SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2009, Seite 22

John Le Carré: Marionetten,

Berlin: Ullstein, 2008, 367 S., 22,90 Euro

von Udo Bonn

Für die in Hamburg lebende Leyla Oktay scheinen bessere Zeiten heraufzuziehen. Die Vorfreude über die Reise in die Türkei zur Hochzeit ihrer Tochter hat die dunklen Schatten der Trauer seit dem Tod ihres Mannes vertrieben. Und dann erscheint auf einmal Issa Karpow an ihrer Tür, ein elendig und verstört aussehender junger Mann, den sie in den Haushalt trotz des anfänglichen Widerstands ihres Sohnes Melik aufnimmt. Nach einiger Zeit ist auch der aufstrebende Hamburger Jungboxer fasziniert von dem gläubigen Flüchtling aus Tschetschenien, der nichts anderes will, als Medizin zu studieren. Es gibt aber auch noch ein Erbe anzutreten, weshalb die Juristin und Mitarbeiterin des Fluchthafens Annabel Richter das Bankhaus Brue Freres aufsucht. Der Vater des jetzigen Inhabers hatte vor Zeiten als Geldwäscher fungiert und es gibt da noch ein geheimes „Lipizzaner"-Konto, auf das Issa Karpow Ansprüche hat. Was keiner von ihnen auch nur ahnt: Seit Issas Auftauchen am Hamburger Hauptbahnhof sind sie im Visier diverser konkurrierender deutscher Geheimdienste, die seit den Anschlägen von 9/11 in paranoider Wachsamkeit alle zu verdächtigenden Personen auf mögliche Verbindungen zu islamischen Terrorzellen durchleuchten oder nach aussichtsreichen V-Männern suchen. Und dann gibt es noch die US-amerikanischen Dienste, die seit den New Yorker Anschlägen völlig enthemmt operieren dürfen.
Bis auf das abrupte Finale kommt John Le Carrés Roman Marionetten ohne die heutzutage üblichen Actionszenen und Blutorgien aus. Richtig verstörend aber mag es auf unvorbereitete Leser wirken, dass Le Carré, seit er den klassischen Spionageroman hinter sich gelassen hat, sich die herrschenden Kreise der westlichen Gesellschaften vornimmt und ihre wirtschaftliche, politische und geheimdienstliche Brutalität offen demaskiert, ohne — wie in diesem Buch — auch zumindest gleichwertig gegen den islamisch begründeten Terrorismus Stellung zu beziehen. Was er mit Der ewige Gärtner, Absolute Freunde und Geheime Melodie begonnen hat, wird in Marionetten konsequent fortgeführt: Der Siegeszug des Kapitalismus nach 1989 hat eben nicht mehr Freiheit, Demokratie und Wohlstand für alle gebracht.


Ich möchte die SoZ mal in der Hand halten und bestelle eine kostenlose Probeausgabe oder ein Probeabo

  Sozialistische Hefte 17   Sozialistische Hefte
für Theorie und Praxis

Sonderausgabe der SoZ
42 Seiten, 5 Euro,

Der Stand der Dinge
Perry Anderson überblickt den westpolitischen Stand der Dinge   Gregory Albo untersucht den anhaltenden politischen Erfolg des Neoliberalismus und die Schwäche der Linken   Alfredo Saa-Fidho verdeutlicht die Unterschiede der keynsianischen und der marxistischen Kritik des Neoliberalismus   Ulrich Duchrow fragt nach den psychischen Mechanismen und Kosten des Neoliberlismus   Walter Benn Michaelis sieht in Barack Obama das neue Pin-Up des Neoliberalismus und zeigt, dass es nicht reicht, nur von Vielfalt zu reden   Christoph Jünke über Karl Liebknechts Aktualität





zum Anfang