen er und seine Familie sicher gut leben können.
Die Gewinner der Revolution waren und sind die kleinen Bauern, sie sind bis heute eine
Stütze des Regimes. Fast ein Viertel der Kubaner lebt auf dem Land, in Brasilien sind es
nur 17,2%, in Venezuela gar 6,6%. Durch die Verstaatlichung des Großgrundbesitzes in den
beiden Landreformen von 1960 und 1963 und durch die Blockade der USA wurden sie für die
Lebensmittelversorgung des Landes wichtig.
Der Staat kauft ihre Produkte
zu relativ hohen Preisen; seit den 90er Jahren sind auch freie Bauernmärkte zugelassen,
auf denen die Erzeugnisse des Landes zu relativ hohen Preisen gehandelt werden.
Notwendig wäre eine
deutliche Steigerung der Arbeitsproduktivität durch stärkere Mechanisierung. Sie
unterbleibt wegen fehlender Geldmittel, aber wohl auch, weil der Staat Angst hat, eine zu
starke Veränderung der Verhältnisse auf dem Land werde zu sozialen Differenzierungen
führen und das Bündnis mit den Bauern gefährden.
Nach den Wirbelstürmen
des Sommers, die besonders in den Tabakprovinzen des Westens (Pinar de Río) Schäden
von etwa 10 Milliarden Dollar verursacht haben, muss der Staat seine Mittel vorrangig in die
Reparatur investieren.
Wir besuchten eine
Bauernfamilie, die Tabak anbaut (und erfolgreich selbstgedrehte Zigarren an Touristen
verhökert). Die Scheune zum Trocknen der Blätter war stark beschädigt, aber
bereits notdürftig mit Schieferplatten repariert. Der Tabakanbau ernährt drei
Generationen — und dies sicher besser als viele mir bekannte Bauernfamilien in
Griechenland, die Wein oder Rosinen produzieren.
Für die
Erwerbtätigen ist eines der größten Probleme die Fahrt zur Arbeit; Nah- und
Fernverkehr lassen massiv zu wünschen übrig. Zwar sind die „Kamele”
— von Lkw gezogene Großbusse, in die bis zu 400 Menschen gequetscht werden —
fast verschwunden, aber die chinesischen Ytong-Busse, die ersatzweise gekauft wurden, werden
mehrheitlich zum Transport von Touristen verwandt.
Außerdem sind viele Busse
für den Transport der Beschäftigten reserviert, die in den Hotels arbeiten.
Häufig sieht man Hunderte von Menschen am Straßenrand stehen, die mitgenommen werden
möchten. Manche schwenken auch Geldscheine, um anzuzeigen, dass sie sogar bezahlen
würden (im Prinzip ist der Transport auf Kuba kostenfrei).
Bekanntlich ist Kuba das
größte Automuseum der Welt. Sämtliche US-amerikanischen Fabrikate der 30er bis
50er Jahre finden sich, oft intensiv gepflegt, auf Kubas Straßen und Parkplätzen. Es
gibt Handwerker, die sich auf ihre Reparatur spezialisiert haben und von dieser Tätigkeit
„auf eigene Rechnung” nicht schlecht leben. Seit wenigen Jahren nimmt die Zahl der
neuen Fabrikate aus chinesischen oder südkoreanischer (Hyundai) Produktion aber deutlich
zu.
Ein weiteres gravierendes
Problem ist die Wohnungsnot. Noch immer haben junge Paare Schwierigkeiten, eine eigene Wohnung
zu finden, obwohl erhebliche Geldmittel in den Bau neuer Wohnungen geflossen sind, die auch
eine deutlich bessere Qualität haben als die Plattenbauten der 70er und 80er Jahre. Die
überfällige Sanierung der Altstadt von Havanna und anderer teilweise auf der UNESCO-
Liste des Weltkulturerbes stehender Innenstädte ist in diesem Jahrzehnt sichtbar
vorangekommen, führt aber häufig zu Verlust an Wohnraum, weil die alten, sehr hohen
Wohnpaläste der kreolischen Bourgeoisie wiederhergestellt werden. Alte Zwischendecken,
die eingezogen wurden, um aus einer Wohnung zwei oder mehr zu machen, werden nun entfernt,
ohne dass parallel dazu der Bau neuer Wohnungen vorankommt. Im Unterschied zu ganz
Lateinamerika gibt es auf Kuba keine Slums, doch der Investitionsbedarf in die Versorgung mit
Wohnraum ist riesig.
Heftig wird gerade diskutiert,
ob Obama eine Neuausrichtung der US-Kubapolitik bringen wird. Die überwiegende Mehrheit
war da skeptisch.
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