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Nach langem, schwierigem Kampf konnte am 19.Februar 1919
erstmals eine Frau „als Freie und Gleiche zum Volke sprechen”
Bei der II. Internationalen
Sozialistischen Frauenkonferenz am 26./27.8.1910 in Kopenhagen beantragte Clara Zetkin
gemeinsam mit Käthe Duncker und anderen Genossinnen die Durchführung eines
Frauentags, der „in erster Linie der Agitation für das Frauenwahlrecht”
dienen sollte. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Der Frauentag 1911 wurde „eine
wuchtige, sozialdemokratische Kundgebung für das Frauenwahlrecht” Die Gleichheit
berichtete anschließend: „Zahlreiche Polizeimannschaften in der Nachbarschaft der
Versammlungslokale bewahrten revolvergerüstet die Stadt vor dem Umsturz der
Frauen.” Bürgerliche Depeschenbüros schätzten die Zahl der Teilnehmer auf
30000 — „höchstwahrscheinlich gut über die Hälfte zu
niedrig”, vermutete die Gleichheit.
Am 19.Januar 1919 durften die
Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden. Der diesem Erfolg
vorausgegangene Kampf war schwierig, weil auch Frauen — bedingt durch unterschiedliche
Herkunft und politische Vorstellungen — durchaus nicht die gleichen Interessen
einbrachten.
Für die proletarische
Frauenbewegung stand das Frauenwahlrecht — eingebunden in die Debatten um eine
allgemeine Wahlrechtsreform, denn noch durften nicht überall alle Männer wählen
— von Anbeginn an auf dem Programm. Viele bürgerliche Frauen hielten die Forderung
bis in die Zeit des Ersten Weltkrieges hinein für verfrüht, forderten ein Wahlrecht
nach dem Vorbild der privilegierten Männer oder hielten ohnehin an der
„natürlichen” Bestimmung der Frau „im Dienste des Familien- und
Volkswohles” fest.
Clara Zetkin war, wie die
meisten klassenbewussten Meinungsführerinnen der Arbeiterinnen, gegen eine
„humanitätstrunkene Allerweltsbasenschaft” Sie wollte Seit an
Seit mit den Männern ihrer Klasse gegen die herrschende Klasse kämpfen —
ohne Unterschied des Geschlechts. Der 1863 von Ferdinand Lassalle gegründete Allgemeine
Deutsche Arbeiterverein schrieb sich die Forderung nach einem allgemeinen Wahlrecht auf die
Fahnen. Die Sozialdemokratie blieb die einzige Partei, die diese Forderung vertrat.
In Deutschland wurden viele
Wegbereiterinnen gesellschaftlich geächtet, diskriminiert, verfolgt und nicht selten ins
Gefängnis geworfen worden. Sozialistinnen waren einer doppelten Unterdrückung und
Verfolgung durch die Staatsgewalt ausgesetzt, weil Frauen erst seit 1908 — mit
Inkrafttreten des Reichsvereinsgesetzes — einer politischen Partei oder Organisation
beitreten konnten. Der §9 dieses Gesetzes lautete: „Vereine, welche bezwecken,
politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, dürfen keine
Frauenspersonen, Schüler oder Lehrlinge als Mitglieder aufnehmen.” Was
„politische Gegenstände” waren, bestimmte die Obrigkeit, meistens ein
örtlicher Gendarm. Keine der führenden Frauen der proletarischen Frauenbewegung
blieb von Verfolgung verschont.
August Bebel war es, der die
Frauen unterstützte. Er beantragte 1875 auf dem Gothaer Parteitag, der Forderung nach dem
allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht für alle Staatsbürger die Forderung
nach dem Wahlrecht für Frauen hinzuzufügen. Der Antrag wurde abgelehnt.
Ausdrücklich betonten die männlichen Delegierten, die Ablehnung erfolge nicht aus
prinzipiellen Gründen, sondern aus „taktischen” Erwägungen. Sie
erwarteten durch die Mobilisierung von Frauen keinen Kräftezuwachs für ihren Kampf.
Im Gothaer Programm hieß es dann: „Allgemeines, gleiches, direktes Wahl- und
Stimmrecht ... aller Staatsangehörigen vom 20.Lebensjahre an.” Alle
Staatsangehörigen waren alle Männer.
Erst auf dem Parteitag 1891 in
Erfurt konnte Clara Zetkin die (meisten) Genossen davon überzeugen, dass „allgemein
und gleich” auch die Frauen einschließen musste. Nun stand im Parteiprogramm:
„ohne Unterschied des Geschlechts” Als August Bebel 1895 im Deutschen Reichstag
ein Gesetz zur Einführung des Frauenwahlrechts einbrachte, rief das bei den Männern
aller übrigen Parteien Heiterkeit hervor.
Die Klassenschranken waren
unüberwindbar und bildeten die Grenzlinie zwischen bürgerlicher und proletarischer
Frauenbewegung. Luise Zietz kritisierte ihre bürgerlichen „Schwestern": Der
größte Teil, so Zietz, gibt sich mit einem „beschränkten
Frauenwahlrecht” zufrieden und kümmert sich nicht darum, wenn die große Masse
der Proletarierinnen weiter in politischer Rechtlosigkeit gehalten wird.
Durch die Gründung einer
internationalen sozialistischen Frauenbewegung 1907 erhofften sich die Genossinnen
stärkere Durchsetzungskraft. Auf dem Kongress in Stuttgart verpflichteten sich die
sozialistischen Parteien aller Länder, sich für die Einführung des
uneingeschränkten allgemeinen Frauenwahlrechts einzusetzen.
Der Beginn des Ersten
Weltkriegs führte zum Verbot der Internationalen Frauentage. Gertrud Bäumer schuf
aus patriotischen Motiven den „Nationalen Frauendienst”, ein Betätigungsfeld
für konservative Frauen, dessen Ziel die „Aufrechterhaltung der Heimatfront”
war. Sozialdemokratische Frauen wie Marie Juchacz folgten der Aufforderung des SPD-Vorstands
und beteiligten sich.
Das nahende Kriegsende und die Revolutionswirren gaben der Frauenstimmrechtsbewegung neuen
Aufschwung. Das bürgerliche Frauenstimmrechtslager — mit Ausnahme der
„Gemäßigten” — begann, mit der sozialdemokratischen Frauenbewegung
zusammenzuarbeiten. Die Gesetzentwürfe der SPD wurden dennoch bis in den Juli 1918
abgelehnt. Im Dezember 1917 überbrachten Frauen verschiedener politischer Richtungen dem
Preußischen Landtag eine „Erklärung zur Wahlrechtsfrage”, die das
allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht forderte.
Für die Arbeiter- und
Soldatenräte, die sich 1918 überall formierten, gehörte die Forderung nach dem
Frauenstimmrecht zu den zentralen Parolen der Revolution. In der Erklärung des Rats der
Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12.November 1918 hieß es: „Alle Wahlen
zu öffentlichen Körperschaften sind fortan nach dem gleichen, geheimen, direkten,
allgemeinen Wahlrecht ... für alle mindestens 20 Jahre alten männlichen und
weiblichen Personen zu vollziehen.” Damit war eine Forderung der Frauenbewegung
erfüllt, für die sie, wenn auch von unterschiedlichen Standpunkten aus und mit
unterschiedlichen Zielsetzungen, jahrelang mit viel Ausdauer, Mut und Fantasie gekämpft
hat.
"Meine Herren und
Damen”, das Protokoll verzeichnete Gelächter, so ungewöhnlich war die Anrede,
„es ist das erste Mal, dass in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament
zum Volke sprechen darf”, stellte die Abgeordnete Marie Juchacz am 19.Februar 1919 in
der Nationalversammlung zu Weimar in der ersten Rede fest, die eine Frau in einem deutschen
Parlament gehalten hat. Sie war sich sicher, dass die Frauen der Regierung nicht zu Dank
verpflichtet waren: „Was diese Regierung getan hat, das war eine
Selbstverständlichkeit; sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht
vorenthalten worden ist."
In den beinahe 60 Jahren
Bundesrepublik ist die „Frauenfrage” nur langsam voran gekommen. Aufgabe von
Frauenpolitik bleibt es, darauf hinzuweisen, dass eine Demokratie unvollendet ist, solange
soziale Ungleichheit fortbesteht und die Ebenbürtigkeit zwischen den Geschlechtern nicht
in allen Lebens- und Arbeitsbereichen erreicht ist.
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